Jüdinnen und Juden in ZürichViel Polizei, Angst, aber auch das klare Bekenntnis: «Wir werden uns nicht verstecken»
Die brutale Attacke am Wochenende hat die Jüdinnen und Juden in Zürich schockiert. Das Gefühl, sicher zu sein, ist weg.
Drei Polizistinnen und Polizisten bewachen am Montagmorgen die jüdische Knabenschule Mosdos Tiferes Doniel unweit des Einkaufszentrums Sihlcity. Ein Vater begleitet seinen Sohn bis zum Eingang der Schule. Beide tragen eine Kippa. «Am Mittag ist er oft allein nach Hause gelaufen», sagt der Vater. Diese Woche nicht. Er oder seine Frau werden ihn abholen.
«Die Attacke ist für uns ein Schock», sagt der Vater. Er kenne die Familie des Mannes, der am Samstagabend von einem 15-Jährigen mit einem Messer attackiert und schwer verletzt wurde. «Eigentlich hatte ich das Gefühl, dass wir in Zürich sicher sind. Jetzt fehlt mir diese Gewissheit.»
Seit Sonntagmorgen bewachen die Kantons- und die Stadtpolizei Zürich 17 jüdische Einrichtungen in Zürich mit einem verstärkten Sicherheitsaufgebot. Stadträtin Karin Rykart sagte am Montag an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz: «Wir werden alles daransetzen, dass sich die jüdische Bevölkerung in Zürich weiterhin sicher fühlen kann.»
Sich nicht verstecken
Auch Jonathan Kreutner, der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, hat seine Tochter am Montagmorgen in den jüdischen Kindergarten im Engequartier gebracht. «Meine Tochter hat nicht nachgefragt, warum Polizisten beim Eingang stehen», sagt Kreutner auf Anfrage. Leider habe sie sich bereits daran gewöhnt. Bereits nach dem Angriff der Hamas in Israel im vergangenen Oktober sei das Sicherheitsaufgebot erhöht worden.
Seither gab es in Zürich, wo gut die Hälfte der 18’000 Schweizer Jüdinnen und Jüden leben, eine Häufung von antisemitischen Vorfällen. «Tod den Juden», sprayte jemand an eine Hauswand. Einem Mann mit Davidstern-Kette wurde auf die Füsse gespuckt. Manche Eltern ersetzen die Kippas ihrer Kinder mit Baseballcaps.
Jonathan Kreutner sagt, dass die jüdischen Menschen in Zürich seit Samstagabend noch vorsichtiger seien. Er habe das auch bei sich selbst bemerkt. «Als ich mit dem Velo unterwegs war, habe ich zweimal geschaut, wenn jemand hinter mir war.» Jüdinnen und Juden müssten nun vorsichtig und wachsam sein. «Aber wir werden uns nicht verstecken und uns nicht verunsichern lassen.»
Verstärkte Bewachung
Jacques Lande, der Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, sagt, er persönlich fühle sich sicher. Im Moment würden sich viele Jüdinnen und Juden aber genau überlegen, durch welche Gegenden sie wirklich laufen wollten.
«Früher ging die Gewalt oft gegen Institutionen.» Jetzt sei eine Privatperson attackiert worden. «Es hätte jeden von uns treffen können», sagt Lande. Er finde es gut, dass die Polizei jüdische Einrichtungen nun verstärkt bewache.
Kritik an Demonstrationen
Der jüdische GLP-Gemeinderat Ronny Siev sagt: «Das jüdische Leben in Zürich muss selbstverständlich weitergehen.» Die Politik und die Gesellschaft seien nun gefordert, sich dafür einzusetzen, dass Jüdinnen und Juden weiterhin gut in Zürich leben könnten.
Siev hat von einem Schüler eines Zürcher Gymnasiums gehört, der jeweils eine Kippa trug und sich diesen Montag nicht in die Schule getraute, weil er um seine Sicherheit fürchtete.
Die Pro-Palästina-Demonstrationen, die momentan in der Stadt stattfinden, empfindet Ronny Siev als «Anstachelung zu Hass». Mit Slogans wie «Intifada bis zum Sieg» würden ein bewaffneter Kampf und die Auslöschung Israels skandiert.
Auch dass Redner wie Mohammed Khatib von der «antisemitischen» und «gewaltverherrlichenden» Organisation Samidoun in Zürich auftreten dürfen, kritisiert Siev. Khatib trat Mitte Januar in der Zentralwäscherei auf, einem alternativen Kulturzentrum, das die Stadt Zürich als Zwischennutzung vermietet. «Viele Zürcherinnen und Zürcher fanden das nicht schlimm», sagt Siev. «Spätestens jetzt sollten sie aufwachen.»
Angst macht Siev die Situation in Frankreich. Seit dem 7. Oktober sind viele Menschen aus der jüdischen Gemeinschaft aufgrund von antisemitischen Vorfällen nach Israel emigriert. Historiker Georges Bensoussan sagte der NZZ: «Die Grundtendenz ist, dass der Exodus weitergeht.» Jene, die bleiben, würden die Kippa nur noch im Verborgenen tragen und sich in gewisse Viertel zurückziehen.
Ronny Siev sagt, er habe noch von keiner Person aus der jüdischen Community gehört, die Zürich verlassen wolle. Mut mache ihm, dass alle Fraktionen im Gemeinderat sich im Dezember gemeinsam dafür eingesetzt hätten, dass Zürch einen Antisemitismusbeauftragten bekomme.
Am Montag gehen viele jüdische Kinder auch allein mit dem Kickboard zu ihren Schulen. In einem Bagel-Restaurant essen Männer mit Kippa zu Mittag.
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