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Marco Odermatt im Interview
«Meinem härtesten Gegner 2 Sekunden Rückstand mitzugeben, macht richtig Spass»

Seine Welt: Marco Odermatt, umgeben von Kugeln, Medaillen und einer Menge Ski. 
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Und wieder schauen alle nur auf ihn. Marco Odermatt macht seine Aufwartung in der Skimanufaktur seines Ausrüsters Stöckli in Malters, der Grossteil der Belegschaft ist gekommen, der Seriensieger schüttelt Hände, findet nette Worte. Pokale, Medaillen und Kristallkugeln schmücken das Foyer, Odermatts Augen sind klein, das Gähnen muss er mehrmals unterdrücken. Am Samstag hat er in Andorra Skigeschichte geschrieben und Hermann Maiers Rekord von 2000 Weltcuppunkten gebrochen, tags darauf wurde er an der grossen Siegerehrung mit Trophäen überhäuft und besuchte spätabends den Clásico zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid.

Weiter ging es nach Salzburg zum Fernsehsender Servus TV, der zum Imperium seines Sponsors Red Bull gehört. Erst am Dienstag kehrt der Gesamtweltcupsieger in die Schweiz zurück – und kriegt den Ski präsentiert, den Stöckli zu seinen Ehren produziert hat. 1000 Stück dieser Sonderanfertigung kommen im Herbst in ausgewählte Sportgeschäfte, sie alle wurden bereits von Händlern gekauft.

Marco Odermatt, an Anlässen wie diesem mit Ihrem Ausrüster klopfen Ihnen viele auf die Schultern, himmeln Sie an. Ist Ihnen das unangenehm?

Nein, denn diese Leute verstehen den Skisport und wissen, was es für den Erfolg alles braucht. Zudem hat jeder von ihnen einen Anteil am Erfolg, deshalb teile ich das mit ihnen noch lieber.

Müssen Sie sich manchmal selbst sagen, dass es nicht selbstverständlich ist, was Sie gerade erleben?

Ja, sicher. Es ist noch gar nicht bei mir angekommen. Seit Monaten renne ich nur hin und her, nie hatte ich mehr als zwei Tage am Stück frei, seit dem Weltcupfinal war ich noch nicht zu Hause. Ich habe nicht alles realisiert. Aber wenn ich die Zahlen sehe oder ein paar Zusammenschnitte, ist das schon ziemlich verrückt. Am Weltcupfinal bin ich mit all den Kugeln und Medaillen aus dem Zielraum gelaufen, ich konnte sie kaum tragen. Denke ich daran, kriege ich Hühnerhaut.

Neben all den Lobhudeleien: Wer ist Ihr härtester Kritiker?

Es gibt Trainer, die immer alles positiv sehen, und andere, die nach einem Sieg ins Ziel kommen und sagen: «Puh, deine Position auf dem Ski war jetzt aber nicht so gut.» Es ist wichtig, dass ich nicht nur die einen oder die anderen um mich habe. Dann gibt es auch meinen Mitbewohner Gabriel, der sogar alles fast zu sehr herunterspielt. Aber das tut mir ab und zu wohl auch gut.

Sie selbst haben heruntergespielt, was es bedeuten würden, wenn Sie den Punkterekord von Hermann Maier brechen würden.

Das stimmt. Dieser wurde aber auch schon zum Thema, als mir noch über 400 Punkte fehlten. Ich weiss, wie schwierig es ist, gegen Ende Saison in fünf Rennen 400 Punkte zu holen. Und als ich in der Finalwoche in Andorra keine gute Abfahrt hatte (Rang 15), glaubte ich auch nicht mehr daran, dass ich den Rekord knacke. Ich dachte, es würde auch im Super-G schwierig, vorne mitzufahren.

Und dann gewannen Sie diesen am nächsten Tag. Ist Ihr Selbstvertrauen unerschütterlich?

Selbstvertrauen ist ein sehr sensibles Thema. Werde ich Fünfzehnter und weiss nicht wieso, ist das Vertrauen am nächsten Tag nicht gleich gross wie nach einem guten Rennen. Weil ich nicht weiss, ob das Material überhaupt gut genug ist, um gewinnen zu können.

Wieso kriegen Sie es dann doch hin?

Das weiss ich nicht genau. Ich gehe einfach immer genau gleich vor, meistens funktioniert es, selten nicht.

«Ich hatte kein Vertrauen mehr, fing fast bei Null an.»

Dass Sie so stark im Kopf sind, ist das Ihr Naturell?

Ich habe mich schon früh mit diesem Thema beschäftigt, habe von Grund auf die Dinge richtig gelernt, verarbeitet – und die Schlüsse daraus gezogen. Und wenn ich Vertrauen habe in mein Umfeld, etwa in den Servicemann, sind viele Faktoren gegeben, dass ich mir auch selbst vertrauen kann.

Der Punkterekord ist umso erstaunlicher, weil Sie zwei Rennen angeschlagen auslassen mussten …

Als ich vier Tage nach dem kleinen Unfall in Kitzbühel erstmals wieder auf den Ski stand, fühlte sich die erste Kurve so an wie damals nach meinen zwei Knieoperationen. Ich hatte absolut kein Vertrauen mehr, fing fast bei Null an. Danach war alles eine Kopfsache. Dass ich aber so grandios zurückkam und in Cortina gleich zweimal gewann, überraschte mich.

Ihnen hätte zum Abschluss im Riesenslalom Rang 3 gereicht für den Rekord: Doch Sie gewannen mit über 2 Sekunden Vorsprung. Sind Sie sich selbst unheimlich?

Da war ich überrascht. Ich hoffe, dieser Vorsprung ist für die Gegner nicht eine allzu grosse Motivation, im Sommer noch mehr Gas zu geben. (lacht) Aber gerade meinem härtesten Riesenslalom-Konkurrenten so etwas mitgeben zu können in den Sommer, macht schon richtig Spass.

Sie sprechen von Henrik Kristoffersen. Wie ist Ihre Beziehung?

Wir sehen uns fast jedes Wochenende, haben den gleichen Sponsor, sitzen ab und zu im gleichen Flieger – wir kennen uns gut.

Ist er im Umgang schwierig?

Er ist sicher nicht der Einfachste. Aber ich finde das sogar lustig, es tut auch dem Sport gut, wenn es verschiedene Typen gibt, damit es diese Spannung und diese Geschichten geben kann. Es wäre ja nicht unterhaltsam, hätte ich nur beste Freunde in der Szene, so wie ich es etwa mit Aleksander Kilde habe. Mich stören die Reibereien nicht.

«Kilde tat mir leid, als ich WM-Gold in der Abfahrt gewann.»

Vreni Schneider erzählte, dass es ihr fast leidtat für die anderen, als sie immer nur gewann. Kennen Sie das?

Ein bisschen leid tat mir Kilde, nachdem ich Gold in der WM-Abfahrt geholt hatte. Er hat zwei Jahre lang praktisch jede Abfahrt gewonnen, dominiert die Saison in dieser Disziplin, dann wird er im Super-G wegen einer Hundertstel Zweiter und ich erlebe in der Abfahrt meinen ersten Sieg in dieser Sparte. Aber sonst tun mir die Gegner noch nicht leid.

Verändert es das Verhältnis zu den Gegnern, wenn Sie dermassen überlegen sind?

Nicht gross, das beste Beispiel ist ja Kilde. Aber klar, Kristoffersen wurde mit jedem Rennen wütender, weil er den Sieg so sehr wollte. Mir gegenüber hat er sich immer sehr korrekt verhalten, aber ich habe Dinge hintenrum gehört. Der Frust ist auch erklärbar.

Sie dagegen hatten viel zu feiern – und machen das auch ausgiebig. Wie lang waren die letzten Nächte?

Ich habe weniger geschlafen als zuletzt und bin müde. Aber wer solche Erfolge nicht feiern kann, der führt ein trauriges Leben. Ich habe meine Erfolge immer zelebriert – das werde ich auch in Zukunft so machen.

Welche Reaktionen haben Sie am meisten berührt?

Uff, das waren so viele, die meisten habe ich noch nicht abarbeiten können. Alberto Tomba hat mir eine Whatsapp-Nachricht geschrieben, Roger Federer hatte sich schon nach der WM mit einem Skivideo bei mir gemeldet und gesagt, ich müsste mich im Riesenslalom warm anziehen. (lacht) Auf Social Media sind es jeden Tag Tausende Nachrichten, da habe ich den Überblick nicht mehr. Aber einen Teil der Fanpost bearbeite ich noch immer selbst, das dauert dann ein paar Tage.

Worauf freuen Sie sich nun am meisten?

Darauf, mal wegzukommen von der Szene, länger daheim zu sein. Nicht mehr permanent in der Öffentlichkeit zu stehen. Einen Monat lang muss ich noch Vollgas geben. Nach ein paar Events, der Schweizer Meisterschaft und den Skitests, die noch anstehen, wird alles erledigt sein – dann kann ich endlich wieder ein normales Leben führen.

Alexis Pinturault, Lara Gut-Behrami und Tina Maze fielen nach ihren Gesamtsiegen in ein Loch. Können Sie das verstehen?

Ja. Und darauf legten wir gerade nach dem letzten Winter mit dem ersten Gesamtweltcupsieg ein besonderes Augenmerk. Dennoch hätte es sein können, dass es anders kommt. In einem gewissen Alter ist es wohl noch intensiver, eine solche Saison zu erleben als mit 25. 

Welche Ziele bleiben Ihnen überhaupt noch?

Also den Disziplinensieg im Slalom werde ich sicher nicht mehr angreifen. Ob ich noch eine A4-Seite mit Zielen füllen könnte? Das wäre wohl von der Schriftgrösse abhängig. (lacht) Wengen und Kitzbühel sind sicher ganz oben auf der Liste, ich war in beiden Abfahrten schon Zweiter, da will ich natürlich mehr.

Sie haben mit 941’200 Franken auch den Preisgeld-Rekord bei den Männern aufgestellt. Was denken Sie, wenn Sie eine solche Summe sehen?

Schön. Aber es kommt ja nicht die ganze Summe auf mein Konto, da geht noch einiges an Steuern weg. Aber klar: Auch dann ist es noch eine riesige Summe, mein Lohn für die harte Arbeit.

«Ich brauche nicht mehr Geld als vor fünf Jahren.»

Sie sind längst Millionär. Wie gehen Sie damit um?

Das verändert mich null Komma null. Ich lebe deswegen nicht anders, gehe nach wie vor mit den gleichen Kollegen in die Ferien, die noch studieren. Wir suchen uns eine Airbnb-Wohnung, die für alle passt. Wenn wir mal in den Ausgang gehen oder ein Fest machen, ist für mich klar, dass ich auch einmal alle einlade. Oder als die Jungs und meine Freundin an die WM nach Courchevel kamen, gingen wir zu zehnt essen, und ich bezahlte. Sie kamen schliesslich extra hoch und brauchten vor Ort Geld, während ich in den zwei Wochen praktisch keinen Rappen ausgab. Aber ich brauche nicht mehr Geld als vor fünf Jahren.

Ist Ihnen besonders wichtig, das Normale zu bewahren?

Es ist ja nicht so, dass ich in einem Keller wohnen würde und mit dem Velo zur Arbeit fahre. Ich lebe einen guten Standard, mehr brauche ich aber nicht.

«Ich will wenigstens meine Freundin für mich haben.»

Sie erwähnten Ihre Freundin. Wie schwierig ist es, mit Ihrem Beruf eine Beziehung zu führen?

Schwierig, klar. Aber wir kennen es nicht anders, es ist kein Problem.

Sie ist selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Schützen Sie sie bewusst?

Genau. Ich habe sonst schon fast keine Privatsphäre mehr, da will ich wenigstens sie für mich haben.