Mamablog: Postnatale BeziehungMein Mann, mein Feind
Seit der Geburt ihres Sohnes hat sich die Partnerschaft unserer Autorin verändert. Dass ihr das passieren kann, hätte sie nie für möglich gehalten.
Ich liebe meinen Mann über alles. Und ich weiss genau, weshalb ich ihn vor vier Jahren geheiratet habe. Ein Liebeslied könnte ich auf ihn singen. Eines mit so blumigen Passagen, dass ich beim blossen daran Denken heulen könnte. Aber seitdem unser Sohn vor sechs Monaten zur Welt kam, kann ich auch ganz anders.
«Ein Kind stellt die Beziehung auf die Probe», habe ich ein Leben lang gelesen und gehört. Wir waren uns sicher, dass das stimmt. Waren uns aber auch sicher, dass wir das cooler handhaben werden als alle anderen. Wir streiten beide nicht, sind kompromissbereit und respektieren einander sehr. Wir wissen, wie gut der eine den anderen ergänzt und wie gut wir deshalb zusammenpassen. Doch beim Thema postnatale Beziehung waren wir etwas blauäugig, denn seit der Geburt ändert sich meine Meinung über meinen Mann gefühlt jede Stunde. Und ich mag das überhaupt nicht.
Plötzlich ist alles eine Grundsatzdiskussion geworden für mich. Das nicht richtig aufgehängte Handtuch ist nicht mehr nur ein nicht richtig aufgehängtes Handtuch – es ist für mich Sinnbild einer konservativen Rollenverteilung. Und es stellt einen vermeintlich mangelnden Respekt meiner Hausarbeit dar. Unser Sohn, so schmeiss ich es meinem Mann immer an den Kopf, wird es eines Tages als ganz normal empfinden, dass ich hinter ihm herräume. Oder schlimmer: Dass eine Frau die Drecksarbeit für ihn macht. Und umgekehrt: Dass er sich nicht um das trockene Handtuch seiner eigenen Frau kümmern muss. Er wird dadurch nie lernen, dass es keine konservative Rollenverteilung gibt, sondern nur eine Aufgabenverteilung, auf die sich ein Paar individuell einigt. Es ist kein Handtuch mehr. Es ist der mit Füssen getretene Respekt mir als Frau und Person gegenüber.
Von Tassen im Lavabo und Schuhen im Wohnzimmer
Und das ist nur das Handtuch. Solche Diskussionen ziehen plötzlich weitere Kreise. Die Tasse im Lavabo. Mein nicht aufgeschütteltes Kissen, wenn er das Bett macht. Seine Schuhe im Wohnzimmer (meine sind ok, weil ich sie wegen des Hundes eh ständig an- und ausziehe). Mein leeres Glas Wasser und sein volles. Sein Musikwunsch im Auto und nicht meiner ...
Ich habe seit der Geburt im November schon dutzende Male vor Wut kochend meine Freundin angerufen, um mich in aller Härte über meinen Mann auszulassen. So war ich nie. Und so wollte ich nie sein. Ich möchte meine neuen Gefühle auch nicht banal mit der Erklärung, durch das Muttersein «dünnhäutig geworden zu sein» abtun, denn ich finde, dass meine neue Empfindlichkeit es verdient hat, ernstgenommen zu werden – und das vor allem von mir selbst. Aber worum geht es mir denn eigentlich? Und weshalb ist mein Mann schuld?
Die Familie, das neue Projekt
Wir erziehen einen Menschen. Wir erziehen einen Menschen, der in seinem Umfeld eines Tages auf irgendeine Art und Weise Einfluss nehmen wird. Er wird Menschen glücklich oder unglücklich machen. Er wird Teil einer Gesellschaft sein, die wir mit unserer Erziehung heute mitgestalten. Und nicht zuletzt: Seine Erziehung wird eines Tages auch mein Leben beeinflussen. Wenn ich mit 90 Jahren alt und grau daheim sitzen werde, dann wird es für mich einen Unterschied machen, ob ich einen Sohn habe, der mich anruft, mich besuchen kommt und sich liebevoll um mich kümmert, oder nicht. Ich möchte nicht verbissen wirken, oder verbissen sein. Aber ich nehme die Verantwortung, die ich als Mutter trage, ernst. Und was wir vorleben, wird massgeblich mitgestalten, welche Art von Mensch mein Sohn eines Tages sein wird.
Dass mein Mann plötzlich der Feind dieser Lebensaufgabe und in meinem Zuhause geworden ist, finde ich schlimm. Auch er. Vor allem aber enttäuscht uns unsere anfängliche Arroganz, dass wir das viel besser machen werden als alle anderen. Wir waren doch sonst immer so gut in allem. Als wir unsere Hochzeit geplant haben, stritten wir nie. Er war der Weddingplaner und ich war die entspannte Braut, die seinem Geschmack und Organisationstalent vertraut hatte. Zu Recht: Unsere Hochzeit war ein Traum. Aber das jetzt ist kein Event mehr. Es ist unser Kind und wir als Familie sind das neue Projekt, das nie enden wird.
Neue Toleranzgrenze
Meine neue Erwartungshaltung an meinen Mann ist so hoch, dass er sie unmöglich erfüllen kann. Da muss ich ehrlich sein. Übrigens könnte auch ich mich in seinem Zuständigkeitsbereich mehr engagieren, finde es aber irgendwie ok, es nicht zu tun. Ich hege diese arrogante Haltung, dass ich allein durch die Tatsache, dass ich die Mutter bin, schwanger war, geboren und gestillt hab, unantastbarer bin als er. Es läuft wohl darauf hinaus, dass ich im Umgang mit ihm nicht aus der Mutterrolle rausfinde. Oder anders: Dass ich meine Rolle als Frau und Freundin nicht mehr genug lebe. Das täte nicht nur ihm oder mir, sondern auch unserem Kind gut. Und jetzt kommt der schwierigste Teil: Ich lerne gerade, dass ich nur 50 Prozent des Elternpaars bin. Wenn die anderen 50 Prozent entscheiden, dass Schuhe vor dem Schlafzimmerboden oder ein krummes Handtuch ok sind, dann zählt nicht meine totalitäre Meinung, sondern auch seine. Es ist schliesslich auch sein Zuhause. Klingt komisch, ist aber so.
Ich hab mich entschieden, Gnade walten zu lassen, oder es zumindest zu versuchen. Das finde ich äusserst schwer. Mein Mann muss mich nicht plötzlich lesen können. Und wir müssen auch nicht mit allem einverstanden sein. Aber vor allem können wir unserem Sohn zwei verschiedene Versionen des Elternseins, Partnerseins und Menschseins vorleben. Solange die beiden Versionen sich nicht bekämpfen, sondern ergänzen, ist doch eigentlich alles gut. Schliesslich will ich nicht eine Mutter sein, die wegen jedem Handtuch ausrastet und mit dem Hund wütend aus der Wohnung stürmt. Muttersein bedeutet für mich derzeit vor allem, dass ich mich selbst neu kennenlerne und an einer neuen Toleranzgrenze arbeiten muss. Und seien wir ehrlich: Ein schräges Handtuch wird unseren Sohn weniger prägen als eine ständig gereizte Mutter.
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