Mamablog: Elterliche WahrnehmungMein Baby, das Genie
Mein Kind ist hochbegabt. Fast alle Eltern denken so über ihren Nachwuchs. Auch unsere Autorin und ihr Mann.
Das erste Mal fiel es uns auf, als unser kleiner Junge zwei Wochen alt war. Es kam total unerwartet: Wir ahnten an dem Tag nichts Böses und plötzlich schaute er. Er schaute aber nicht irgendwie oder irgendwohin ins Leere. Er schaute uns an. Direkt in unsere Augen. Wir fanden, er sei ziemlich jung für einen derart aufmerksamen, wachen Blick. Dann begannen sich die Ereignisse zu überschlagen: Zwei Wochen später hielt der Kleine seinen Kopf. Damals noch nicht stabil genug, um einen Hula-Hoop-Reifen um seinen Hals kreisen zu lassen, aber genug hoch, dass mindestens drei Streichhölzer horizontal aufeinander zwischen seinem Kinn und dem Boden Platz gehabt hätten. Man hört und liest ja von diesen Wunderkindern. Aber wenn man dann selbst eins hat ... darauf kann man sich nicht vorbereiten.
Offensichtlich unterfordert
In der Zwischenzeit ist der Sohn 19 Wochen alt. Sein Vater und ich sind sehr stolz. Im Bus schaut er umher. Sie lesen richtig: Umher! Vor allem an die Decke mit den Lampen. Auch Da Vinci und Einstein sagte man nach, sie hätten als Babys umhergeschaut. Weiter beginnt er, Laute zu üben. Der Beginn des Redens. Natürlich klingt es derzeit eher, als würde er gleich zu heulen beginnen. Aber gestern hat er «auäää bääää nääää» gesagt. Wir sind uns sicher, er hat eigentlich «Alea iacta est» gemeint. Der Nuggi hat ihn wohl in seiner deutlichen Aussprache behindert. Ein Genie, dieses Kind. Ein Genie. Und er verliert nach paar Minuten bereits das Interesse an seinen Spielsachen. Heute Nachmittag hat er den Rasselball nach wenigen Minuten weggeschmissen. Er ist eben schnell unterfordert, unser Genie-Baby. Es ist ganz offensichtlich.
Nicht repräsentative Umfragen zeigen, dass 98 Prozent aller Eltern glauben, ihr Baby sei hochbegabt. Tatsächlich fallen nur 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung in diese Kategorie. Mein Mann und ich sind sehr stolz, ist es doch so rar, eines dieser Wunderkinder zu haben.
Geringes Schlafbedürfnis
Im Internet haben wir eine Checkliste gefunden, die bei der Erkennung von Hochintelligenz bei Kindern helfen soll. «Auffallend geringes Schlafbedürfnis». Ja! Unser Sohn schläft im Vergleich zu keinem anderen Kind, das wir nicht haben, wenig. «Grosses Interesse für die Umgebung». Ich sags ja: Er schaut umher. «Sucht viel Körperkontakt». Absolut! Mein Baby wird am liebsten getragen und ausgiebig geschmust. Mein Mann und ich blickten uns nach der Besprechung dieser Liste in die Augen, nickten und lächelten zufrieden.
Ein Abendkleid für die Nobelpreis-Verleihung
Aber wir sind keine dieser Push-Eltern. Unser Sohn soll ganz Kind sein dürfen. Dass ich mir bereits ein Abendkleid für die Nobelpreis-Verleihung 2045, in der ich davon ausgehe, dass mein Sohn in drei Kategorien gewinnen wird, ausgesucht habe, hat nichts mit Übereifer zu tun. Ich möchte nur vorbereitet sein. Ach, mein Sohn. Mein Genie-Sohn. Dabei ist es schon etwas erstaunlich, dass ausgerechnet unser Kind so unfassbar überintelligent ist. Ich selbst bin aus dem Gymnasium geflogen. Mein Mann hat immerhin eine Universität besucht. Dennoch ist unsere geistige Leistung keine, weswegen sich unser Umfeld ungläubig die Augen reibt. Aber unser Sohn ... der kann was. Aus dem wird was Grosses.
Wir überlegen uns manchmal, wie das so für die anderen Eltern ist. Immerhin werden die meisten bald erfahren, dass ihr Baby nicht hochintelligent ist. Das muss hart sein. All die Mütter, die sich auf Nobelpreis-Galas vorbereitet haben und nie an eine eingeladen werden. Bitter. Ich selbst kenne ja auch solche Eltern, die irrtümlich von einer solchen Überintelligenz bei ihren Kindern ausgehen. Die Ärmsten. Ich hoffe, denen wird das eines Tages schonend beigebracht.
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