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Mein Baby fällt mir bestimmt nicht runter

Gefährlich wirds, wenn Babys plötzlich «der Schwerkraft anheim fallen».
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Heute hauen wir mal nicht Forenmuttis oder Herrn Pickert in die Pfanne, sondern mich. Das wird ein Fest.

Die Geschichte beginnt mit einer grossen Portion Überheblichkeit. Beim ersten Untersuchungstermin des Babys drückte mir der Kinderarzt einen Faltprospekt in die Hand. Bestimmt stand darauf so etwas wie: «Ratgeber Kindergesundheit – Unfälle vermeiden!». In meiner Erinnerung jedoch lautet der Titel eher: «Ey du Depp, pass mal auf, dass dir dein Kind nicht vom Wickeltisch fällt!». Mein Blick war unmissverständlich: «Äh hallo, ich bin doch nicht dumm. Ich kann zwar keinen Ball fangen, aber bestimmt ein Kind festhalten.»

Der Kinderarzt erkannte diesen Blick natürlich sofort und fügte mit ernstem Gesicht an: «Es passiert leider immer noch viel zu oft, dass Babys vom Mobiliar fallen.» Ich bestätigte mit: «Aha, jaja.»

Wir spulen sieben Monate vor: Das Baby befindet sich gerade im freien Fall vom Sofa auf den Parkettboden. (Eigentlich Laminat, wir sind arme Leute.) Was war passiert? Die Frau und ich sassen auf dem Sofa, das Baby scheinbar wohlbehütet dazwischen. Plötzlich streckte es seine Arme zur Sofakante und zog sich mit einem Ruck darüber. Während wir in Zeitlupe «Naaaaaaain!» schreien und nach dem Baby greifen, beschleunigt es auf knapp Schallgeschwindigkeit. Wir kriegen es tatsächlich zu fassen, kurz NACHDEM seine Stirn auf dem Boden aufgeschlagen hat.

Es folgen die üblichen Schritte:

  1. Weinen: «Wuääääähähäwäää!»

  2. Trösten: «Ohh … armes Baby … pschsch … alles wird gut.»

  3. Alles ist wieder gut: «Siehst du?»

  4. Beule beobachten: «Schon ein bisschen rot, aber könnte schlimmer sein.»

  5. Gewissensberuhigung: «War ja nicht so hoch. Das billige Laminat dämpft bestimmt! Zum Glück haben wir nicht Parkett.»

  6. Unsicherheit: «Hm, komisch, hat sich der Schädel schon immer so angefühlt? War da nicht mal die Fontanelle? Hier müsste doch …»

  7. Der unvermeidbare Entscheid: «Ja, du hast recht, wir fahren besser.»

Natürlich ist es schon spät am Abend. Wir fahren also in den Kindernotfall. Immerhin: Ich kann endlich das Kurvenlicht am neuen Auto testen. Es funktioniert bestens. Die Ärztin findet am Baby auch keine Auffälligkeiten, und unsere Beschreibung klinge zwar blumig, aber nicht dramatisch. Wir erwähnen zur Sicherheit noch, dass das Baby im Wartezimmer gespuckt hat, aber das sei bestimmt kein Grund zur Sor…
Die Ärztin unterbricht: «Gespuckt oder erbrochen?»

Eltern: «Puh, schwer zu sagen, es hat noch nie richtig gekötzelt. Es war schon nicht wenig …»
Ärztin: «Einen Moment bitte.»

Ärztin nach einer Besprechung mit anderen Ärzten: «Erbrechen kann Zeichen einer Gehirnerschütterung sein. Wir würden Ihr Kind gerne über Nacht beobachten.»

Eltern: «Ja äh … wenn Sie meinen.»

Ärztin: «Leider haben wir keinen Platz. Aber ich habe bereits das Spital in der nächsten Stadt informiert. Sie werden dort erwartet.»

Man kann in so einer Situation ja nicht mehr zurückrudern. Fünf Minuten später sind wir in besagter Stadt (dafür muss man das Ruhrgebiet lieben) und quartieren uns für die Nacht ein. Es sollte eine schlimme Nacht werden. Bettnachbar ist der kleine Ömir. Ein sehr niedliches Baby, aber in ihm steckt ein dunkles Geheimnis. Seit der Darmoperation am Vortag kann er zum ersten Mal seit sechs Monaten gross. Ömir drückt die ganze Nacht.

Am nächsten Tag meint die Ärztin, dass nichts auffällig sei. Abgesehen natürlich von Ömirs Windel. Sie würde unser Baby aber gerne 48 Stunden überwachen. Sicher ist sicher. (Nei würklech?) Leider müssten wir dazu in ein Zimmer ohne Bad wechseln.

«Immerhin sind wir im neuen Zimmer allein», denken wir, kurz BEVOR eine fünfköpfige Familie mit gebatikten Kleidern den Raum betritt. Sie sind da, weil Krishna, der älteste Sohn … äh, keine Ahnung, was er hatte. Als seine Mutter der Schwester vordiktiert, wie Krishnas Speisen zubereitet werden müssen, rufen wir die Ärztin. Wir entlasten sie mit zig Unterschriften von jeder Verantwortung und verlassen das Spital fluchtartig.

Das Erlebte war eine gerechte Strafe für unsere Unachtsamkeit. Ich habe mir zwar kaum Sorgen um das Baby gemacht, schliesslich wussten wir, dass die Wahrscheinlichkeit einer ernsten Verletzung klein war. Aber wir wollten auch kein Risiko eingehen, denn mit Hirnblutung und -erschütterung ist nicht zu spassen. (Wirklich, null Humor die beiden.) Unter dem Strich bleibt uns ein unangenehmer Spitalaufenthalt in Erinnerung.

Diese Geschichte endet mit etwas mehr Bescheidenheit. Ich habe nämlich zwei Dinge gelernt:

  1. Nur weil ich früher dachte, ich werde mal der beste Vater sein, bin ich es noch nicht automatisch. Eine Erkenntnis, die mir fast täglich dämmert.

  2. Es stimmt tatsächlich, was in diesen Faltprospekten steht: Kinder können ohne Vorwarnung plötzlich unglaublich gefährliche Kunststücke wie «sich bewegen» oder «der Schwerkraft anheimfallen». Wenn man ihnen nicht dauernd einen Schritt voraus ist, pflanzen sie irgendwann ihr Gesicht aufs Laminat.

Zum Glück bin ich unglaublich lernfähig. Und überzeugt, dass mir mein Baby jetzt nie mehr irgendwo runterfällt.

Dieser Artikel wurde erstmals am 18. März 2015 publiziert und am 7. Juni 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.