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Viele Tote und Verletzte in Texas
Massaker eines 18-Jährigen an US-Grundschule

Angehörige von Schülern der Grundschule in Uvalde versammeln sich entsetzt vor dem Gemeindezentrum. (24. Mai 2022)
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Es ist eine Tat jenseits des Vorstellbaren: Ein junger Mann stürmt bewaffnet in eine Grundschule im US-Bundesstaat Texas und schiesst um sich. Mindestens 19 Schulkinder sterben. Jungen und Mädchen, die sich vielleicht darauf gefreut hatten, nach der Schule mit ihren Freunden zu spielen. Nun sind sie tot. Zwei Erwachsene kamen ebenfalls ums Leben, wie ein Sprecher der Behörde für öffentliche Sicherheit in dem US-Staat am Dienstagabend mitteilte. Damit liegt die Zahl der Todesopfer aktuell bei 21 Menschen.

Was kann einen Menschen dazu antreiben, ausgerechnet in einer Grundschule ein Blutbad anzurichten? Was ist los in diesem Land? Der Amoklauf in der kleinen Stadt Uvalde in Texas ist eine der veheerendsten Attacken dieser Art in den USA und lässt viele Amerikaner ratlos und fassungslos zurück. Wieder einmal.

Die Welt in dem 16’000-Einwohner-Ort nahe San Antonio in Texas wird an diesem Dienstag jäh aus den Fugen gerissen. Der Angriff ereignete sich an einer Grundschule des Ortes. Der Angreifer hatte nach Angaben von Beamten des texanischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit zunächst auf seine Grossmutter geschossen. Anschliessend floh er bewaffnet mit mindestens einem Gewehr in seinem Auto.

Alle Todesopfer waren in einem Klassenraum

Nach einem «spektakulären» Unfall drang er in die Robb Elementary School ein, wo er in mehreren Klassenzimmern das Feuer eröffnete. Dabei tötete er neben den 19 Kindern auch zwei Erwachsene, darunter mindestens eine Lehrkraft.

Das Blutbad hat der Täter nach Angaben der Polizei in einem einzelnen Klassenraum angerichtet. Alle Opfer hätten sich in dem Klassenzimmer befunden, in dem sich der Täter zuvor verbarrikadiert hatte, sagte Polizeisprecher Chris Olivarez am Mittwoch dem US-Sender CNN.

Polizisten hatten noch versucht, ihn am Betreten der Schule zu hindern. Sie erschossen den mit einer Schutzweste ausgestatteten Angreifer schliesslich.

Bei dem Schusswechsel wurden Gouverneur Greg Abbot zufolge auch zwei Beamte leicht verletzt. Die Grossmutter des Verdächtigen wurde mit dem Helikopter ins Spital gebracht. Ihr Gesundheitszustand ist unklar.

Die Polizei im Einsatz bei der Robb Elementary School in Uvalde in Texas.

Abbott nannte den Namen des Verdächtigen als S. R. Sein Motiv war zunächst unklar. Die Polizei geht davon aus, dass er allein handelte. Auf mittlerweile gelöschten Fotos auf der Bilderplattform Instagram hatte er halbautomatische Gewehre präsentiert. Medienberichten zufolge soll der Schütze die bei der Tat verwendeten Waffe eine Woche nach seinen 18. Geburtstag gekauft haben. Das Verhalten des Amokläufers habe sich zuletzt verändert, zitierte die «Washington Post» einen Jugendfreund. Er habe bei seiner Mutter und manchmal bei seiner Grossmutter gelebt und sich in letzter Zeit aggressiv verhalten.

Die Grundschule ist nach der Attacke abgeriegelt und von Einsatzfahrzeugen umgeben. Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie Krankentragen aus dem Gebäude gerollt werden. Eltern irren auf der Suche nach ihren Kindern umher. Eine Frau, deren Nichte zunächst noch vermisst wird, wartet im Auto vor einem nahe gelegenen Spital. «Wir wissen nicht, wo sie ist», sagt sie dem Lokalsender Kens5. «Es ist nicht typisch für meine Nichte, sich nicht zu melden. Ihr Telefon ist aus.» Die Nichte ist in der vierten Klasse. Die Grundschule hat rund 500 Schüler, die meisten von ihnen haben hispanische Wurzeln. Donnerstag wäre ihr letzter Schultag gewesen. 

Biden: «Wir müssen handeln»

Wenige Stunden nach der Attacke versucht US-Präsident Joe Biden in Worte zu fassen, was viele Eltern in Uvalde womöglich fühlen: «Ein Kind zu verlieren, ist, als wenn einem ein Stück der eigenen Seele entrissen wird», sagt Biden unmittelbar nach seiner Rückkehr von einer Asien-Reise im Weissen Haus. Biden kennt diesen Schmerz: Er verlor als junger Mann seine erste Ehefrau und seine kleine Tochter bei einem Autounfall. Später starb einer seiner erwachsenen Söhne an Krebs. Es sei, als ob man ersticke, sagt Biden.

Dann redet sich der Präsident in Rage über eine Epidemie an Waffengewalt, die es sonst nirgendwo auf der Welt gebe, über irrsinnige Waffengesetze und jahrzehntelange Untätigkeit. «Ich habe es satt», klagt er. «Wir müssen handeln. Sagen Sie mir nicht, dass wir keinen Einfluss auf dieses Gemetzel haben können», sagte er an die Adresse der Republikaner, die sich gegen strengere Waffengesetze wehren. Die Waffenflut im Land, insbesondere Sturmgewehre, müsse stärker reguliert werden. Biden kam gerade von seiner Asienreise zurück. Noch im Flugzeug ordnete er an, die US-Flaggen auf halbmast zu setzen, wie das Weisse Haus erklärte.

Biden erinnert auch an jene Attacke von 2012, die diesem Angriff in Texas auf so erschreckende Weise ähnelt: In Newton im Bundesstaat Connecticut drang damals ein 20-Jähriger mit schweren psychischen Problemen in seine frühere Grundschule ein und tötete dort 20 Schulkinder und sechs Lehrer, nachdem er zuvor seine Mutter erschossen hatte. Das Massaker an der Sandy Hook Elementary School stach selbst im Land der ständigen Schiessereien auf brutale Weise heraus. Doch wer dachte, dass die Waffenanhänger im Land spätestens nach diesem unfassbaren Verbrechen zur Vernunft kommen würden, der täuschte sich. Alle Versuche, die Waffengesetze in den USA deutlich zu verschärfen, schlugen auch nach dem Blutbad von Sandy Hook fehl.

Auch danach gingen die Amokläufe und Schiessereien weiter: in Schulen, in Supermärkten, in Kirchen, Synagogen. Allein im vergangenen Jahr zählte die US-Bundespolizei FBI 61 Amokläufe mit Schusswaffen im Land – etwa ein Amoklauf alle sechs Tage. Und das ist nur ein minimaler Ausschnitt. Das Ausmass an Waffengewalt insgesamt ist in den USA ungleich grösser. Pistolen und Gewehre sind extrem leicht zu kaufen. Laut einer Statistik der Gesundheitsbehörde CDC etwa wurden im Jahr 2020 rund 20’000 Menschen in den USA erschossen – das sind mehr als 50 Tote pro Tag.

Obama: «Unser Land ist gelähmt»

Auch der frühere US-Präsident Barack Obama äusserte sich zur Tat. Er sprach den Angehörigen sein Beileid aus. «Michelle und ich trauern mit den Familien in Uvalde», schrieb Obama am Dienstagabend (Ortszeit) auf Twitter. «Sie erleben einen Schmerz, den niemand ertragen sollte.» Er und seine Frau seien auch wütend, fügte der US-Demokrat hinzu und kritisierte in diesem Zusammenhang die oppositionellen Republikaner und die Waffenlobby.

Der Erzbischof von San Antonio tröstet Eltern, die ihre Kinder im Massaker verloren haben.

«Unser Land ist gelähmt, nicht durch Angst, sondern durch eine Waffenlobby und eine politische Partei, die keine Bereitschaft gezeigt haben, in irgendeiner Weise zu handeln, um diese Tragödien zu verhindern», erklärte Obama. Er erinnerte an das Massaker von Sandy Hook im Jahr 2012 und an eine weitere Tat in Buffalo, bei der ein Schütze diesen Monat in einem Supermarkt das Feuer eröffnet hatte. Es sei längst an der Zeit zu handeln, schrieb der Ex-US-Präsident. Dass Familien noch auf konkrete Massnahmen warten müssten, sei eine weitere Tragödie. Michelle Obama (58) teilte den Post auf ihrem eigenen Twitter-Profil.

Recht auf Waffenbesitz ist eine Art Heiligtum

Amerika dürfe die tägliche Waffengewalt nicht einfach akzeptieren, fordert eine Mutter, die 2012 ihren kleinen Sohn bei dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule verlor, im Interview mit dem Sender CNN. «Man kann sich nicht vorstellen, was die Eltern dort gerade für einen Horror durchleben», sagt sie mit Blick auf Uvalde und schiebt nach: «Ich weiss nicht, wie viel mehr unser Land noch aushalten kann.»

Das Recht auf Waffenbesitz ist für viele Konservative in den USA eine Art Heiligtum, der Inbegriff von Freiheit, ein Grundrecht, das nicht anzutasten ist. Die Waffenlobby in den USA ist enorm mächtig. Gleich nach dem Amoklauf an der Grundschule in Texas beginnen einzelne Republikaner einmal mehr eine Debatte, dass nicht Waffen das Problem seien, sondern lediglich einzelne ihrer Besitzer. Der republikanische Senator Ted Cruz, der Texas im Senat vertritt, warf den Demokraten umgehend vor, die Attacke in Uvalde zu «politisieren», um das Recht auf Waffenbesitz einzuschränken.

Ein demokratischer Senator, Chris Murphy, lässt seinem Frust über den politischen Stillstand bei dem Thema freien Lauf: «Was machen wir?», fragt Murphy bei einem emotionalen Auftritt in der Kongresskammer. An seine Senatskollegen gerichtet wettert er: «Warum machen Sie sich die Mühe, diesen Job zu bekommen (...), wenn Ihre Antwort lautet, dass wir nichts tun, während diese Metzelei zunimmt und unsere Kinder um ihr Leben rennen?»

Murphy kommt aus Connecticut, jenem Bundesstaat des Sandy-Hook-Massakers. Die Waffengewalt sei eine Besonderheit der USA, meint er. «Nirgendwo sonst gehen kleine Kinder mit dem Gedanken zur Schule, dass sie an diesem Tag erschossen werden könnten», sagt Murphy. «Es ist unsere Entscheidung, ob das weitergeht.»

SDA/AFP/oli/sys/fal