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Max-Frisch-Inszenierung am Pfauen
Biedermann – mit Mauch und Köppel

Biedermann (eine grossartige Patrycia Ziolkowska) lässt sich nicht ungern von Brandstifter Schmitz (gleichfalls virtuos: Niels Bormann) umarmen: Halb drückt er ihn, halb sinkt er hin.

Eine Triggerwarnung gab es nicht. Denn getriggert werden von der «Biedermann und die Brandstifter»-Inszenierung, die jetzt am Pfauen Premiere hatte, höchstens jene, die Max Frisch lieber buchstäblich gespielt sehen als beim Wort genommen. Die scheidenden Ko-Intendanten des Schauspielhauses Zürich, Regisseur Nicolas Stemann und Dramaturg Benjamin von Blomberg, gestalten Frischs «Lehrstück ohne Lehre» von 1958, welches das Mitläufertum in Zeiten von aufkeimender Diktatur burleskifiziert, als Lustspiel mit Lektion von 2024 – gerade dadurch, dass sie es maximal offen halten. Sogar die jugendlichen «Biedermann»-Novizen, die mich an die Vorstellung begleitet hatten, waren hin und weg, mitgerissen vom komödiantischen Kick des Abends, obwohl sie der Story nicht komplett hatten folgen können.

Dass die umwerfende Patrycia Ziolkowska als Biedermann in weissem Hemd, mit extraschmaler Businesskrawatte und extrafetter Fabrikantenzigarre, gleich zu Beginn eigenhändig einen Benzinkanister auf die Bühne bringt, setzt das Opfernarrativ dieses gut situierten Bourgeois von vornherein ausser Kraft. So angestrengt der Haarwasserhersteller Biedermann während der folgenden knapp zweieinhalb Stunden alle naselang tut, als realisiere er nicht, dass die zwei Hausierer in seinem Dachstock Brandstifter sind und Böses im Schilde führen, so klar ist auch, dass er beim Gezeusel von allem Anfang an mit von der Partie ist.

Was heisst «mit von der Partie»? Er initiiert die Party! Wie Ziolkowskas Biedermann sich erotisiert dem hausierenden Brandstifter Schmitz entgegenwindet, wie er ihn küssend umschlängelt und umschlingt, als wärs seine eigene bessere Hälfte, ist grossartig vieldeutig.

Festmahl ohne Tischtuch, aber mit vielen Benzinkanistern – vorne: Kay Kysela als Brandstifter Willy (links), Biedermann (mittig) und Schmitz. Hinten: Die drei Witwen Knechtlings und die beiden Musiker Thomas Kürstner (links) und Sebastian Vogel.

Stemann formuliert im Programmheft, dass er die Brandstifter – auch – als «Abspaltung der Biedermänner» begreift, die ausblenden, dass sie im Geschäftsleben selber dauernd Opfer produzieren. Schliesslich geht Biedermann ja über Leichen. Er hat seinen Angestellten mit dem sprechenden Namen Knechtling ausgebeutet und treibt ihn in den Freitod, während er im Salon am Pfauen sein Mantra swingt und singsangt: «Ich bin kein Unmensch, ich bin kein Unmensch.» Dass die Metapher vom menschengemachten, profitgetriebenen Weltenbrand heutzutage brutal real geworden ist und auch das Erstarken rechter Kräfte ubiquitär, schwingt da immer mit.

Darum kann sich der Hausierer auch als Hausherr gebärden: Niels Bormann kopiert als Schmitz die Übergriffigkeiten Biedermanns, wenn er sich grotesk machomässig über diesen beugt; wenn er sich den Platz auf der Bühne nimmt wie der Patriarch aus den Fünfzigerjahren. Dann wieder gleitet Bormann umstandslos und virtuos in die Rolle von Dienstmädchen Anna mit Häubchen und Schürzchen, die sich ihrerseits Biedermanns Gefummel gefallen lassen muss – bis sie sich endlich wehrt.

Die andere wehrhafte Frau im Stereotypengefängnis ist Biedermanns Angetraute Babette. Sie versteckt gleichfalls einen muskulösen Zündler unter dem konventionellen Kostüm und den Wohlstandsinsignien – Ohrringe, Perlenkette, Fingerringe (Kostüme: Marysol del Castillo): So stark hat man Kay Kysela noch nicht gesehen!

Das grandiose Trio Kysela, Ziolkowska und Bormann spielt die Inszenierung in eine, nun ja, Theater(in)brunst hinein, dass man tatsächlich nur noch gebannt zuschaut und sich fast wie Nero vorkommt, derweil sich die Bühne allmählich mit bunten Benzinkanistern füllt. Das ist alles gefährlich witzig. Und hat – meistens – Tempo und Temperament, verliert nur im letzten Teil an Stringenz.

Elan unterm Lüster: Die Musiker und das Dienstmädchen samt Biedermann, der sich auf dem Gepäckträger fahren lässt.

Daher übersieht man gern das traurige theatrale Aschehäuflein dort, wo Stemann die schillernde Offenheit aufgibt zugunsten satirischer Banalität. Karikiert werden hier samt Namensnennung Stadtpräsidentin Corine Mauch, der «Weltwoche»-Chef Roger Köppel und der «Sepp von der FDP»; es wird angedeutet, die linke Präsidentin sei opportunistisch vor den Rechten eingeknickt – ein täppischer Versuch der Intendanten, die Nichtverlängerung ihres Vertrags zu erklären?

Auch wie am Schluss das teils fragwürdige Stiftungswesen der Schweiz und eine Profit- und SUV-orientierte Baupolitik aufs Korn genommen wird, ist bloss begrenzt komisch. Immerhin gerät da zur stimmigen Volte, dass sich dafür der Chor der Feuerwehrmänner – Sebastian Rudolph und Daniel Lommatzsch – in ein Duo aus Hinterzimmer-Strippenziehern in Anzug und Krawatte verwandelt: Am Ende haben eben alle mitgemischt.

Viel näher dran fühlt man sich jedoch eher dadurch, dass der Bühnenraum eine ironische Erweiterung des Plüschparketts darstellt, in dem wir sitzen. Von der Rampe führt eine altrosa ausgekleidete Freitreppe ins denkmalgeschützte, bekanntlich keinesfalls umzubauende Fantasiereich des Pfauen, bis unter einen riesigen Lüster (Bühnenbild: Katrin Nottrodt). Dort regieren der Schlagzeuger Thomas Kürstner sowie Sebastian Vogel an Keyboard und Geige: Ihr Soundtrack ist geradezu ein weiteres Ensemblemitglied, inklusive Fahrradklingelkonzerten, Husteinlagen und dem Anti-Neonazi-Song «Schrei nach Liebe».

Doch noch ein ganz anderer Schrei durchdringt den gepflegten Haushalt Biedermanns: In Trauerflor erscheint Knechtlings Witwe quasi selbdritt (Anina Steiner, Ann-Kathrin Stengel und Hannah Weiss). Die weibliche Stimme am Rand verschafft all jenen Gehör, die ausgenutzt und verletzt werden, aber nicht zu Wort kommen.

Kurz: Der Regisseur hat zahlreiche Zündschnüre ausgelegt. Nicht jede fängt Feuer, aber es reicht mühelos für ein fulminantes Abschiedsfeuerwerk.

Vorstellungen: www.schauspielhaus.ch