Mathias Zopfi im Interview«Es war ein Fehler, dass sich die GLP von den Grünen abgespaltet hat»
In der Bundesratsfrage gehört der Glarner Mathias Zopfi zu den Kronfavoriten der Grünen. Im Interview sagt er, ob er antritt und wie er sich die Zukunft der Partei vorstellt.
Wann immer über eine grüne Bundesratskandidatur gesprochen wird, fällt sein Name: Mathias Zopfi, Glarner Ständerat. Zu jenen, die ihn als Kronfavoriten handelten, gehört etwa der mächtige Bauernpräsident Markus Ritter. Vor den Parlamentswahlen dachte er laut darüber nach, den Grünen auf Kosten der SP zu einem Bundesratssitz zu verhelfen, und nannte dabei explizit Zopfis Namen. Dieser sei «blitzgescheit und nur minimal ideologisch», so Ritter.
Inzwischen ist klar: Die Grünen treten – trotz Wahlniederlage – zu den Bundesratswahlen an. Allerdings greifen sie nicht den Sitz der SP an, sondern jenen der FDP. Ein Anwärter hat sich bereits aus der Deckung gewagt: Der Freiburger IT-Unternehmer Gerhard Andrey stellt sich als Kandidat zur Verfügung. Bis Ende Woche will auch der Zürcher Nationalrat Bastien Girod seine Entscheidung bekannt geben. Und was macht Mathias Zopfi? Im Interview bezieht er Stellung.
Herr Zopfi, Ihr Name ist seit Monaten im Spiel, wenn es um eine grüne Bundesratskandidatur geht. Kandidieren Sie?
Nein, ich trete nicht an. Mit Gerhard Andrey haben wir eine hervorragende Kandidatur. Er ist glaubwürdig als Unternehmer und steht wie ich für eine pragmatisch-grüne Politik. Ich bin stolz, dass wir jemanden wie ihn in unserer Partei haben. Das zeigt auch, dass wir vieles richtig machen.
Gehen Sie davon aus, dass Gerhard Andrey der einzige grüne Bundesratskandidat bleibt?
Das weiss ich nicht. Aber mit der Kandidatur von Gerhard Andrey könnten wir ein interessantes Profil der Grünen zeigen. Seine Kandidatur symbolisiert, dass wir in Richtung Mitte offen sind und auch Leute mit unternehmerischer Erfahrung haben. Mit ihm müssen wir auch den Vergleich mit der FDP nicht scheuen, was die Erfahrung als Unternehmer angeht. Dieses Profil der Grünen wird gesamtschweizerisch wenig wahrgenommen – das muss sich ändern.
«Wir zeigen mit diesem Schritt, dass wir es ernst meinen. Anstatt eine dogmatische Kandidatur zu lancieren, bei der es nur darum geht, auf den Putz zu hauen.»
Sie erhoffen sich also ein Signal, das über die Bundesratswahlen hinausgeht?
Ja. Wenn wir mit jemandem wie Gerhard Andrey antreten, der kein Ideologe ist, setzen wir ein Zeichen: Wir machen ein Angebot an das Parlament, sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Es ist alles andere als eine Alibikandidatur.
Herr Andrey wird ziemlich sicher nicht gewählt am 13. Dezember. Warum sollte das keine Alibikandidatur sein?
Ja, er wird wohl nicht gewählt. Das ist mir bewusst, das ist wohl auch ihm bewusst. Karin Keller-Sutter ist auch zweimal angetreten, bis sie Bundesrätin wurde. Es ist klar: Der Weg zu einem Bundesratssitz für die Grünen führt über genug Stimmen aus der Mitte. Wir zeigen mit diesem Schritt, dass wir es ernst meinen. Anstatt eine dogmatische Kandidatur zu lancieren, bei der es nur darum geht, auf den Putz zu hauen.
Wäre es dann nicht konsequenter, gleich den SP-Sitz anzugreifen? Dort wären die Chancen auf Erfolg immerhin etwas höher.
Das wäre inkonsequent. Die SP ist nach diesen Wahlen mit klarem Abstand die zweitgrösste Partei. Um zu einem Teil der Macht zu kommen, wäre dieser Schritt auf kurze Sicht zwar erfolgversprechender. Aber uns geht es darum, bei den grossen Herausforderungen mitzuarbeiten, die jetzt auf unser Land zukommen. Wir sagen: Entwickeln wir eine neue Zauberformel! Eine, die nicht volatil, sondern stabil ist.
Die jetzigen Bundesratsparteien leben sehr gut mit der aktuellen Situation.
Wenn es nur darum geht, die eigenen Pfründen zu verteidigen: ja. Doch es wäre – gerade auch für die FDP – besser, die Energie nicht auf die Verteidigung dieses zweiten Bundesratssitzes zu verschwenden. Würde die FDP stärker inhaltlich denken und stabile Lösungen für die Fragen der Zukunft in den Fokus stellen, bin ich sicher, dass sie mit einem Unternehmer wie Gerhard Andrey sehr gut zusammenarbeiten könnte. So kann die FDP in den grossen Fragen, etwa in der Europapolitik, etwas bewegen. Und zwar mehr, als wenn sie sich nur bei der SVP anbiedert.
Und das geht mit einer linken Grünen-Kandidatur nicht?
Ich spreche niemandem mit einem linkeren Profil ab, dass er oder sie auch eine gute Kandidatur wäre. Mir geht es ums Signal: Würde so ein Kandidat auf Kosten der FDP einen Sitz gewinnen, entstünde der Eindruck, dass die Linke nun einfach drei Sitze im Bundesrat hat. Aber die Grünen haben ein anderes Profil als die SP.
«Wir müssen nicht zwanghaft den Kapitalismus überwinden.»
Laut Parlamentarier-Rating sind die Grünen eher linker als die SP.
Ich bin kein Freund dieser Ratings. Sie zeigen nur das Ende des Prozesses und nicht die Arbeit im Parlament. Natürlich ist die SP unsere Partnerin, aber wenn man die konkrete Arbeit der Parteien vergleicht, nimmt man die Unterschiede wahr.
Werden Sie konkreter.
Die Herkunft und Geschichte der Grünen ist eine andere. Wir müssen nicht zwanghaft den Kapitalismus überwinden. Wir wollen Mehrheiten finden für den Klimaschutz, für eine progressive Europapolitik. Wir sind bereit, dafür mit der FDP und der Mitte zusammenzuarbeiten – und wenn möglich auch mit der SVP. Meine persönliche Vision ist, dass wir mit unserer Kandidatur die Hand weit bis in das Lager der Mitte und der Liberalen reichen.
Die Hand reichen? Eigentlich ist es ja eher eine Faust ins Gesicht der FDP.
Na ja, wenn der eine die Hand ausstreckt und der andere steht blöd, dann resultiert vielleicht eine Ohrfeige. Ich verstehe, dass die Abwahl von amtierenden Bundesräten ein Tabu ist, das man nicht einfach brechen will. Ich kann das auch nachvollziehen. Aber ganz ehrlich: Die Zauberformel ist tot. Wenn morgen Ignazio Cassis oder Karin Keller-Sutter zurücktritt, glaubt doch niemand ernsthaft daran, dass die FDP ihren Sitz kampflos verteidigen kann! Wir müssen es machen wie 1959 bei der Erfindung der Zauberformel. Der Zauber war damals, dass die SP konsensfähig wurde. Das hat nicht nur sozialere Politik, sondern auch mehr Stabilität gebracht.
Und dieses Mal liegt der Zauber darin, dass die Grünen konsensfähig werden?
Der Zauber ist, dass wir zeigen: Wir wollen im Bundesrat dynamische politische Mehrheiten, wie es sie auch im Parlament mehr geben wird. Gerne auch in Zusammenarbeit mit einem dritten Pol in der Mitte, der sich unter Gerhard Pfister ausbildet.
Sie wollen sich vom linken SP-Pol emanzipieren und sich eher dem Mitte-Pol annähern?
Ja, aus meiner Sicht ist das der richtige Weg. Im Stil, in den Visionen, aber auch inhaltlich. Wir wollen die Mitte für mehr Klimaschutz gewinnen. Den Bundesrat nehme ich zudem im Moment als Gremium wahr, das nicht an einem Strick zieht. Das liegt an der gescheiterten Zauberformel. Die Unsicherheit und die Instabilität führen zu Blockaden. Es sollten wieder Rezepte gewinnen, die nicht nur aus Parteischablonen bestehen. Das ist das, was unser Land gross gemacht hat.
Sie halten sich jetzt vornehm zurück und wollen dann später antreten, wenn Ihre Chancen besser sind?
Nein. Ich schliesse für die Zukunft zwar nichts aus. Aber ich kann mir eine Schweiz ohne Bundesrat Zopfi hervorragend vorstellen. Was ich mir mittelfristig nicht vorstellen kann, ist eine Schweiz ohne einen grünen Sitz im Bundesrat.
«Die GLP hätte Platz bei uns.»
Bräuchte eine Grüne Partei, die nach Ihren Vorstellungen funktioniert, auch einen gemässigten Grünen an der Parteispitze?
Das ist eine andere Frage. Anfang 2024 wird das Präsidium gewählt. Ich finde nicht, dass sich alle Grünen und die Partei insgesamt nach rechts bewegen müssen. Sondern, dass wir die Breite unseres politischen Spektrums zeigen müssen. In den vergangenen vier Jahren war der urbane Teil im Fokus. Er gehört klar zu unserer DNA, ist aber nicht das Einzige. In der Parteileitung haben wir schon jetzt gemässigtere Grüne. Franziska Ryser zum Beispiel. Ein Co-Präsidium wäre vielleicht eine Lösung, um diese Breite besser abzubilden.
Wären Sie denn auch bereit, im Rahmen eines solchen Co-Präsidiums Verantwortung zu übernehmen?
Dafür bin ich nicht die ideale Besetzung. Ich bin nicht nur einer der gemässigteren Grünen, sondern vertrete eher den rechten Pol innerhalb der Partei. Und ich habe als Ständerat eine andere Rolle. Ich vertrete zuerst die Glarnerinnen und Glarner. Aber ich bin überzeugt, dass es spannende Leute gäbe für ein Co-Präsidium. Gerade auch unter den Gewählten von 2019.
Gemeinsam könnten die Grünen und die Grünliberalen klarer Anspruch auf einen Bundesratssitz stellen. Wie eng müssen die Grünen aus Ihrer Sicht mit den Grünliberalen zusammenarbeiten?
Ich persönlich fände es sinnvoll, wenn wir näher mit der GLP zusammenarbeiten würden. Es war aus meiner Sicht bedauerlich, dass sich die GLP von den Grünen abgespalten hat. Ich fände es gut, wenn wir diesen Fehler rückgängig machen würden. Aber das ist ganz isoliert meine Meinung. Die Grünen haben ein breites Spektrum. Die GLP hätte Platz bei uns.
«Dreimal im Jahr irgendwo hinfliegen, das ist nicht Wohlstand, das ist Verschwendung.»
Die Grünen begründen ihren Anspruch auf einen Sitz in der Regierung damit, dass das Klima im Bundesrat vertreten sein müsse. Wofür müsste sich ein solcher Klima-Bundesrat aus Ihrer Sicht konkret einsetzen?
Das CO₂-Gesetz wäre garantiert anders rausgekommen, wenn eine Grüne oder ein Grüner im Bundesrat sitzen würde. Der Job des grünen Bundesrats wäre, zu sagen: Hey, vergessen wir aber nicht das Klima.
Ans Klima erinnern alle. Schmerzhaft wird es dort, wo Massnahmen konkret werden.
Klare Forderungen, wie etwa die einer Flugticketabgabe, wären zentral. Ich bin überzeugt, eine Flugticketabgabe hätte in der Bevölkerung eine Mehrheit, wenn sie gut erklärt würde und die Erträge teilweise an die Bevölkerung zurückverteilt würden. Dreimal im Jahr irgendwo hinfliegen, das ist nicht Wohlstand, das ist Verschwendung. Bei dem Punkt bin ich für einmal nicht gemässigt, da bin ich radikal. Ich will jetzt nicht mit Churchill kommen – aber es geht darum, Wahrheiten auszusprechen. Klipp und klar zu sagen: Das liegt nicht mehr drin, so geht es nicht weiter. Dafür muss man die richtigen Worte finden, dafür braucht es Empathie und Ehrlichkeit.
Wie schätzen Sie denn die Chance ein, dass die Grünen in den nächsten Jahren mitregieren?
Ich würde wetten, dass wir in zwölf Jahren eine grüne Bundesrätin oder einen grünen Bundesrat haben. Die Frage ist einfach, wie lange die Person dann schon im Amt ist.
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