WM-Gold im Team-EventDarum ist die Schweiz im Zeitfahren so gut
Das Team um Marlen Reusser und Stefan Küng hat seinen Weltmeister-Titel im Mixed-Zeitfahren erfolgreich verteidigt. Die Favoritenrolle der Schweiz in dieser Disziplin kommt allerdings nicht von ungefähr.
Die Männer hatten für die Frauen angerichtet. Als letztes Team schicken Stefan Küng, Stefan Bissegger und Mauro Schmid im Mixed-Zeitfahren in Glasgow ihre Staffelpartnerinnen ins Rennen. Sie geben Marlen Reusser, Nicole Koller und Elise Chabbey einen Vorsprung von 18,62 Sekunden mit – ein Polster, das sich als wertvoll erweisen sollte. Denn, die Strecke ist fordernd. Mal führt sie steil hoch, dann wieder ebenso runter. In den 48 engen Kurven sind zuvor nicht nur Fahrräder, sondern auch Medaillenträume zerbrochen. Und dieses Schicksal hätte beinahe auch die Schweizer Staffel ereilt: Es passiert 13 Kilometer vor dem Ziel. Reusser beginnt in einer Kurve zu früh zu pedalieren, streift mit dem Fuss den Asphalt, verliert die Kontrolle über ihr Fahrrad – und stürzt. Zum Glück ist da dieses knapp 19 Sekunden dicke Zeitpolster.
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Die Bernerin ist schnell zurück im Sattel und tut das, was sie als Zeitfahrspezialistin auszeichnet: Mit voller Kraft tritt sie die Pedale, fokussiert, als wäre nichts geschehen. Trotz dieses Missgeschickes schiessen die Frauen nicht «mit leeren Händen» ins Ziel: Sie fahren einen Vorsprung von gut sieben Sekunden auf die zweitplatzierte französische und fast eine Minute auf die deutsche Staffel ein. Damit schlüpft genau dieses Team zum zweiten Mal in Folge ins Weltmeistertrikot.
Kleines Land, grosse Favoriten
Die Schweiz gilt inzwischen als grosse Favoritin, wo auch immer ihre Zeitfahrerinnen an den Start gehen – obschon die Topographie unseres Landes eigentlich der perfekte Nährboden für Bergspezialisten ist. Das hat mehrere Gründe: Einer davon ist die Disziplinen übergreifende Nachwuchsförderung des Radsportverbandes Swiss Cycling. Durch sie sammeln auch die jungen Mountainbikerinnen und Mountainbiker Erfahrungen auf der Bahn oder beim Zeitfahren. «Das vergrössert unseren Talentpool», sagt Beat Müller, Performance-Verantwortlicher und Nationaltrainer der Mountainbiker bei Swiss Cycling.
Tatsächlich hat mit Nicole Koller eine arrivierte Bikerin den Spezialisten der Strasse in Glasgow zum Sieg verholfen. Sie wird diese Woche noch im Cross Country um den Weltmeistertitel fahren und sieht Parallelen zwischen den so unterschiedlichen Disziplinen: «Gerade das Short Track mit den eher kurzen aber intensiven Rennen verlangt uns vergleichbare physische Anstrengungen ab.» Koller ist aber nicht die Einzige aus dem Schweizer Mountainbiketeam, die Erfolge im Zeitfahren eingeheimst hat. Auch Linda Indergand, die Olympia-Bronze-Gewinnerin von Tokio, krönte sich gegen die Uhr schon zur Schweizermeisterin. «Die jungen Athletinnen und Athleten entwickeln so schon früh eine Affinität für diese Disziplin und entdecken den Spass daran», sagt Müller.
Eine Akribie und Forschung, die sich auszahlen
Vor dem glorreichen Sextett glänzte bereits Fabian Cancellara im Zeitfahren, abgelöst hat ihn Stefan Küng. Doch nicht nahtlos. Bei den Weltmeisterschaften 2019 in Harrogate belegte Küng den 10. Rang. «Doch mit seinen Leistungswerten hätte er ganz vorne mitfahren können», sagt Müller. Schliesslich galt der Ostschweizer schon damals als guter Techniker. Der Hund musste also woanders begraben liegen. Gemeinsam mit Küngs Team Groupama haben die Schweizer dessen Position, Helm und seinen Anzug unter die Lupe genommen – und optimiert.
Diese Akribie zahlte sich für die Schweizer aus, denn die Resultate liessen nicht lange auf sich warten – Küng gehört inzwischen zur Weltspitze. Das tun auch Marlen Reusser und Stefan Bisseger und nicht zuletzt wegen diesen drei Fahrern sagt Beat Müller: «Wir haben uns das Thema Aerodynamik auf die Fahne geschrieben.» In enger Zusammenarbeit mit deren Teams habe man weiter optimiert und sogar Forschung betrieben. «So können wir verschiedene Aspekte, wie die geeignete Fahrposition, verlässlich bestimmen und die Erkenntnisse an den Nachwuchs weitergeben», sagt der Sportwissenschaftler.
Wozu entscheidet sich die Jugend: Berge- oder Trails?
Doch allein an der Nachwuchsförderung und der Optimierungsarbeit könne es nicht liegen, betont er. Die Athletinnen und Athleten müssten auch die physischen und mentalen Voraussetzungen mitbringen, also die geeigneten Gene für diese fordernde Disziplin. «Es zählt die absolute Leistung, während bei den Bergfahrerinnen das Verhältnis zwischen Leistung und dem Gewicht massgebend ist.»
Das wiederum sind ähnliche Voraussetzungen, wie sie auch beim Mountainbiken im Cross-Country gefragt sind. Einer Disziplin, die in der Schweiz längst etabliert und vor allem auch beliebt ist. Wer diese Fähigkeiten mitbringt, hat also die Qual der Wahl: Und ganz offensichtlich entscheiden sich viele junge Fahrerinnen und Fahrer für die Trails statt für die Bergfloh-Karriere. Auch das mag einer der Gründe sein, warum die Schweiz trotz ihrer Topografie kein Bergfahrerland ist. Vielleicht aber auch, weil der Weg ganz nach oben für die Bergfahrerinnen und -fahrer meist über ein Team führt, in dem sie sich in der Regel erst als Helfer die Sporen abverdienen müssen. Wohingegen die Mountainbikerinnen jeweils im Rennen in Eigenregie unterwegs sind.
Die wichtigen Rennen kommen erst
Für Zeitfahr-Spezialisten im Schweizer Team kommen die wichtigen Einsätze erst. Reusser startet am Donnerstag, Küng und Bissegger am Freitag zu ihren jeweiligen Einzelzeitfahren. Gegenüber SRF nannte Reusser das Mixed-Rennen darum auch einen «Spassanlass». Eine Medaille holen sei schon schön, aber auch nicht das Wichtigste.
Der Mixed-Team-Wettbewerb wird seit 2019 ausgetragen. Vor einem Jahr im australischen Wollongong hatte die Schweiz mit dem gleichen Aufgebot Gold gewonnen. Drei Männer starten, sobald die ersten zwei den gut 20 km langen Parcours beendet haben, können die Frauen starten. Die Zeit wird gestoppt, wenn die ersten beiden über der Ziellinie sind.
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