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Das neue Album von Manillio
«Die Hip-Hop-Szene hat kein Ohr für Grübler»

Rapper Manillio spricht über sein neues Album und über den Zustand des Mundart-Hip-Hop. © Adrian Moser / Tamedia AG
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Acht Jahre ist es her, da war Manillio so etwas wie ein eidgenössischer Superstar. Sein Album «Kryptonit» schoss auf Platz eins der Hitparade, und er wurde abwechselnd als «Wunderkind», «Retter» oder «Prophet» des Schweizer Hip-Hop bezeichnet. Das Rote Kreuz bemühte sich um seine Dienste, es gab Duette mit Büne und Kuno, und es wurde ihm der Renommee-technisch eher umstrittene Radio Energy Music Award ausgehändigt. Rapper Manillio wurde auf der Strasse erkannt, in Restaurants fotografiert – und er veröffentlichte ein Nachfolgealbum, auf dem er die Schattenseiten des Ruhms thematisierte.

Das ist sechs Jahre her. Danach wurde es stiller, weil es allgemein stiller wurde im Musikuniversum. Die Pandemie überzog die Welt, und die Welt von Manillio wurde zusätzlich aus der Umlaufbahn gehebelt.

Der Zweifler

Treffen in Bern. Manillio trägt das Cap eines Baseball-Teams aus der New Yorker Bronx und das grüne Hemd einer Firma, die für die Herstellung robuster Arbeitskleidung bekannt ist. Einzig der dünne Goldrahmen seiner Sehhilfe könnte mit viel Wohlwollen als Insignie eines dezenten Glamours gelesen werden.

Manuel Liniger, wie Manillio mit bürgerlichem Namen heisst, ist ein ernster Mann, vom Schlag Mensch, der auf Fotos nie lächelt. Vor ihm steht die Veröffentlichung seines sechsten Longplayers, hinter ihm eine Zeit, in welcher er so ziemlich alles infrage gestellt hat, was sein Leben ausmacht. Menschen, die ihn kennen, verwundert das nicht. Es wimmelt in der Hip-Hop-Schweiz von Möchtegernphilosophen, von Partybiestern, Selbstbeweihräucherern oder Politschlaumeiern. Manillio ist anders. Eine Art Problemkind in diesem Spiel der Eitelkeiten. Ein Zweifler in der Welt der Anmassungen.

Das sei nach seiner Popularitätshausse auch schon anders gewesen, damals, als sein federleichtes Liebeslied «Monbijou» in den Hitradios des Landes in Dauerrotation lief. «Gurtenfestival-Hauptbühne zur besten Sendezeit, da gehts hin, und nichts hält mich auf, fand ich damals», sagt der in Bern lebende Solothurner.

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«Mittlerweile bin ich dankbar für das, was ich tun darf. Auch wenn dabei kein dickes Auto herausspringt, nicht der grosse Erfolg und die ganz grossen Bühnen.» Und als wolle er dieses Wedeln zwischen Demut, Selbstbewusstsein, Hader und Trotz noch ausweiten, fügt er an: «Ich habe eigentlich schon das Gefühl, der beste Rapper der Schweiz zu sein, habe aber gelernt, dass ich nicht von allen verstanden werde. Die Szene hat kein Ohr für Grübler.»

Die Krise

Richtig ins Grübeln kam Manillio Anfang 2020. Eine Woche vor dem Corona-Kultur-Lockdown wurde sein Vertrag mit der Plattenfirma Universal nicht verlängert, Manillio wurde erstmals Vater, und er, der seit 2012 als selbstständiger Musiker durchs Land streifte, schlitterte in eine Sinn- und Kreativkrise. «Die war so schlimm, dass ich zeitweise keine Songs mehr zustande brachte. Ich war blockiert, befürchtete, dass ich gar nichts mehr auf die Reihe kriege, fühlte mich wertlos, da ich mein Selbstwertgefühl stets von der eigenen Produktivität abhängig machte.» Dazu kamen Existenzängste und die Erkenntnis, dass man auch nach fünfzehn Jahren im Musikbusiness – trotz aller investierten Energie, allem Herzblut und allem Erfolg – noch immer von der Hand in den Mund lebte, während sich ehemalige Schulkollegen ihre ersten Häuser kauften.

Rapper Manillio spricht über sein neues Album und über den Zustand des Mundart-Hip-Hop. © Adrian Moser / Tamedia AG

Das Erschaffen seines neuesten Werks «Deheim Deheim» hat nicht zuletzt deshalb etwas länger gedauert. Nach einer Zangengeburt hört es sich dennoch nicht an. Es hat einen eher optimistischeren Grundton als ältere Werke, es ist, als blinzelten zeitweise scheue Sonnenstrahlen ins schattige Setting.

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Ja, über den meist luftigen Beats sorgen von souliger Feierlichkeit illuminierte Chöre, Flächen und Pianos für ein Klima der aufgelockerten Bewölkung. Und doch hat man stets das Gefühl, dass Manillio der Zuversicht dann doch nicht ganz traut. Das zeichnet sich bereits im ersten Lied «Kei Schlof» ab. Manillio hebt ab, schwebt zunächst im Superstar-Rausch, um nach zwei Minuten einen traurigen Liedtod zu sterben. «Er het nid gwüsst, wie me landet, ke Flügle gha, aber irgendwie isch är gliich chli gfloge», heisst es am bitteren Ende dieses fein groovenden Openers.

Wuchtige Lyrik

Zeitgeistiges sucht man auf diesem Album vergebens. Die Beats sind währschaftes Hip-Hop-Handwerk, Atmosphäre ist wichtiger als Wucht, Lyrik kommt vor Hit-Appeal. Und wenn für den Ohrwurm-Refrain im «Lieblingssong» dann doch der Pop-Günstling James Gruntz als Gast hinter dem Mikrofon auftaucht, kippt das Geschehen prompt in eine gefährliche Adrian-Stern-Gefühligkeit. Es bleibt ein Einzelfall auf diesem wunderbar zwischen Leichtigkeit und Melancholie trudelnden Werk.

Wenn Manillio rappt, kippt seine Stimme gern in eine stossgeseufzte Gebrochenheit, was durchaus den Themen angemessen ist, die hier verhandelt werden. Viele seiner Lieder handeln von der Endlichkeit. Die Endlichkeit des Erfolgs, des Glücks oder des Lebens.

Am atemberaubendsten gelingt das im Lied «Mama liebt mi», in welchem Manillio den frühen Tod seines Vaters thematisiert: «Mini Starter-Jacke us de Staate / Händ im Fahrtwind, immer wenn mir fahre / D Bulls hei sächs Ringe a de Finger / Und mim Paps gheit sine langsam drab.» Er habe lange nicht gewusst, ob er diesen Song veröffentlichen wolle, in welchem er die Nostalgie gemeinsamer Ferien mit dem Krebsleiden seines Vaters verknüpft und mit der Frage, welche Gespräche er heute wohl mit ihm führen würde. «Weil das so persönlich ist, wollte ich dieses Lied zuerst von meiner Familie absegnen lassen.» Sie stimmte zu.

Etwas Optimismus

«Ich würde mich nicht als einen glücklichen Menschen bezeichnen, aber als einen, der sich ein gewisses Mass an Optimismus bewahrt hat», sagt er einmal. Und einmal dichtet er den Satz, der womöglich noch mehr über sein Wesen verrät: «Mängisch füeuht sech gheie chli wie flüge a.»

Zwischen Fliegen und Fallen bewegt sich Manillio, auch wenn er sich der Liebe annimmt. Selten wurde über diese auf Schweizerdeutsch mit einer solchen Tiefenschärfe gesungen. Weil Manillio zum grossen Gefühl auch immer gleich den Einwand mitliefert: «Nume Liebi, nume Liebi – ämu fasch.»

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Beobachtet man Manillio auf der Bühne, dann trifft man auf einen Mann, der mit der Selbstverständlichkeit eines lockeren Entertainers imstande ist, ein ganzes Sommer-Open-Air zu bespassen. Begegnet man ihm im Gespräch oder auf Tonträger, ergibt sich das Bild eines fragilen Denkers.

Die Rettung aus seiner Schreibblockade sei gewesen, dass er begonnen habe, Texte in Gedichtform zu schreiben. «Hallo Liecht» ist eines der Lieder, die unter dieser Prämisse entstanden sind. Es umschreibt die Grundstimmung des Albums ganz treffend, und vermutlich wird ihm Radio Energy dafür keinen Preis mehr verleihen: «Hallo Liecht / Wetsch no chly blybe / Setz di doch zu mir / Mir chöi au schwige / I ha vo dir ghört / Doch di nid guet könnt / Mir si wie Nochb’re / Wo sech zuewinke vo Baukön.» Sehr oft macht es auf diesem Album den Anschein, als habe Kuno Lauener poetisch Pate gestanden.

Das Ende?

Schnitt: das Royal-Arena-Open-Air in Orpund im Sommer 2023. Das Festival ist dem Untergang geweiht, die Besucherinnen und Besucher sind nur spärlich aufgekreuzt. Manillio sitzt mit den Berner Altrappern Dezmond Dez und Tommy Vercetti nach dem Auftritt im Backstage und sinniert über den Zustand des Hip-Hop. Dieses Genre, das gerade überall Rätsel aufgibt: Es ist immer noch die meistgestreamte Musikgattung, und doch hat man das Gefühl, dass gerade etwas am Wanken ist, dass alte Werte, einstige Gewissheiten und frühere Helden ins Taumeln geraten. Zwei Schweizer Rap-Festivals haben gerade die Segel gestrichen. Und das grösste war letztes Jahr nicht ausverkauft.

Zu welcher Erkenntnis sind die Herren in der Orpunder Garderobe gekommen? Ist Mundartrap der alten Schule ein Auslaufmodell? «Vielleicht ist die Festivalromantik am Welken», sagt Manillio nach langem Überlegen. «Dieses alte Bild, mit Zelt und Schlammpfützen auf dem Gelände, es entspricht den Hip-Hop-Kids von heute – in ihren gut gepflegten Sneakers – nicht mehr.»

Doch natürlich habe man sich an diesem Abend auch selber hinterfragt. Dazu passt der Text, den Manillio in das zum Album erscheinende Minimagazin notiert hat: «In letzter Zeit denke ich mehr ans Aufhören als auch schon. Irgendwie wird alles zunehmend schwerfälliger.» Ist das also der Anfang vom Ende dieser fast zwanzigjährigen Karriere? Manillio senkt seinen Blick auf den Tisch und beginnt zu lächeln. Das erste Mal übrigens an diesem Morgen.

Die Liebe

«In letzter Zeit ist mir etwas klar geworden. Ja, ich bin nicht mehr der Jüngste. Ja, ich mache vielleicht gerade nicht den Rap der Stunde. Damit habe ich mich arrangiert. Aber ich bin Hip-Hopper durch und durch. Wenn ich in der Nacht erwache, habe ich irgendwelche Textfetzen im Kopf. Es ist unwahrscheinlich, dass das irgendwann aufhört. Ich liebe, was ich tue.»

Man hört das diesem grossartigen Album an. Und im Hintergrund singt Manillio: «I ha nume die Zyt / I ha nume die Zyt / I gloub, i sueche immer z’wit / Weisch, immer z’zwit / Weisch, immer z’zwit.»

Manillio: «Deheim Deheim». Das Album erscheint am Freitag, 22.3. Albumtaufe: 13.4., Mühle Hunziken, Rubigen.