Mamablog: Serie «5913 Miles» Allein in der Stadt der Engel
Eine nächtliche Kollision in Downtown L.A. führt unserer ausgewanderten Autorin vor Augen, wie einsam man sich in einer Grossstadt fühlen kann.
Selten habe ich mich so allein gefühlt wie neulich nachts, als ich heulend und zitternd in Downtown L.A. auf dem Pannenstreifen stand. Kurz zuvor war ich noch gut gelaunt gewesen, hatte auf einem deutschen Filmfestival endlich mal wieder einen Film auf Deutsch gesehen, nette Leute kennen gelernt und eine tolle Bar entdeckt, in der ich plötzlich neben Heidi Klums Tochter an der Theke sass.
Eine schicksalhafte Nacht
Ich hatte den ganzen Abend nichts getrunken, weil ich sehr viel Respekt davor habe, nachts noch weite Strecken über den verrückten Freeway zu fahren. Gebracht hat mir das leider nichts. Ich wurde von einer Frau, die schnell noch ihre Ausfahrt erwischen wollte, bei 120 km/h gerammt und von einem dritten Auto gleich noch mal mitgenommen. Mein Kopf knallte aufs Lenkrad, und ich stand quer in der Mitte der achtspurigen Autobahn, ausgerechnet in Downtown an einem Freitagabend. Irgendwie habe ich es nach einer Weile geschafft, rechts ranzufahren, wäre dabei aber noch mehrmals fast wieder gecrasht.
Da mein Mann schon schlief, erreichte ich ihn (zumindest gefühlt) sehr lange nicht, meine Nachbarn gingen auch nicht ans Telefon und da merkte ich – ich bin ziemlich allein in dieser Stadt. Ich kenne zwar mittlerweile recht viele tolle Leute, aber bis man jemanden mitten in der Nacht anruft, muss das doch noch mal eine andere Art von Beziehung sein.
Es kamen zwei riesige Feuerwehrtrucks, die Polizei und die Ambulanz, die mich ins L.A. General Hospital von Downtown brachte. Und das war dann eine Szene für sich. Ich sage mal so: Alles, was man aus Hollywoodfilmen kennt, ist wahr. Ich sah Menschen mit Schussverletzungen, Junkies auf dem Boden, einen Mann, mit dem man lautstark über eine Amputation seines rechten Beines sprach, eine heulende Frau in einem Stringtanga, einen Insassen in orangener Gefängnisuniform, ein Baby mit Corona und diverse Menschen, die voller Schmerzen mit der Rezeptionistin über Preise verhandelten, weil sie nicht versichert sind.
Als mein Mann endlich im Krankenhaus eintraf, wollte ich nur noch nach Hause. Ich hatte bereits eine Stunde gewartet und es waren sicher noch 400 Leute vor mir dran. Zum Glück hatte ich nichts weiter, ausser Rücken- und Nackenschmerzen, die ich am nächsten Tag von einem Hausarzt checken liess.
Einsamkeit auf dem Pannenstreifen
Ich fühle mich meistens wirklich wohl in unserer neuen Heimat, finde es aufregend, interessant, lebendig. Aber wenn es ans Eingemachte geht, ist es so viel Wert, wenn man die Umgebung, die Kultur, die Leute (das Versicherungssystem!!) versteht und sich sicher fühlt. Nie haben sich die Hochhäuser, die in der Ferne blinkten, fremder angefühlt als in diesem Moment auf dem Pannenstreifen.
Ich finde, eine Vierjährige sollte sich keine Sorgen um die Eltern machen müssen.
Ich weiss noch, nach unserem Umzug hat es ungefähr zwei Wochen gedauert, bis ich mich getraut habe, zum ersten Mal in den USA auf einem Highway zu fahren. Ich war richtig stolz auf mich und habe meiner Tochter erklärt, wie ich meine Angst überwunden habe und wie gut sich das anfühlen kann.
Von dem Unfall habe ich ihr nichts erzählt. Ich finde, eine Vierjährige sollte sich keine Sorgen um die Eltern machen müssen. Das kommt früh genug. Trotzdem, da es kein funktionierendes ÖV-System gibt, sind wir auf das Auto angewiesen. Bisher bin ich noch nicht wieder gefahren. Ich werde die Angst noch mal besiegen müssen.
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