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Mamablog: Interview zu Sans-Papiers-Familien
«Viele Kinder dürfen kaum raus und müssen sich ruhig und unauffällig verhalten»

A group of kids are clapping along to music. They are sitting in their classroom.
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Frau Schwager, aus welchen Ländern sind die Familien, die Sie begleiten?

Ein grosser Teil stammt aus Lateinamerika. Oft sind es alleinerziehende Mütter und ihre Kinder. Weiter kommen zu uns Menschen aus nicht EU-Europa und aus asiatischen sowie afrikanischen Ländern.

Sind das Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde?

Die Mehrzahl der Sans-Papiers haben nie einen Asylantrag gestellt. Sie sind hier untergetaucht, weil sie in ihrem Herkunftsland keinerlei Perspektive für sich und ihre Kinder sahen. Ein Grossteil von ihnen – insbesondere Frauen – arbeitet in Privathaushalten, mit einem Durchschnittseinkommen von 1500 Franken. Damit können sie sich kaum über Wasser halten, zumal sie einen beträchtlichen Teil dieses Geldes in ihr Herkunftsland schicken. Dennoch nehmen sie dieses schwierige Leben auf sich, weil es immer noch besser ist als das in ihren Herkunftsländern.

Und wie gestaltet sich die Situation für Männer ohne Papiere?

Früher arbeiteten viele Männer schwarz auf dem Bau, aber heutzutage gibt es strengere Kontrollen. Für Männer ist es besonders schwierig geworden ohne Papiere, da der Arbeitsmarkt die Zahl der Sans-Papiers reguliert.

Dürfen Sans-Papier-Kinder zur Schule?

Ja. Dies ist bereits seit rund zwei Jahrzehnten gesetzlich festgelegt. Im Kanton Zürich beispielsweise hat jedes Kind nach einem dreimonatigen Aufenthalt das Recht auf Schulbildung, unabhängig von seinem rechtlichen Status.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Schule diese Kinder den Behörden melden?

Nein, das ist nicht erlaubt. Auch dafür gibt es klare gesetzliche Regelungen, und Schulen halten sich normalerweise strikt daran. Es gab zwar schon Fälle, in denen Gemeinden sich weigerten, diese Kinder einzuschulen. Doch wenn der Rechtsdienst der Bildungsdirektion eingeschaltet wird, verläuft die Angelegenheit in der Regel problemlos.

«Die Angst ist ständiger Begleiter. Und diese Angst überträgt sich natürlich auch auf die Kinder, selbst wenn sie es nicht vollständig begreifen.»

Wie sieht es mit dem Zugang zur medizinischen Versorgung aus?

Auch hier besteht ein Anspruch. Die Krankenkassen sind verpflichtet, Sans-Papiers in die Grundversorgung aufzunehmen. Allerdings können sich die wenigsten von ihnen versichern, da sie schlichtweg nicht genug Geld für die Prämien haben.

Wo leben Menschen ohne Papiere?

Meistens bei Bekannten, wo sie sich oft ein Zimmer als mehrköpfige Familie teilen müssen. Solche Wohnverhältnisse sind jedoch in der Regel nur vorübergehend verfügbar, weshalb die Familien häufig dazu gezwungen sind, umzuziehen. Die ständigen Umzüge und die beengten Verhältnisse sind auch einer der Hauptpunkte, an denen die Kinder bemerken, dass ihr Leben anders ist als das ihrer «Gspäändli».

Das bedeutet also, dass diesen Kindern ihre Situation oft nicht vollständig bewusst ist?

Das variiert stark. Insbesondere Kinder, die von klein auf hier sind, empfinden sich oft als Schweizer Kinder. Ein Aufenthaltsstatus ist für sie äusserst abstrakt – was er ja auch ist. Obwohl sie möglicherweise nicht genau verstehen, welche Probleme ihre Situation mit sich bringt, spüren sie dennoch, dass etwas anders ist. Viele dieser Kinder dürfen kaum das Haus verlassen und müssen sich ruhig und unauffällig verhalten.

Liegt das daran, dass ihre Eltern befürchten, entdeckt zu werden?

Genau. Die Angst ist ständiger Begleiter. Und diese Angst überträgt sich natürlich auch auf die Kinder, selbst wenn sie es nicht vollständig begreifen. Manchmal vielleicht sogar noch mehr. Es ist für sie schwierig, wenn ihre «Gspäändli» in den Ferien ans Meer fahren, während sie selbst kaum den Spielplatz um die Ecke besuchen dürfen. Es ist verwirrend, wenn die Eltern nicht wollen, dass sie Freundschaften pflegen. Die Ängste der Eltern beeinflussen die Kinder stark, zum Beispiel wenn die Mutter bei einem vorbeifahrenden Polizeiauto in Panik gerät. Die allgegenwärtige Angst vor Kontrollen, der Zwang, Ausweise zeigen zu müssen, die Furcht vor unbeantworteten Fragen und die Sorge, dem falschen Vertrauen zu erliegen und dann verraten zu werden – all das prägt das Leben dieser Kinder.

Welche Auswirkungen hat das auf die Psyche eines Kindes?

Der Stresspegel ist definitiv hoch, begleitet von der inneren Verpflichtung, nicht aufzufallen. Oft beeinflusst dies auch das Bindungsverhalten der Kinder. Eine Jugendliche erzählte mir, dass sie keine starken Bindungen eingehen möchte, weil sie weiss, dass sie diese jederzeit verlieren könnte. Daher ist die Schule für diese Kinder von enormer Bedeutung, da sie dort Sicherheit, Normalität und ein Gefühl der Zugehörigkeit erleben können.

Und was passiert, wenn eine Familie entdeckt wird?

Das bedeutet fast immer die Abschiebung. Kürzlich wurde eine Frau von einer Nachbarin denunziert, die Mutter wurde an der Bushaltestelle vor den Augen ihres Kindes verhaftet, und das Kind wurde von der Polizei in der Schule abgesetzt. Solche Erlebnisse sind hochtraumatisch.

Was geschieht mit diesen Kindern, wenn sie älter werden? Können sie überhaupt einen Lehrvertrag abschliessen?

Wenn ein Jugendlicher mindestens fünf Jahre die Schule besucht hat und gut integriert ist, hat er oder sie Anspruch auf einen Lehrvertrag. Es gab kürzlich eine Weisungsänderung in der Vernehmlassung, die vorsieht, dass dieser Anspruch auf zwei Jahre reduziert wird. Derzeit können wir also nach fünf Jahren und dem Anspruch auf einen Lehrvertrag ein Härtefallgesuch für die ganze Familie stellen, um eine Jahresaufenthaltsbewilligung zu erhalten. Allerdings erfordert die Offenlegung der Situation für einen Lehrvertrag viel Goodwill von den Betrieben. Nach dem «Schnuppern» dauert es oft nochmals ein halbes Jahr, bis das Verfahren abgeschlossen ist und eine Zusage rechtsgültig wird. Das ist oft eine weitere Belastungsprobe für die gesamte Familie. Selbst wenn alles gut geht, sitzt die Erfahrung der Unsicherheit tief. Es kommt nicht selten vor, dass ehemalige Sans-Papiers selbst mit gültigen Ausweisen zusammenzucken, wenn ein Polizeiauto vorbeifährt.

Sie möchten etwas für Sans-Papier-Kinder tun? Diese freuen sich über gut erhaltene Spielsachen, Winterjacken, Skihosen, etc. weitere Infos finden Sie bei SPAZ.