Mamablog: Schon wieder verhühnert?Mama, die Suchmaschine
Die verlorene Mütze, den einen Handschuh oder das Schulheft – unsere Autorin findet alles. Über das Leben mit einer Superkraft.
Über die Jahre ist neben der Weihnachtszeit noch ein zweites Finanztief hinzugekommen, das massive Löcher in unser Familienbudget bohrt. Es fängt so Mitte Oktober an und findet erst ein Ende, wenn es so kalt ist, dass Jacken, Mützen und Schuhe (ja, Schuhe!) freiwillig anbehalten werden. Ich nenne es das Verliertief. Ein paar Schritte vom Haus entfernt fängt das grosse Verteilen an. Vielleicht wollen die Kinder so den Heimweg markieren; wie Hänsel und Gretel mit den Brotkrümeln.
Nur blöd, dass in unserem Quartier die allgemeine Annahme herrscht, alles, was nicht angekettet ist, sei «gratis zum Mitnehmen». Schuld daran sind zahlreiche, aus irgendeinem Grund von der Quartierpolizei geduldete, völlig ausartende Gratisstände, wie sie die Kinder nennen. Fast täglich kommen sie freudestrahlend mit neuen Schätzen heim. Sie verlieren ihre schönen Sachen und bringen mir dafür von Katzen zerfetzte Hocker, verrostete Bügelbretter oder den Karton der Nachbarn. Zum Basteln, weisch.
Suchmaschine zum Tatort, jetzt!
Im Grunde begrüsse ich, dass die Kinder selbstständiger werden. Aber das Loslassen der Kontrolle über Material, das Pushen der Schützlinge in die Eigenverantwortung und das ständige Ausbaden des Nichtklappens sind eine emotionale Hochleistung. Das Verliertief wäre noch zu verkraften. Aber die Problematik zieht sich ja durchs ganze Jahr und macht auch vor der Haustür nicht Halt.
Richtig gruselig wird es, wenn die Sachen im eigenen Haus verschwinden. Lego zum Beispiel können bei mir mittelschwere Depressionen auslösen. Sie machen gefühlt einen Drittel unseres Haushaltes aus. Ich werde nie verstehen, wie man ein Set auseinanderbauen und die Teilchen im Chaos verschwinden lassen kann, ohne sich daran zu stören. Überhaupt habe ich wenig Verständnis für Menschen, die nicht vorausdenken. Gleichzeitig beneide ich sie, weil sie allgemein mehr Spass haben als ich. Kürzlich sass ich schluchzend und schnuddernd inmitten der farbigen Plastikpracht. Das war armselig. Ich glaube, spätestens da haben die Kinder gemerkt, dass ich nicht ganz dicht bin.
Bei uns herrscht die Annahme, dass ich mit verbundenen Augen die verschollene Mütze, den einen Handschuh oder das Schulheft aus dem Nichts hervorzaubern kann – die Suchmaschine wird sehr unfreundlich zum Tatort zitiert, wenn etwas nicht innerhalb von Sekunden auffindbar ist. Das Problem: Ich finde alles. Ich habe Superkräfte. Ich zaubere Dinge, die seit Ewigkeiten gesucht werden, aus dem Nichts hervor. Das Nichts ist oft der Ort, wo sie auch sinngemäss hingehören.
Wars früher tatsächlich entspannter?
Ich mag Ordnung. Und ich trage Sorge. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Rest der Familie hat kein Problem damit, Dinge loszulassen. Ist doch schnurz, wenn man aus dem U-Boot nur noch ein Floss bauen kann, oder dass es die Mütze in der Farbe nicht mehr gibt. Aber warum sich einen Ninja-Palast wünschen, wenn man daraus eine Villa Kunterbunt baut? Ich hatte das Drama eigentlich provoziert. Einen Tag zuvor hatte ich nämlich in einem Anflug von Kontrollsehnsucht angefangen, die Legokisten zu sortieren. Beim Spielen gilt das gleiche Prinzip wie beim Kacken: Am liebsten in eine saubere Schüssel!
Seit ich Kinder habe, merke ich erst, was für ein notorisches Huhn ich bin. Keine schöne Erkenntnis. Ich sage oft, ich wäre gerne wieder so entspannt wie früher. Aber war ich das? Ich will die Antwort gar nicht wissen. Ich will einfach glauben, dass es so war. Und ich denke, ich kann ein schöneres Leben haben, wenn ich die Legosteinchen und die Chaoten sich selbst überlasse und mir eigene Hobbys suche.
Wie läuft das bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser? Verlieren Ihre Familienmitglieder auch die unglaublichsten Dinge? Und wer sucht bzw. findet diese dann wieder? Diskutieren Sie mit.
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