Macron nominiert SuperloyalistenEr könnte über Le Pens Unwählbarkeit entscheiden, obwohl er kein Jurist ist
Richard Ferrand soll Präsident des Verfassungsgerichts werden. Die Kritik ist gross. Und Marine Le Pen beklagt sich schon auf Vorrat.
![Ein ständiger Gast im Élysée: Richard Ferrand auf den Treppen des Präsidentenpalasts.](https://cdn.unitycms.io/images/C4G-CgpAqOSAMHITBHB6p1.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=fShxf01FHSM)
- Richard Ferrand soll Präsident des französischen Verfassungsgerichts werden.
- Kritiker bemängeln Ferrands mangelnde juristische Erfahrung.
- Ferrand gilt als loyaler Vertrauter von Emmanuel Macron.
- Eine Bestätigungswahl im Parlament könnte Ferrands Ernennung noch stoppen, ist aber unwahrscheinlich.
Von Richard Ferrand heisst es, er sei ein Grognard. Kein Artikel in der Presse, in dem er nicht so genannt würde. Und das ist auch eines seiner grössten Probleme, nun, da der 62-jährige Südfranzose Präsident des französischen Verfassungsgerichts werden soll, des Conseil constitutionnel.
Grognard, so nannte man die Mitglieder von Napoleons Alter Garde, einer Eliteeinheit des Kaisers, die Treuen unter den Treuen. Ferrand ist ein Grognard aus der Entourage des Präsidenten der Republik, von Emmanuel Macron, ein Veteran des Macronismus.
Macron hört Ferrand zu
Er war von Beginn weg dabei, vor 2017 schon, als Macrons Partei noch République en Marche hiess. Ferrand war der erste Parteichef, «der erste Marschierer», noch ein Prädikat, das an ihm klebt. Er ist auch einer von wenigen, denen Macron wirklich zuhört, wenn sie reden. Ein Freund und ständiger Gast im Élysée. Aber Jurist? Ist er nicht.
Darum fragt man sich jetzt, ob es nicht unerhört sei, eine besonders dreiste Blüte der Vetternwirtschaft, dass Macron ausgerechnet den Superloyalisten für das mächtige Amt nominiert hat. «Eine schlechte Wahl», schreibt «Libération» und verortet sie in diesem speziellen politischen Moment, da die extreme Rechten immer stärker und die Bedeutung des «Rats der Weisen» immer zentraler wird. Da bräuchte es viel eher eine Figur, die über allem schwebt, mit moralischer Autorität und politischer Unabhängigkeit.
Was würde Le Pen wohl sagen?
Ein Beispiel: Für Ende März wird das Urteil im Prozess gegen Marine Le Pen wegen angeblicher Scheinbeschäftigung im Europaparlament fallen. Die Staatsanwaltschaft fordert neben einer Haftstrafe auch eine fünfjährige Unwählbarkeit, die sofort einsetzen würde. Sollte das Gericht der Forderung folgen, wäre Le Pen von der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 ausgeschlossen. Es läge dann in der Kompetenz des Verfassungsgerichts, das über allem thront, diese Unwählbarkeit auszusetzen.
Was aber ist, wenn es das nicht täte? Würde Le Pen dann nicht leicht sagen können: «Kein Wunder, Ferrand ist parteiisch, die Macronisten wollen mich stoppen.» Nicht die Rechtsprechung würde zählen, sondern das Alibi: die Politik. Der Rechtsstaat verkäme auch in Frankreich zum politischen Schlachtfeld. Le Pen beklagt sich jetzt schon, die Nominierung dient als Katapult für ihr Lamento.
![Richard Ferrand posiert in seinem Büro der französischen Nationalversammlung in Paris, 17. Mai 2022.](https://cdn.unitycms.io/images/Bsowfs3-KHZ9lJ7WsQ1enI.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=fxP0pm1P3bo)
Richard Ferrand kam in Rodez zur Welt, einer Stadt in der Nähe von Toulouse im Südwesten Frankreichs, Hochburg des Rugby. Ferrand ist ein grosser Anhänger des harten Sports. Er studierte etwas Deutsch und Jura, zwei Jahre nur, dann wurde er Journalist. Seine politische Karriere führte ihn in die Bretagne, wo er lokale und regionale Ämter bekleidete, bevor er ins nationale Parlament gewählt wurde – als Sozialist. Dem Parti socialiste war er mit 18 beigetreten, weil er begeistert war von François Mitterrand, dem früheren Präsidenten.
Zum ersten Mal begegnete er Emmanuel Macron 2014, als der junge Aufsteiger gerade Wirtschaftsminister geworden war. Sie verstanden sich auf Anhieb. Als Macron an die Macht kam, machte er Ferrand zum Minister für die Regionen. Doch da Ferrand in einen Justizskandal um die bretonische Krankenkasse verwickelt war, verlor er das Amt nach nur einem Monat wieder.
Eine Hürde bleibt – sie ist nicht sehr hoch
Ein Jahr später war Ferrand zurück mit einem Prestigejob, der ihn im ganzen Land bekannt machte: Er wurde Präsident der Nationalversammlung, für vier Jahre. Dann aber scheiterte er bei seiner Wiederwahl ins Parlament, eine Schmach sondergleichen. Ferrand zog sich zurück, arbeitete als Berater, blieb aber stets an Macrons Seite.
Wenn Frankreich im konfusen vergangenen Jahr nach einem neuen Premierminister suchte, kam immer auch sein Name ins Spiel. Nun also soll es das Verfassungsgericht sein. Ferrand muss in ein paar Tagen noch die Hürde einer Bestätigungswahl im Parlament überstehen, aber die ist nicht so hoch: Drei Fünftel aller Mitglieder der Rechtskommissionen beider Kammern müssten ihn verhindern wollen, damit er nicht gewählt würde. Und diese Wahrscheinlichkeit ist bei aller Polemik doch eher klein.
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