Umstrittene VeranstaltungLukaschenkos Regime bekommt eine Bühne in Bern
Die weissrussische Botschaft lädt am Freitag zu einem Kulturabend. Regimekritiker empfinden das als Verhöhnung der Opfer Lukaschenkos. Sie wollen vor Ort demonstrieren.
«Ferne Kulturen, exotisches Essen und neue Eindrücke» – das versprechen die Veranstaltenden des Fernweh-Festivals, das vom 29. Oktober drei Tage lang in der ganzen Stadt Bern stattfinden wird. In Beizen und Galerien präsentieren private Ausstellerinnen und Aussteller und diplomatische Vertretungen künstlerische und kulinarische Programme, von Neuseeland bis zu den Philippinen.
Mit dabei ist auch die Botschaft von Weissrussland, die am Freitag gemeinsam mit dem weissrussischen Honorarkonsul in der Schweiz, Hermann Beyeler, im Hotel Bern einen «weissrussischen Abend» organisiert. Und das irritiert nicht nur die in der Schweiz lebende weissrussische Exilgemeinde. Die schweizerisch-deutsche NGO Libereco, die sich für die Freilassung von politischen Gefangenen in Belarus einsetzt, hat im Vorfeld mehrere Briefe an die Veranstaltenden und Sponsoren des Festivals geschrieben und sie zur Absage des weissrussischen Abends aufgefordert.
Kritik an «Imagekorrektur»
«Kein Mensch hat derzeit Fernweh nach Belarus», sagt der Präsident von Libereco Schweiz, Lars Bünger: Der Abend diene lediglich einer Imagekorrektur des Regimes von Alexander Lukaschenko unter dem Deckmantel scheinbar unpolitischer Kultur. Auf dem Programm des Abends steht eine Ausstellungseröffnung der weissrussischen Malerin Ljubow Kirillowa, schweizerisch-weissrussische Musik sowie «die Verkostung nationaler Spezialitäten».
Auch wenn dieses Programm betont unpolitisch ist: Für Libereco ist nicht nachvollziehbar, «dass solchen offiziellen Vertretern und Unterstützern des menschenverachtenden weissrussischen Terrorregimes auf dem Fernweh-Festival eine Bühne geboten wird», heisst es in einem Brief an die Veranstalterinnen und Veranstalter. Damit ergreife das Festival in Bern «unmittelbar Partei für das Lukaschenko-Regime».
Des Weiteren zählt die Organisation im Brief die von ihr und anderen Menschenrechtsorganisationen gezählten Verbrechen des Regimes Lukaschenko auf: Mehr als 40’000 Verhaftungen seit den manipulierten Präsidentenwahlen, über 1800 dokumentierte Fälle von Folter, mehr als 800 politische Langzeitgefangene, darunter auch die Schweizer Staatsbürgerin Natallia Hersche.
Veranstalterin des gesamten Fernweh-Festivals ist die Firma G.U.S. Production. Firmenchef Thomas Jungi sagte jedoch dieser Zeitung, dass G.U.S. nicht für die Organisation und Durchführung einzelner Events verantwortlich sei. Deshalb «steht es nicht in unserer Macht, in einem Lokal einen Programmteil zu verbieten oder abzusagen». Ziel des Festivals sei es, verschiedene Kulturen zusammenzubringen, so Jungi: «Politisch halten wir uns neutral.»
«Jeglichen Druckversuch erachten wir als völlig inakzeptabel und empörend.»
Co-Veranstalter des weissrussischen Abends ist der Immobilienunternehmer und Kunstsammler Hermann Beyeler. Er ist seit 2019 auch weissrussischer Honorarkonsul. Einer russischen Zeitung in der Republik Moldau gab er dieses Frühjahr ein Interview, in dem er die Proteste in Belarus als von den USA gesteuert bezeichnete: Weil Lukaschenko nicht westlich genug sei, «versuchen die Amerikaner, ihn zu stürzen».
In der Schweiz tritt Beyeler zurückhaltender auf. Er versuche, keine politischen Themen zu diskutieren, richtete er dieser Zeitung im vergangenen Jahr aus. Auf die aktuelle Anfrage reagiert er mit einem Verweis auf die Botschaft: Sie sei zuständig. Die weissrussische Botschaft nimmt den Protest gegen ihre Veranstaltung «mit Bedauern und Unverständnis zur Kenntnis». Der Kulturabend sei eine der leider seltenen Gelegenheiten, «die Kultur unseres Landes den Interessierten in der Schweiz näherzubringen». Und weiter: «Jeglichen Druckversuch auf die Botschaft und unsere Partner erachten wir als völlig inakzeptabel und empörend.»
Demonstration vor dem Hotel Bern
Die NGO Libereco will jedoch gemeinsam mit der weissrussisch-schweizerischen Razam den Druck noch erhöhen. Beide Organisationen planen eine Demonstration am Freitag vor dem Veranstaltungsort, dem Hotel in Bern. Kulturveranstaltungen seien zwar grundsätzlich zu begrüssen, sagt der Vorsitzende von Razam, Alex Vashkevich: «Aber nach den gefälschten Präsidentenwahlen 2020, nach der staatlichen Gewaltwelle mit Verhaftungen und Folter betrachten wir die Botschaft in Bern nicht mehr als unsere Vertretung.» Deshalb, so Vashkevich, sei der Kulturabend am Freitag bloss «eine zynische und geschmacklose PR-Aktion».
Hinweis: Nachdem dieser Artikel am 21. Oktober online erschienen war, reagierte die weissrussische Botschaft und sagte am 22. Oktober die Veranstaltung in Bern ab. In einer schriftlichen Mitteilung begründete die Botschaft die Absage mit «einer massiven und hemmungslosen Hetzkampagne von zwei schweizerischen NGOs mit energischer Beihilfe einer Reihe hiesiger Massenmedien». (Freitag, 22. Oktober 2021, 17:25 Uhr)
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