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EM-Gold von Lukas Britschgi
Wenn Mr. Nice Guy plötzlich die Ellbogen ausfährt

Lukas Britschgi aus der Schweiz feiert auf dem Podium nach dem Gewinn der Herren Kür bei den ISU Europameisterschaften im Eiskunstlauf in Tallinn, Estland, am 1. Februar 2025.
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In Kürze:
  • Lukas Britschgi gewann in Tallinn überraschend EM-Gold im Eiskunstlauf.
  • Er brillierte in der Kür und profitierte von den Fehlern seiner Konkurrenten.
  • Sarah van Berkel, seine Wegbegleiterin und 2011 selbst Europameisterin, ist begeistert und emotional bewegt.
  • Bereits diese Woche ist Britschgi bei «Art on Ice» zu sehen.

Bei strahlendem Wetter deklassierte Hans Gerschwiler im Februar 1947 an der Eiskunstlauf-EM auf der offenen Eisbahn in Davos die Konkurrenz. Der Winterthurer, der während des Zweiten Weltkriegs in einer Munitionsfabrik und als Feuermelder eingesetzt worden war und sportlich hatte zurückstecken müssen, hatte sein Training nach Beendigung des Kriegs wieder aufgenommen und war in Davos mit 26 auf der Höhe seiner Karriere. Zwei Wochen danach gewann er in Stockholm auch WM-Gold, später wurde er Eislauflehrer in Kanada und den USA.

78 Jahre nach Gerschwiler hat die Schweiz in Lukas Britschgi wieder einen Europameister: Der Schaffhauser schaffte, was Stéphane Lambiel einst verwehrt blieb. Der Walliser wurde dreimal EM-Zweiter (zweimal hinter Erzrivale Jewgeni Pluschenko), Britschgi verblüffte nun in Tallin alle: Als Achter nach einem nervös vorgetragenen Kurzprogramm stürmte er am Samstag mit einer überragenden Kür zu Gold.

Eine Stunde wie eine Ewigkeit

Die Stunde auf dem Sofa, von wo er die Kürläufe seiner Konkurrenten beobachtete, sei ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen, sagt er. Er sah, wie die anderen patzten. Zuletzt der favorisierte Franzose Adam Siao Him Fa, der Europameister der letzten beiden Jahre.

«Ich hoffte, dass die Konkurrenz auch gut läuft», sagt Britschgi. «Denn das sind Kollegen von mir, und ich wünsche ihnen nur das Beste. Als ich sah, dass ich immer weiter und weiter nach oben kam, weil die Konkurrenz Fehler machte, und ich eine Medaille gewinnen würde, war ich schon megahappy. Dass es Gold wurde, war dann überwältigend. Ich konnte meine Leistung abrufen, was anderen nicht gelang.»

2023 hatte der Schaffhauser seine erste EM-Medaille geholt: Bronze im finnischen Espoo. Damals hatte er sich von Rang 5 nach dem Kurzprogramm aufs Podest vorgearbeitet. 2024 hatte er sich an der EM im litauischen Kaunas nach Rang 2 im Kurzprogramm in der Kür verkrampft und war noch auf Rang 5 abgerutscht.

Er hatte nichts zu verlieren – und gewann alles

In Tallinn zeigte er nun die beste Kür seiner Karriere: «Es ist einfacher, zu attackieren, als zu verteidigen», sagt Britschgi. «Ich ging mit einer ganz anderen Einstellung an die Kür. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. So war ich ziemlich entspannt und konnte Element für Element attackieren. Als ich den letzten Sprung hinter mir hatte und merkte, dass es eine fast fehlerfreie Kür gewesen war, kam bei mir Euphorie hoch.» 

Lukas Britschgi aus der Schweiz beim ISU European Championships Eiskunstlauf in Tallinn, 2025.

Mit dem EM-Titel tut er es Sarah van Berkel gleich, die 2011 an der Heim-EM in Bern – damals noch unter dem Nachnamen Meier – sensationell Gold gewann. Die heute 40-Jährige arbeitet mittlerweile im Bereich Sportkommunikation und betreut bei der Eiskunstlauf-Gala «Art on Ice» Talente und Athleten, darunter auch Britschgi. Sie verfolgte seinen Auftritt mit ihren beiden kleinen Söhnen und ihrem Partner, dem ehemaligen Ironman-Spezialisten Jan van Berkel, zu Hause vor dem Fernseher.

«Es war auch für mich ein unglaublich bewegender Abend», sagt sie. «Ich hatte schon während seiner Kür Tränen in den Augen und sagte zu meinem Mann: Das könnte für eine Medaille reichen.» An einen Sieg dachte sie in jenem Moment noch nicht.

Sarah van Berkel kann sich in ihn einfühlen

Ihr Sofa im aargauischen Döttingen und das in Tallinn, auf dem Britschgi während der Läufe seiner Konkurrenten ausharrte, liegen fast 2000 Kilometer voneinander entfernt. Gefühlstechnisch war van Berkel im Moment des Triumphs dem überraschten Sieger aber plötzlich sehr nah: «Ich konnte mich wieder an dieses überwältigende Gefühl erinnern, wenn so etwas unfassbar Schönes geschieht.» 

Telefonisch erreichte sie den frischgebackenen Europameister dann erst Stunden später in der Dopingkontrolle. «Er war noch ganz ausser sich und konnte das Geschehene noch nicht wirklich einordnen.» Britschgi sagt schmunzelnd: «Ich schaute mein Handy am Samstag nicht mehr gross an. Es explodierte fast. Auf Whatsapp bekam ich rund 120 Nachrichten. Einen grossen Teil konnte ich beantworten. Auf Instagram werde ich wohl nie allen antworten können.» 

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 Die Goldmedaille wirbelt nicht nur Britschgis Gefühlswelt durcheinander, sondern auch Sarah van Berkels Terminkalender. Als Mitorganisatorin von «Art on Ice» muss sie neu planen, unter anderem einen öffentlichen Empfang am Dienstag im Zürcher Hallenstadion.

Die Show startet ihre Tournee durch die Schweiz dann zwei Tage später – und kann nun einen Schweizer Europameister präsentieren. «Was für ein Timing», schwärmt Oliver Höner, der Chef der Eiskunstlauf-Show. «Das erinnert mich an Sarah, die 2011 auch dabei war, nachdem sie in ihrem letzten Wettkampf EM-Gold gewonnen hatte.»

Nun schauen ihn die Punktrichter anders an

Bei Britschgi hingegen könnte es mit 26 nun erst so richtig losgehen. «Für ihn ist der EM-Titel ein Riesenschritt», sagt Höner. «Er ist nicht nur enorm wertvoll für ihn und sein Selbstvertrauen, sondern auch für sein Standing. Ein Europameister wird von den Punktrichtern anders beurteilt. Es ist ein grosser Unterschied, ob man Dritter wird oder Erster. Ein solcher Titel hilft enorm. Und nächstes Jahr stehen die Olympischen Spiele an. Das wird für Lukas nochmals ein Highlight.»   

Die Karriere Britschgis sei langsam, aber stetig vorangegangen, sagt Höner. «Er hat sich nicht nur mit seinen Sprüngen einen Namen gemacht, sondern auch mit seinen Programmen. Er ist zu einer Persönlichkeit gewachsen, wurde auch künstlerisch besser.» Vom Charakter her sei der Schaffhauser eher atypisch für einen Einzelsportler: «Er ist ein total sympathischer Typ, hat überhaupt kein Ego. Das ist ungewöhnlich, wenn man Erfolg haben will. Meistens ist es nicht der Mr. Nice Guy, der sich durchsetzt – sondern der, der die Ellbogen ausfährt.»

Die grosse Frage: Hält sein linkes Knie?

In Tallinn war es nun Britschgi, der die Ellbogen ausfuhr und sich nach vorne drängte. Und was traut ihm nun Höner noch zu? «Ein Traum wäre eine WM-Medaille. Aber das ist schwierig, weil da noch die Amerikaner und die Japaner dazukommen. Es wird entscheidend sein, ob er noch mehr Vierfachsprünge in sein Programm einbauen kann. Technisch traue ich ihm das zu. Aber die Frage ist, wie es mit seinem Knie weitergeht. Ob man da eine Lösung findet.»   

Britschgi kämpft seit längerem mit einer gereizten Patellasehne, weshalb er seinen Trainingsumfang zeitweise dosieren musste. In Tallinn sei sein linkes Knie stabil gewesen, sagt er. «Ich hoffe, es bleibt so.» Die WM findet Ende März in Boston statt.

Die nächsten Belastungstests folgen für Britschgi aber sofort: Vom 6. bis zum 15. Februar tritt er in Zürich, Freiburg und Davos bei «Art on Ice» auf. Und Höner sagt: «Eine Eislaufshow heisst nicht, dass du ein bisschen schön herumfährst. Wir haben die Besten am Start. Und als Europameister musst du in einer hochklassigen Show alles zeigen, was du draufhast.»