Der beste Schweizer Eiskunstläufer Er ist mitten in der Weltspitze und sagt: «Ich bin einfach kein Talent»
Lukas Britschgi ist der Aufsteiger des Jahres – mit 25. Wie politisch das Eiskunstlaufen ist, hat er nach seinen EM- und WM-Spitzenplätzen erfahren.
Er ist entwaffnend ehrlich, so, dass man sich zuerst damit arrangieren muss. Lukas Britschgi sagt zum Beispiel: «Im Eiskunstlaufen gibt es Talente, Stéphane Lambiel war eines. Ich bin keines, ich bin einfach kein Talent.» Der 25-jährige Schaffhauser sagt das ganz ohne Neid, wenn er vom zweifachen Weltmeister aus dem Wallis redet. Er ist Realist, lacht und sagt: «Ich bin ein Arbeiter. Ich muss viele Stunden arbeiten, damit es nach etwas aussieht.»
Es hat in diesem Jahr international erstmals nach sehr viel ausgesehen. Lukas Britschgi ist einer der Aufsteiger von 2023, der Durchbruch auf höchster Ebene ist ihm im Januar an der EM in Espoo (FIN) geglückt, da, wo er es am allerwenigsten erwartet hat. Ein Schlüsselbeinbruch hatte ihn zuvor «am Arbeiten» gehindert, «letztlich trat ich mit vier Wochen Training an», sagt er.
Gewonnen hat er die Bronzemedaille, die erste Auszeichnung für die Schweiz seit zwölf Jahren und dem Titelgewinn von Sarah Meier in Bern. «Das war total überraschend. Ich bin ganz ohne Druck und Erwartungen gelaufen – ich hätte ja mit dem Schlüsselbein auch immer eine Ausrede parat gehabt», sagt er.
Statt beim Babysitter auf dem Eis
Lukas Britschgi ist ein extremer Spätzünder. Er sagt das selber über sich, und kaum jemand in Eiskunstlaufkreisen würde ihm widersprechen. Er ist im Eissportclub Frauenfeld gross geworden, und dass er überhaupt in diesem Sport gelandet ist, hat viel mit seiner Mutter zu tun. Sie war Jugend+Sport-Leiterin, «und anstatt dass sie für mich und meinen Bruder einen Babysitter angestellt hat, nahm sie uns einfach mit aufs Eis», sagt er. Und verheimlicht seine wirkliche Vorliebe nicht. Fussball habe ihm fast besser gefallen, «ich habe immer gespielt, war im Quartierverein, und die Kollegen wollten auch, dass ich dem Fussballclub beitrete».
So weit ist es nicht gekommen, das Eiskunstlaufen hatte auch seinen Reiz und nahm schnell viel Zeit in Anspruch. «Vor allem die Geschwindigkeit, mit der ich herumsausen konnte, gefiel mir», sagt er. Ein wenig trauert er dem «sozialen Aspekt» nach, den eine Teamsportart mit sich gebracht hätte. «Eiskunstlaufen ist sehr individuell, hat aber auch seine Family. Und es ist sehr vielseitig. Es ist technisch anspruchsvoll, für die Sprünge muss ich athletisch sein, für die Schritte tänzerisch gut und für die Pirouetten schnell. Jeder Tag bringt im Training neue Herausforderungen, das habe ich gern.»
Lukas Britschgi hat in Oberstdorf (GER) seinen ganz eigenen Stil entwickelt – ausdrucksstark, kämpferisch, energiegeladen. Er ist einer, der – wie Lambiel damals auch – das Publikum mitreissen kann. Das ist ihm auch zwei Monate nach dem EM-Bronzegewinn gelungen, als er im März an der WM in Saitama (JAP) Achter wurde und zweitbester Europäer war. Darüber staunt er noch heute. «Pha! Achter! So etwas war höchstens ein Traum, aber nichts Realistisches.» Doch dann gibt er zu, dass die Skating-Skills anderer vielleicht ausgefeilter sind, dass andere besser springen, «aber ich kann eine Show bieten, ich kann das Publikum unterhalten», sagt er selbstbewusst. Die Judges haben das offenbar auch so gesehen, und deshalb ist seither einiges anders.
Dritter hinter den Stärksten, den Japanern
Michael Huth und Robert Dierking sind die Trainer, die mit ihm im Allgäu seit Jahren trainieren, ein Athletiktrainer kommt hinzu, ein Choreograf, ein Physiotherapeut, ein Mentaltrainer, die Gruppe ist gross, und Huth hat schon die Südtirolerin Carolina Kostner zum WM-Titel geführt. Sie haben mit ihm immer weitergearbeitet, obwohl er erst mit 15 den Doppelaxel beherrschte, etwas, das die wirklichen Talente schon mit zehn aufs Eis zaubern.
Lukas Britschgi glaubt, es sei der Mix aus einer gewissen Konstanz, Stabilität und Erfahrung, der ihm nun zum Platz in der erweiterten Weltspitze verholfen hat. «Grössere Ambitionen hatte ich erst spät, so mit 15, aber an eine EM-Medaille habe ich dabei nicht gedacht.»
Und jetzt, nach EM-Bronze und 8. WM-Platz, ist eben einiges anders, das gehört zu den Eigenheiten im Eiskunstlaufen. Das «Standing», das Ansehen von Lukas Britschgi, ist seit diesem Jahr ein anderes. «Die Bewertung ist eine subjektive, und die Richterinnen und Richter haben mich schon nach meiner Bronzemedaille mit anderen Augen gesehen», sagt er und schmunzelt.
In der Grand-Prix-Serie in diesem Herbst ist er zu den am stärksten besetzten Events in Frankreich und Japan eingeladen worden. Und es ging weiter wie im Frühling: mit Erfolg. Vierter in Angers, Dritter in Osaka. «Der Druck und die Erwartungen waren im Sommer hoch», sagt er – er hat ihnen standgehalten. In Japan klassierte er sich hinter Doppelweltmeister Shoma Uno und Yuma Kagiyama, der sowohl an Olympia als auch an der WM Silber gewann.
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Überhaupt: die Japaner! «Wie sie übers Eis gleiten, wie sie springen, ihre schlittschuhläuferischen Fähigkeiten! Für mich ist es schön, dass ich mit ihnen aufs Eis darf, sie sind aber in einer eigenen Liga», sagt er. Während er in Kurzprogramm und Kür zusammen drei Vierfachsprünge zeigt, sind es bei ihnen allein in der Kür vier bis fünf. «Das ist der grosse Unterschied.»
Daneben ein Studium für die geistige Entwicklung
Lukas Britschgi gibt sich keinen Illusionen hin, dahin wird er es nicht schaffen. Mit 25 macht er sich auch längst Gedanken über die Zukunft. «Vielleicht bin ich jetzt auf dem Peak, vielleicht erst in zwei Jahren. Die Olympischen Spiele 2026 sind mein Ziel, wie lange ich mein Niveau jedoch halten kann, weiss ich nicht, Abnützung und Belastung sind gross.» Betriebswirtschaft im Fernstudium lüftet ihm deshalb täglich den Kopf, diese Ablenkung brauche er. «Ich muss mich auch geistig weiterentwickeln, das ist mir wichtig», sagt er.
Anfang Januar allerdings geht es erst einmal nach Kaunas in Litauen – die EM steht an. Während er vor einem Jahr aufs Podest lief, «mental maximal locker», ist er jetzt gespannt, ob er dies wieder zustande bringt. An den nationalen Meisterschaften am Wochenende in Küsnacht hat er mit einem persönlichen Punkterekord (264,89) den Titel gewonnen. Am Selbstvertrauen dürfte es nicht fehlen.
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