Popstar mit TourettesyndromLewis Capaldi muss Konzert unterbrechen – Auftritte in Zürich und St. Gallen abgesagt
Der schottische Sänger wurde bei einem grossen Auftritt von krankhaften Tics geschüttelt. Nun will er pausieren. Seine Schweizer Konzerte von dieser Woche wurden abgesagt.
Es waren herzzerreissende Szenen am Glastonbury Festival dieses Wochenende. Zum ersten Mal seit seiner mehrwöchigen Auszeit stand Lewis Capaldi wieder auf der Bühne. Anfang Juni hatte der 26-jährige Singer-Songwriter in einem Instagram-Statement verkündet, er müsse sich ausruhen. Es sei alles gerade sehr viel nach der Veröffentlichung seines zweiten Albums «Broken by Desire to Be Heavenly Sent».
Der Auftritt am Open-Air-Festival, das mit rund 200’000 Besucherinnen und Besuchern zu den grössten weltweit zählt, hätte sein grosses Comeback sein sollen. Aber dann kam ihm sein Tourettesyndrom in die Quere. «Es tut mir sehr leid, das ist wirklich der schlimmste Ort, an dem so etwas passieren kann», sagte der Musiker auf der Bühne.
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Man sieht in einem Video, wie seine Augenbrauen, sein Kopf und seine Schulter zucken. Wie er immer wieder hüstelt. Bei seinem grössten Hit «Someone You Love» gegen Ende des Konzerts schliesslich kann Capaldi nicht mehr, aber Zehntausende Fans singen lautstark für ihn weiter.
«Glastonbury, es tut mir so leid. Ich bin ein wenig von mir selbst genervt.»
Er schaut mit leerem Blick in die Menge, läuft in einer Mischung aus Enttäuschung und Rührung zum Bühnenrand, seine Hand kurz auf seinem Herzen. «Glastonbury, es tut mir so leid. Ich bin ein wenig von mir selbst genervt.» Er werde in den nächsten Wochen noch einmal eine Pause einlegen. «Es könnte sein, dass ihr mich für den Rest des Jahres nicht mehr seht.»
Schweizer Konzerte abgesagt
Diese Andeutung führt nun zu einem Tourneeabbruch, wie Capaldi via Instagram am Dienstag mitteilte. Das hat zur Folge, dass auch die Auftritte im Zürcher Hallenstadion am Mittwoch und am Open Air St. Gallen am Freitag nicht stattfinden werden.
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In seinem Instagram-Post erklärte Capaldi, dass ihm die Absagen unglaublich leid tun. «Jeden Abend für euch zu spielen, ist alles, wovon ich immer geträumt habe, daher war dies die schwierigste Entscheidung meines Lebens», so Capaldi.
Kein Drogenmissbrauch, sondern Tourette
Es ist nicht das erste Mal, dass Lewis Capaldi ein Konzert unterbrechen muss. Bereits bei einem Auftritt im Februar dieses Jahres konnte Capaldi für eine Weile nicht weitersingen. Auch dort sprangen die Fans für ihn ein. Den Grund für seine Tics hatte Capaldi im September 2022 bei einem Liveauftritt öffentlich gemacht: «Ihr seht mich ab und zu zucken. Es ist nichts, worüber ihr euch Sorgen machen müsst. Ich habe Tourette.»
Als das Publikum weiterkreischte, sagte er: «Danke, dass ihr meine Behinderung feiert.» Dann folgten ein paar weitere Spässe, bevor Capaldi weitermachte. «Es sieht ein bisschen so aus, als würde ich tanzen, aber glaubt mir, wenn ich tanze, sieht es viel, viel, viel erotischer aus.» Oder: «Es ist nicht alles schlecht. Ich darf dafür auf dem Behindertenparkplatz parkieren.» Später erzählte der Schotte in einem Interview, er habe seine Tourette-Erkrankung deshalb öffentlich gemacht, weil er nicht wolle, dass die Leute dächten, er verhalte sich wegen Drogen zuweilen so sonderbar.
Auch Billie Eilish ist betroffen
Tourette ist eine erbliche Erkrankung des Nervensystems, die motorische und vokale Aussetzer zur Folge hat. Zu den genannten Tics zählen Augenzwinkern, Grimassen, Kopfzucken, Hüsteln oder Räuspern; bei manchen kommen Tierlaute oder obszöne, aggressive Worte hinzu. In Stresssituationen können die Tics gehäuft auftreten. Bei den meisten zeigen sich diese Störungen bereits im Primarschulalter, bei Jungen wird die Krankheit etwa dreimal so häufig wie bei Mädchen diagnostiziert, oft auch in Kombination mit ADHS und Zwangsneurosen.
Schätzungsweise 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung sind betroffen, darunter Prominente wie Billie Eilish, David Beckham, Eminem oder Dan Ackroyd. Heilbar ist die Krankheit bislang nicht, allerdings lassen sich die Symptome unter anderem mit Psychopharmaka wie dämpfenden Neuroleptika lindern, manchmal verschwinden die Tics auch von allein wieder.
«Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, um meine Psyche zu retten.»
Lewis Capaldi wiederholt stets, seine Krankheit sei keine grosse Sache. Es sehe viel schlimmer aus, als es sei. Manchmal fühle es sich unangenehm und schmerzhaft an, doch es gehe ja wieder vorbei. Die Doku «How I’m Feeling Now», die seit April auf Netflix zu sehen ist, zeigt jedoch ein düstereres Bild seiner Psyche. Es wird deutlich, welch immensen Druck Capaldi seit dem Erfolg seines Debütalbums «Divinely Uninspired to a Hellish Extent» spürt. Es war 2019 und 2020 das meistverkaufte in Grossbritannien, in der Schweiz hielt es sich 164 Wochen in den Charts.
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Von Panikattacken ist die Rede, was sein Tourette zusätzlich triggert. «Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, um meine Psyche zu retten.» Wie es mit seiner Karriere weitergehen soll, ist unklar.
Bereits im April beschrieb eine Journalistin der «Times» den «lustigsten Mann der Musikszene» als Häufchen Elend, zuckend wegen seiner Erkrankung und mit einer Liste von Beschwerden, die man von einem dreimal so alten Mann erwarten würde, aber nicht von einem 26-Jährigen. Er hasse Übertreibungen, aber es bestehe die Wahrscheinlichkeit, dass er die Musik hinter sich lassen müsse, sagte Capaldi im exklusiven Interview. «Ich versuche, das in den Griff zu bekommen. Wenn ich das nicht kann, bin ich am Arsch.»
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