Analyse zur Regenbogen-AktionPlötzlich zeigen Fussballer Haltung
Mehrere Stars sind an der EM mit politischen Gesten aufgefallen. Eine bemerkenswerte Wandlung, nacherzählt am Beispiel von Deutschland-Goalie Manuel Neuer.
Im Juli vor einem Jahr, der Sommer war umständehalber fussballfrei, sang Manuel Neuer in den Ferien in Kroatien das falsche Lied.
Eine Strandbar an der dalmatinischen Adriaküste, im Hintergrund das kristallklare Meer, ein paar Einheimische mit Akkordeon und Gitarre, und dann, ausgerechnet: «Lijepa li si»! Die Hymne eines Nationalisten und Faschisten, über eine Heimat, die an Kroatiens heutigen Grenzen nicht haltmacht; zu deutsch: «Wie schön bist du.»
Alles, was bei so einer EM in den Blickwinkel der Kameras gerät, ist genehmigungspflichtig.
Als ein Handyvideo von dem Thekenständchen im Internet herumgereicht wurde, war die Sache für den deutschen Nationalgoalie gleich nicht mehr so schön – wusste Neuer, was er da mitgegrölt hatte? Natürlich erging an Neuer dann die Forderung, sich zu erklären, aber «was andere fordern, ist mir eigentlich egal», sagte er nach seiner Rückkehr aus Dubrovnik trotzig.
Er tue jetzt wieder, «wofür ich hier bin». Bälle halten. Und, weils bequemer ist, auch den Mund.
Im Juli vor drei Jahren, der Restsommer war umständehalber ebenfalls fussballfrei – die deutsche Nationalmannschaft war früher als erwartet von der WM aus Russland abgereist –, hat Manuel Neuer sehr lange nichts gesagt. Kein Wort gabs vom DFB-Captain zum vielbeachteten Fall seines Mit-Weltmeisters Mesut Özil, der erst mit seinem Erdogan-Foto provoziert hatte (was man hätte kritisieren dürfen), dann aber rassistische Anfeindungen aller Art zu ertragen hatte (gegen die man sich hätte verwehren müssen).
Neuer? Ging erst mal wieder in die Ferien. Und anstatt das Versäumte nachzureichen – ein paar differenzierte Sätze nur darüber, dass Rassismus natürlich gar nicht geht –, brummte er im August: Das Thema sei «unfassbar anstrengend», und ausserdem «war Urlaub angesagt, es wurde nicht gefragt. Ich habe gelernt, dass man nichts sagen muss, wenn man nicht gefragt wird.»
So lief das leider jahrelang: Die Fussballer und ihr Umgang mit gesellschaftlichen Themen. Hier und da schaffte es mal ein Spieler zu formulieren, dass man natürlich für Vielfalt, Respekt und noch irgendwas eintrete, aber vor allem wollte man sich von der komplexen Welt da draussen nicht beim Kicken stören lassen; und beim Kassieren auch nicht.
Insofern ist alleine das eine bemerkenswerte Entwicklung: dass Manuel Neuer, die Nummer eins des vierfachen Weltmeisters Deutschland, jetzt diese regenbogenfarbene Captainbinde trägt.
Die Uefa-Prüfung ergab: Die Binde ist «good cause».
Wenn man das Design mit den Richtlinien der Uefa abgleicht, ist es zwar wieder das Falsche: Alles, was bei so einer EM in den Blickwinkel der Kameras gerät, ist genormt und genehmigungspflichtig. Weshalb einen halben Sonntag lang die Aufregung gross war, nachdem bekannt wurde, dass der Europa-Verband wegen der Binde eine «Untersuchung» führe gegen Neuer und den DFB.
Ja, man kann alleine die Fragestellung, ob ein universales Zeichen für Diversität und Toleranz als verbotene politische Botschaft einzustufen sei, für eine Zumutung halten. Entscheidender ist allerdings das rasch ermittelte Ergebnis – und dieses ist durchaus nicht selbstverständlich in einem Profisport, in dem das Internationale Olympische Komitee eine Gruppe norwegischer Langläuferinnen mal für das Tragen von Trauerflor ermahnte.
Die Uefa-Prüfung ergab: Die Binde ist «good cause», eine zu begrüssende Botschaft für Vielfalt.
Anders als damals beim Grosskroatienlied darf man davon ausgehen, dass Manuel Neuer diesmal weiss, was für ein Zeichen er setzt. Dass er das bewusst tut, dass er vielleicht sogar die Kraft und die Breitenwirkung erkennt, die ein solches Zeichen hat, wenn es nicht von irgendwem kommt, sondern vom Nationalkeeper. In die LGBTQI+-Community hinein, aber eben auch weit darüber hinaus.
Und sollte jetzt jemand die Frage stellen, ob so ein Zeichen denn nötig ist, dann muss er nur ins Land des nächsten deutschen EM-Gegners blicken: nach Ungarn, wo der Autokrat Viktor Orbán gerade ein homophobes Gesetz hat beschliessen lassen, das die Rechte von Lesben und Schwulen einschränkt. Und wo im aus politischen Gründen trotz Pandemie vollgestopften Stadion von Budapest die Anhänger einer Neonazi-Gruppierung die besten Plätze haben – zum jüngsten Spiel zogen sie mit Plakaten, auf denen sie gegen EM-Fussballer protestierten, die sich kniend für Menschenrechte einsetzen. Protest gegen Protest.
Der Fussball wird das Auseinanderdriften Europas nicht verhindern, aber wenn er seine Stimme für die richtigen Dinge erhebt, ist das sehr willkommen.
Der Münchner Stadtrat hat bei der Uefa beantragt, dass die Allianz-Arena beim Spiel gegen Ungarn in Regenbogenfarben beleuchtet wird. Es fällt einem kein Grund ein, warum das nicht ebenfalls ein «good cause» wäre.
Doch die Europäische Fussball-Union und das EM-Organisationskomitee sehen das offenbar anders. Das EM-Stadion in München wird nach Informationen der «Bild»-Zeitung nicht in Regenbogenfarben leuchten. Sondern wie ursprünglich vorgesehen in denen der teilnehmenden Länder – und der Uefa.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.