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Lesende fragen Peter Schneider
Hassen sich Menschen­verachter selbst?

KABUL, AFGHANISTAN -- AUGUST 31, 2022: Members and supporters of the Taliban gather to commemorate the one year anniversary of the United StatesÕ military withdrawal after a 20-year occupation, along with itÕs NATO allies, waving white emirate flags and raising weapons at the sky, at MassoudÕs circle a major roundabout named after Ahmad Shah Massoud, in Kabul, Afghanistan, Wednesday, Aug. 31, 2022. (MARCUS YAM / LOS ANGELES TIMES)
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Die Menschenverachtung jener, die beliebig viele andere Menschen für ihre Zwecke in den Tod schicken, ist mir unfassbar. Müsste dem nicht eine ebensolche Selbstverachtung dieser Ungeheuer entsprechen? A.S.

Lieber Herr S.

So wie Dummheit in der Regel nicht wehtut, sondern viele Menschen eher aggressiv und sendungsbewusst macht, so schmerzt auch Menschenverachtung die Menschenverachter kaum. Im Gegenteil: Sie gibt ihnen das Gefühl einer realitätsnahen Unverwundbarkeit. Wir müssen nicht gerade grausame Diktatoren als Beispiele ins Feld führen. Das untere und mittlere Kader dieser Gruppe reicht dafür völlig aus.

Menschenverachter sind gar nicht unbedingt verbissen. Wenn Sie sich die Bilder der Reichspogromnacht (die sich jetzt am Donnerstag nächster Woche zum 84. Mal jährt) betrachten, dann sehen Sie eher feixende und muntere Gestalten, die es lustig finden, dass die Juden gezwungen werden, das Trottoir mit der Zahnbürste zu reinigen. Die Grausamkeit, die die Herumstehenden dabei offenbaren, ist weniger ein exzessives Gaudi als ein heiterer Ausbruch der gepflegten Mitleidslosigkeit und der Häme.

Es ist, als ob das, was man im Schulkontext Bullying nennt, nahezu ungehemmt und als politischer Realismus getarnt in den gesellschaftlichen Alltag einfliesst: Wenn einer weint, führt das nicht zu einer Entschuldigung, sondern zum reflexhaften «Heul doch». Wer schwach ist, wird gequält; wer stark ist, braucht keinen Schutz.

Die Hartherzigen lieben einerseits Einzelfälle und andererseits den Vorwurf an die «woke» Linke.

Diese höhnische Moral durchtränkt so viele gesellschaftliche Bereiche: von der Flüchtlingspolitik über die Praxis der IV-Gutachten bis hin zum vergangenen Pandemiemanagement. Wer schwächelt, wird zum Gegner. Bewiesen werden kann das mit unzähligen Anekdoten: dem Islamprediger, der als Flüchtling kam und jetzt das Massaker der Hamas bagatellisiert; dem Sozialhilfeempfänger, der eine kostbare Oldtimer-Sammlung sein Eigen nennt, und natürlich die IV-Rentnerin, die angeblich Rückenschmerzen und Depressionen hat, aber trotzdem noch schwarz in der Bauspenglerei ihres Cousins arbeitet.

Die Hartherzigen lieben einerseits Einzelfälle und andererseits den Vorwurf an die «woke» Linke, diese würden das Gros aller Fälle zu Ausnahmen herabstufen wollen. Ein grammatisches Indiz für die rechte Härte ist übrigens, dass in deren Forderungen gern transitive Verben ohne das eigentlich geforderte Akkusativobjekt verwendet werden. «Wir müssen schneller abschieben» (Olaf Scholz auf dem Titel des «Spiegels»).

Wen, warum, wie schnell unter welchen rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Bedingungen? So wie ich hier fragen halt nur Weicheier.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.