Leseempfehlungen der RedaktionWirtschaftsbücher machen sich gut unter dem Weihnachtsbaum
Das beste KI-Buch, lehrreiche Wirtschaftsgeschichte, Lehren aus dem Untergang der Credit Suisse, mehr Taschengeld für Mädchen, der neue Luxus der Eliten und Rohstoffe für das Leben – sechs Buchtipps.
So geht künstliche Intelligenz
Ethan Mollicks «Co-Intelligence: Living and Working with AI» ist das beste Buch des Jahres, um den Einfluss der künstlichen Intelligenz (KI) auf unser tägliches Leben zu verstehen. Es ist zwar derzeit nur auf Englisch erhältlich, aber der Professor an der Wharton School erklärt komplexe KI-Konzepte in einfacher Sprache, mit vielen Beispielen und Metaphern, sodass es auch ohne perfekte Englischkenntnisse oder technischen Hintergrund verständlich ist. Eine deutsche Übersetzung ist für April 2025 geplant.
Mollick betont die Bedeutung der Zusammenarbeit mit KI und sieht sie als Partnerin in verschiedenen Aufgabenbereichen, nicht als Ersatz für menschliche Anstrengungen. Das Buch bietet praktische Ratschläge zur Integration von KI in Arbeits- und Bildungsprozesse und veranschaulicht deren potenzielle Vorteile anhand realer Beispiele.
Zudem geht Mollick auf ethische Aspekte ein und fordert die Leser auf, KI verantwortungsbewusst und überlegt einzusetzen. Insgesamt dient «Co-Intelligence» als hervorragende Einführung in die Welt der KI und ermutigt dazu, sich aktiv mit dieser sich rasant entwickelnden Technologie auseinanderzusetzen.
Mollick hat sich als führende Stimme in Bezug auf die Auswirkungen der KI auf die Gesellschaft etabliert. Jede Person, die eine Grundlage für praktisches Wissen sucht, um die bevorstehenden massiven Veränderungen zu verstehen, sollte dieses aufschlussreiche Buch sofort lesen.
Titus Plattner
Die Weimarer Republik als Mahnung
Der Historiker Volker Ullrich hat die begnadete Fähigkeit, Geschichte zum Leben zu erwecken. Mit «Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik» hat Ullrich dieses Jahr ein ebenso aktuelles wie überaus lesenswertes Sachbuch vorgelegt.
Nicht grundlos werden die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts oft mit den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts verglichen. Das Buch zeigt auf, was passieren kann, wenn Menschen an der Macht sind, für die Demokratie nur Mittel zum Zweck ist und die für das Konzept der Mitbestimmung nur Verachtung übrig haben. Es macht anschaulich, was passiert, wenn Parteien ihr Eigeninteresse über das Wohl der Gesellschaft stellen, wenn Koalitionen regelmässig scheitern und die politische Mitte erodiert.
Es zeigt auch, was geschehen kann, wenn man Rechtsextremisten integrieren will, weil man glaubt, sie so besser kontrollieren oder gar zähmen zu können. Wer einmal Extremist ist, dies macht Ullrich klar, der wird kein Demokrat mehr. Umso gefährlicher ist es, dabei zu helfen, Extremisten salonfähig zu machen.
Ullrichs Buch ist nicht nur eine politische Lektüre, sondern auch eine wirtschaftliche. Denn es waren gerade auch Vertreter der deutschen Grossindustrie, die als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise 1929 und deren drastische Auswirkungen in Deutschland zum Angriff auf den Sozialstaat bliesen. Sie schreckten nicht davor zurück, die Demokratie zu untergraben, wenn Parteien an der Macht waren, die nicht in ihrem Interesse handelten.
Reparieren liess sich die Demokratie danach nicht mehr, und was wenige Jahre darauf passierte, ist allseits bekannt. Mit ihrem Verhalten, so Ullrichs Schlussfolgerung, habe die Unternehmerschaft indirekt zum Erfolg der Nationalsozialisten beigetragen. Staatsabbau, dies zeigt das Buch, kann in Zeiten der Krise auch gefährlich sein.
Christopher Gilb
Das Finanzsystem krisenfest machen
Avenir-Suisse-Direktor Jürg Müller hat unter dem kollektiven Pseudonym Jonathan McMillan vor kurzem das Buch «Kapitalismus und Marktwirtschaft» veröffentlicht. Der zweite Autor will in der Öffentlichkeit nicht als Autor auftreten.
Die beiden Autoren erklären in ihrem Buch, wie sich das Finanzsystem verbessern liesse, damit künftige Finanzkrisen vermieden werden könnten. Die Ideen sind spannend, die Sprache meist verständlich. Zugegeben: Manchmal fällt es schwer, den Ausführungen der Autoren zu folgen, es lohnt sich aber, sich durchzubeissen.
Im Interview mit dieser Zeitung sagte Mitautor Müller: «Das Bankwesen schafft systemische Risiken. Es geht also am Ende nicht einfach um einzelne Banken, sondern um das Finanzsystem als Ganzes.» Im heutigen System müssten zur Stabilisierung in Krisen immer wieder Firmen staatlich gestützt werden. «Um diese Verletzung von Marktprinzipien zu verhindern, müssen wir das System als Ganzes verbessern», so Müller.
Die Arbeit am Buch nahm über sechs Jahre in Anspruch, doch könnte der Zeitpunkt des Erscheinens kaum besser gewählt sein: Die Schweiz diskutiert über neue Regeln, um die UBS zu zähmen sowie die Banken besser zu überwachen. Einfach wird das nicht: Gegen die ersten Vorschläge hat sich bereits Widerstand formiert.
Das Buch ist zuerst auf Englisch erschienen und wurde unterdessen auf Deutsch veröffentlicht.
Jorgos Brouzos
Die Geldlücke schliessen
Die beiden Autorinnen Patrizia Laeri und Nadine Jürgensen sind auf einer Mission. Sie schreiben: «Schon Mädchen erhalten weniger Taschengeld als gleichaltrige Jungs, und dies in zahlreichen Ländern.» Das – unter anderem – wollen sie ändern.
Die beiden Gründerinnen der Finanzplattform Ellexx versammeln eine Reihe von Beiträgen, um Frauen den Zugang in die Welt der Finanzen zu erleichtern. Denn eine geschlechtsspezifische Geldlücke ziehe sich durch ein ganzes Frauenleben – «nicht nur bei den Lohnverhandlungen, sondern auch bei der Finanzbildung, beim Investieren und besonders bei der Altersvorsorge».
Zahlreiche Tipps und konkrete Lösungsansätze zeigen auf, wie sich die «Geldlücke» schliessen lässt. Die Ratschläge sind wertvoll und kompetent beschrieben. Einige der Texte dürften regelmässigen Leserinnen und Lesern der Ellexx-Plattform aber bekannt vorkommen, weil sie dort schon erschienen sind. Schaden tut das nicht.
Jorgos Brouzos
«Luxusüberzeugungen» der Elite schaden den Armen
Rob Henderson wurde als Sohn einer drogenabhängigen Mutter geboren, seinen Vater lernte er nie kennen. Er wechselte zwischen Kinderheimen und Pflegefamilien in Kalifornien hin und her. Einsamkeit, Armut und Gewalt prägten seine Jugendjahre. Er ging zur US Air Force – und schaffte es an die Eliteuniversität Yale.
Im zweiten Teil des Buches entwickelt Henderson das Konzept der «Luxury Beliefs», denen er in Yale begegnet. Diese «Luxusüberzeugungen» dienen dazu, einen überlegenen Status zu signalisieren. Elitäre Überzeugungen wie die Ablehnung traditioneller Werte oder die Förderung alternativer Lebensstile führen aber oft zu Nachteilen für weniger wohlhabende Schichten. Denn diese haben weniger Ressourcen, um mit den Konsequenzen umzugehen. Die Studierenden an der Eliteuniversität behaupten, traditionelle Familienstrukturen seien überholt, leben aber selbst in einer stabilen Zwei-Eltern-Familie und planen eine Ehe. Weitere Beispiele sind die Legalisierung von Drogen oder die Forderung, die Mittel der Polizei zu kürzen – was den Armen am meisten schadet, weil sie die häufigsten Opfer von Kriminalität sind.
Henderson hat erlebt, wie die Abwertung traditioneller Normen und stabiler Strukturen bei Kindern der Unterschicht zu Orientierungslosigkeit und destruktivem Verhalten führt. «Troubled» – das Buch ist noch nicht auf Deutsch erscheinen – ist ein ergreifendes Porträt zerrütteter Familien und Strukturen, aber gleichzeitig eine spannende gesellschaftspolitische Analyse.
Armin Müller
Innovationen für die Menschheit
Wer Argumente für die Aufrechterhaltung der globalen Lieferketten und der internationalen Arbeitsteilung benötigt, findet sie in Ed Conways Buch «Material World» über die Geschichte der Rohstoffe Sand, Salz, Eisen, Kupfer, Erdöl und Lithium. Es erklärt eindringlich, dass wir in einer materiellen Welt leben, die wir trotz steigenden Unbehagens gegenüber den dahinter stehenden Industrien und den Folgen für unsere Umwelt in absehbarer Zeit nicht verlassen können. Zu sehr sind die Warenströme und die Produktionsmechanismen miteinander verhängt, als dass sich ein Land darüber hinwegsetzen und sich in Autarkie üben könnte, wie es von Populisten propagiert wird.
Conways Verdienst ist es, exemplarisch aufzuzeigen, dass die weltweite Arbeitsteilung eine Tausende Jahre alte Geschichte hat. Rohwaren aus verschiedensten Weltgegenden müssen zuerst zusammengetragen, um danach verarbeitet zu werden. Dass dies geschieht, hat immer mit Innovation zu tun: Wenn eine Erfindung den Menschen das Leben erleichtert, finden die dazu nötigen Rohwaren wie auf wundersame Weise ihren Weg um die Erde. Um dort in schöpferischen Akten zusammengefügt und als neue Produkte wiederum in alle Welt zu gelangen.
Das beste Beispiel ist das scheinbar profanste Material: Sand. Es existiert in Hunderten unterschiedlich zu verarbeitenden Formen und hat zunächst als Glas und heute vor allem als Silizium – etwa für Computerchips – entscheidende Fortschritte für die Menschheit erbracht. Das liest sich in «Material World» wie ein historischer Krimi. Dabei vergisst Conway nicht, die Schattenseiten dieser Entwicklungen zu beleuchten.
Roberto Zimmermann
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