Leichte HerbsttourWandern im Duft von Arvenholz
Das Fextal ist eines der schönsten Seitentäler des Oberengadins. Unser Autor ist begeistert von der heiteren Ruhe und den leuchtenden Herbsttönen.
Dieser Artikel stammt aus der Schweizer Familie
Es ist noch früh am Tag. Sils Maria döst vor sich hin, die Sonne taucht die Häuser in Licht und Schatten, der Himmel zeigt sich hell und strahlend.
Die Läden haben geschlossen, keine Pferdekutschen, die bei der Chesa da la Punt auf Fahrgäste warten, nur herbstliche Ruhe.
Einige Wanderinnen schlendern durch das Dorf, das Nietzsche-Haus, etwas zurückgezogen vor dunklen Bäumen, aber hübsch zurechtgemacht mit grünen Fensterläden, grüsst aus früheren Zeiten – ein Oktobertag, wie geschaffen, den Herbst im Oberengadin mit einer leichten Wanderung ins Fextal zu beschliessen.
Aus der Tiefe ins Licht
Viele Wege führen ins Val Fex. Der Name stammt aus dem Romanischen – «feda» steht für «Schaf»; früher brachten Hirten aus dem Bergell grosse Schafherden ins Tal. Aber meine Partnerin und ich bringen keine Schafe ins Tal, lediglich unseren Hund.
Wir streben dem Schluchtenweg zu. Der Konzertplatz eingangs der Schlucht liegt noch im Schatten, keine Kapelle spielt, einzig das Rauschen der Fedacla sorgt für Musik. Der Weg leitet uns erst am Fluss entlang in die Schlucht, dann steigt er an, windet sich durch Felsengalerien und führt bald darauf aus dem Schluchtschatten ins Licht.
Eine Bergwiese, herbstlich gelb, dahinter Lärchen, die ihren Goldglanz eingebüsst haben und sich rötlich braun von der fernen Gebirgskette abheben. Ein paar Häuser, der Weiler Platta, das Rauschen der Fedacla, und auf der andern Flussseite ein Ziegenstall – eine der Geissen, eine ausnehmend hübsche mit grau-schwarz-weiss gestromtem Fell, steht auf einem Mauervorsprung an der Hauswand und linst neugierig zu uns herüber. Wohl des Hundes wegen, doch der tut uninteressiert und drängt hügelan, Richtung Fex Crasta.
Bald rückt das Hotel Sonne Fex ins Blickfeld, dann der Turm des reformierten Bergkirchleins von Crasta. Ein elegantes Türmchen mit offener Glockenstube. Überhaupt nimmt sich dieses denkmalgeschützte Gotteshaus aus dem 15. Jahrhundert äusserst elegant aus. Ein weisses Sakral-Schmuckstück, gleichermassen rein wie trutzig.
Auch sonst hat die Kirche einiges zu bieten: Ihre Fresken sind bekannt, Freunde der Modelleisenbahnen kennen sie als Modell der Firma Faller, und auf dem Friedhof des kleinen Gotteshauses ist die Urne des Dirigenten Claudio Abbado beigesetzt.
Wir wandern weiter. Später, auf dem Rückweg, werden wir in der Pensiun Crasta einkehren und uns in deren Garten an einem Glas Roten und an Regionalem gütlich tun – Steinpilze aus dem Bergell etwa oder frisch gemachte Capuns. Doch noch drängt es uns vorwärts, ins Fextal, von dem Friedrich Nietzsche sagte, dass es ihm im Grunde nirgendwo so gut gefalle. Seine poetischen Schwärmereien über Licht, Seen und Wälder des Engadins veredeln Bücher, Schilder und Broschüren.
Nun, recht hat der Mann, das Engadin ist tatsächlich eine Sehnsuchtslandschaft, und das Licht entzückt nicht nur Fotografinnen und Maler, es legt sich quasi als heitere Melodie auf Gemüt und Seele. Nicht nur bei besonders Empfindsamen, auch unser Hund scheint in diesem lichtdurchfluteten Hochtal fröhlicher als sonst. Es sei denn, er entdeckt ein Eichhörnchen!
Bergwald mit Aussicht
Kein Eichhorn kreuzt unseren Weg, obwohl der kurz nach Crasta steil in den Wald sticht, auf La Motta zu. Wir wandern in einer hohlen Gasse, dick bedeckt mit Arven- und Lärchennadeln, und in der Luft liegt der Duft von Arvenholz. Tief durchatmen, ein Aromabad für die Lungen. Zwischen den Bäumen taucht ein Haus auf, der Wald weicht zurück und gibt den Blick frei ins rund acht Kilometer lange Fextal, auf die Fedacla, auf Bergwiesen und die auslaufenden Flanken des Piz Chüern.
Ein prächtiger Bergwald. Immer wieder laden Holzbänke zum Verweilen, der Weg führt vorbei an Wiesen und Weiden, immer weiter, bis er sich gabelt – taleinwärts Richtung Alp Muot Selvas und Gletscher und hinunter zum Fluss und nach Chalchais, wo, wenn geöffnet, das bekannte Hotel Fex zur Einkehr lädt.
Das Hotel hat allerdings geschlossen, und so wandern wir gemütlich auf der Fahrstrasse zurück nach Crasta und in den sonnigen Garten der gleichnamigen Pensiun, wo wir Steinpilze und ein Glas Roten geniessen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.