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Folgen der Liberalisierung
Kiffen ist legal, aber die Gesundheit gewinnt kaum

A stylish young partygoer is lighting a Joint while dancing with her friends in a colourful outdoor nightclub.
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War den kanadischen Tierärzten klar, dass die Folgen der Cannabis-Legalisierung so deutlich bis in ihre Sprechzimmer reichen würden? Immer mehr Katzen, Leguane, Frettchen, Kakadus, Pferde und vor allem Hunde wurden zu ihnen gebracht, im Bauch die versehentlich gefressenen Marihuana-Vorräte ihrer Halter. Die Mediziner konnten dann erleben, wie so ein Pudel auf Marihuana aussieht: «Die Symptome reichten von Harninkontinenz, bei der das Tier überall hinpinkelt, über Ataxie, also bewegungsbezogene Probleme, bis hin zu Hyperästhesie, bei der die Tiere eine erhöhte Empfindlichkeit der Sinne zeigen», sagte Jibran Khokhar vom Ontario Veterinary College kanadischen Medien. Er hatte in einer Erhebung unter fast 200 kanadischen Veterinären erfahren, dass sie mehr Cannabis-Notfälle bei Tieren erlebten, seit die Droge vor fünf Jahren legalisiert wurde.

Die Folgen für Haustiere sind nur ein Randaspekt, doch sie machen deutlich, wie weit Konsequenzen reichen und wie unerwartet sie sein können – und damit auch, wie schwierig es ist, sie umfassend einzuschätzen.

Dabei blicken Experten mit Spannung auf die kanadischen Erfahrungen. Das Land ist der erste Industriestaat, der Gras flächendeckend erlaubte – und dies ausdrücklich zu dem Zweck, die öffentliche Gesundheit zu verbessern. Wesentliches Ziel war, den hohen Konsum vor allem unter Jugendlichen zu senken. Wie also ist die Lage nach den ersten fünf Jahren erlaubten Kiffens?

Keine Katastrophe, aber auch kein Grosserfolg

Durchwachsen, kann man die ersten vorsichtigen Bilanzen zusammenfassen. «Momentan sieht es so aus, als ob die Legalisierung nicht die Public-Health-Katastrophe hervorbrachte, die manche ihrer Gegner befürchteten. Doch als umfassenden Erfolg für die Gesundheit kann man die Lage auch nicht beschreiben», resümierten Wissenschaftler um den Suchtforscher Benedikt Fischer von der Simon Fraser University in Vancouver vor kurzem im Fachblatt «Canadian Medical Association Journal» (CMAJ).

Demnach hat das neue Gesetz in manchen Bereichen kaum etwas geändert. Dazu gehört das Ausmass des regelmässigen Konsums. Nach Daten der Behörde Health Canada kiffen zwar mittlerweile etwas mehr Menschen gelegentlich. Doch liegt bei ihnen der Anteil derjenigen, die täglich oder nahezu täglich zur Droge greifen, seit Jahren konstant bei etwa 25 Prozent. Auch die Zahl jugendlicher Konsumenten blieb auf hohem Niveau weitgehend gleich. Je nach Umfrage griffen zwischen 30 und 50 Prozent der jungen Menschen zumindest gelegentlich zu Cannabis. (Lesen Sie unser Interview mit einem Drogenexperten: «Cannabis ist viel gefährlicher, als man glaubt»)

Was die Verkehrssicherheit betrifft, scheint es ebenfalls keine grossen Veränderungen zu geben. Studien und Befragungen zur Häufigkeit von Fahren unter Cannabis-Einfluss ergeben zwar unterschiedliche und zum Teil auch inkonsistente Ergebnisse. Doch alles in allem deutet nichts darauf hin, dass das Land nun ein enormes Problem mit zugedröhnten Autofahrern hat.

Mehr Kinder und Jugendliche im Spital

In anderen Bereichen sehen Fischer und Kollegen dagegen Veränderungen zum Negativen. So kommen seit der Legalisierung mehr Menschen mit Cannabis-Nebenwirkungen in die Notaufnahmen und die Krankenhäuser. In den Provinzen Ontario und Alberta haben beispielsweise 20 Prozent mehr Jugendliche einen Notarzt aufgesucht, weil ihr Versuch mit dem Gras schiefging und sie unter den Symptomen einer Cannabis-Vergiftung litten.

Daten aus vier Provinzen des Landes deuten darauf hin, dass dreimal so viele Kinder wie zuvor in Notaufnahmen gebracht werden, weil sie versehentlich Cannabis-Produkte gegessen haben. In diesen vier Provinzen wurden in den drei Jahren nach der Legalisierung knapp 500 Kinder wegen einer Cannabis-Vergiftung stationär aufgenommen.

Die häufigeren Behandlungen in Kliniken und Notaufnahmen könnten allerdings zumindest in Teilen auch darauf beruhen, dass Menschen sich jetzt eher trauen, mit Marihuana-Problemen professionelle Hilfe zu suchen.

Bis 80 Prozent weniger Festnahmen

Schliesslich stellten die Forscher auch positive Entwicklungen fest. Mittlerweile beziehen zwei Drittel der Kanadier ihr Cannabis aus legalen Quellen, was den Stoff sicherer macht. Doch die grösste Verbesserung sehen die Autoren ausgerechnet in einem Bereich, der die Gesundheit nicht direkt betrifft.

Festnahmen wegen Marihuana-Delikten gingen seit der Legalisierung um etwa 70 bis 80 Prozent zurück. Zehntausende Kanadier seien damit vor Strafen bewahrt worden, die früher vieles gefährdeten: Karrieren, soziales Ansehen, Beziehungen. Die bisweilen willkürlich und ungerecht waren. Dass diese Belastungen nun wegfielen, könnte indirekt auch der Gesundheit zugutekommen, heisst es in dem Artikel. Beziffern lässt sich dieser Effekt aber derzeit nicht.

Diese Entwicklungen hatte so ähnlich bereits ein Überblicksartikel im Fachblatt «Addiction» beschrieben, in dem kanadische Forscherinnen und Forscher die Erfahrungen aus den ersten vier Jahren des freien Cannabis-Zugangs auswerteten. Und das vorsichtige Fazit – die Legalisierung habe zu keiner Katastrophe, aber auch zu keiner grösseren Verbesserung für die Gesundheit geführt – könne man auch für andere Länder mit legalem Cannabis ziehen, sagt Peter Neu. Er ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Jüdischen Krankenhauses Berlin und hat sich mit den Legalisierungserfahrungen in den USA, Uruguay und Kanada beschäftigt.

Konsum sinkt wohl eher nicht

So weit, so schwierig. Denn diese Befunde lassen sich sehr unterschiedlich bewerten. Einerseits als ein: Schaut, alles nicht so schlimm. Andererseits aber auch als ein Scheitern des ursprünglichen Plans. Denn das in allen Ländern mehr oder weniger exakt formulierte Ziel, die Gesundheit und die Sicherheit der Bevölkerung zu verbessern, wurde bisher nicht erreicht, das legen die Ausführungen von Peter Neu in einem Fachaufsatz im Blatt «Fortschritte in der Neurologie/Psychiatrie» nahe. Das gelte besonders für den Schutz von Jugendlichen. «Nichts deutet bislang darauf hin, dass in einem legalen und kontrollierten Markt weniger Minderjährige Cannabis konsumieren», sagt der Psychiater.

Hinzu kommt, dass die bisherigen Erfahrungen unsicher und alles andere als vollständig sind. Die Folgen der Cannabis-Legalisierung können weit über das hinausreichen, was sich bis jetzt halbwegs einschätzen lässt. Kanadische Forscher haben lange Listen mit potenziellen Auswirkungen erstellt, die beobachtet werden müssten, um ein auch nur annähernd umfassendes Bild zu erhalten. Bis zu 28 mögliche gesundheitliche Entwicklungen haben sie zusammengetragen. Etwa: Wie wirkt sich das häufige Ziehen am Joint auf die Tabaksucht aus? Dämpft oder steigert Cannabis gewalttätiges Verhalten? Darüber ist wenig bekannt. Noch weniger weiss man über indirekte Gesundheitsfolgen etwa durch den Wegfall von Stigmatisierungen, geschweige denn über Konsequenzen für Umwelt oder Tiere.

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