Landesweite KundgebungenDie Bauern protestieren auch in der Schweiz – fürchten aber um ihren Ruf
Aus Frust über ihre Arbeitsbedingungen haben Landwirte am Wochenende vielerorts ihre Traktoren auf Brücken gefahren. Der Bauernverband versucht, eine Eskalation zu verhindern.
In der Schweiz flammen Bauernproteste auf: An verschiedenen Standorten sind am Freitagabend Landwirtinnen und Landwirte Traktoren auf Autobahnbrücken gefahren und haben die Warnlichter blinken lassen. Rund 20 Aktionen im ganzen Land sind dieser Redaktion bekannt, von St. Gallen bis ins Freiburgerland. Die Bauern kritisieren, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren verschlechtert hätten.
Da Traktoren im Mittelpunkt standen, ähnelten die Kundgebungen auf den ersten Blick den Demonstrationen, zu denen sich Bauern und Bäuerinnen in den vergangenen Wochen in verschiedenen europäischen Ländern getroffen hatten. Während allerdings in Deutschland, Frankreich, Italien oder Spanien viele Tausende Berufskollegen jeweils zentrale Strassen und Plätze blockierten, versammelten sich in der Schweiz jeweils nur ein paar Dutzend Landwirte mit ihren Traktoren.
Oft blockierten sie dabei nicht die Strasse, sondern reihten sich bloss an deren Rand auf, sodass Autos passieren konnten. Und anders als im Ausland brachten sie mit ihrem Protest keine grundsätzliche Kritik an der Regierung zum Ausdruck, geschweige denn – wie teilweise in Deutschland – nationalistische Gesinnungen.
Bauernverband verweigert Unterstützung
Ein Miniprotest also, ein zahmer noch dazu. Bereits in den vergangenen Wochen hatten vereinzelte Kundgebungen stattgefunden; im Welschland hatten Bauern aus Unmut Hunderte Ortsschilder ab- und verkehrt herum wieder angeschraubt.
In den nächsten Wochen sind vielerorts weitere Kundgebungen geplant. «Wir wenden bewusst weniger radikale Methoden an», sagt Thomas Rieder, der normalerweise mit seiner Frau im basellandschaftlichen Reigoldswil Angusrinder züchtet und mehrere Protestaktionen in der Region koordiniert hat. «Die Schweizer Bevölkerung ist der Landwirtschaft gegenüber positiv eingestellt. Mit einem aggressiveren Protest würden wir das aufs Spiel setzen.»
Um eine solche Reaktion zu vermeiden, hat der Bauernverband die Kundgebungen bisher nicht unterstützt: «Für eine offizielle Aktion des Bauernverbands ist zurzeit nicht der richtige Zeitpunkt», erklärt eine Verbandssprecherin. «Deshalb fordern wir auch nicht aktiv zur Teilnahme an solchen Protestaktionen auf.»
Im Ausland waren die Proteste jeweils zentral organisiert gewesen. In der Schweiz ging die Initiative dagegen von der Basis aus. Die Landwirtinnen und Landwirte in den verschiedenen Regionen organisierten sich jeweils über die sozialen Medien.
Inhaltlich ist der Bauernverband mit den Protestierenden hingegen auf einer Linie: Die Vorschriften für Tierwohl und Umwelt würden laufend mehr, doch würde dieser Mehraufwand nicht genügend abgegolten. Gleichzeitig seien die Kosten für die Produktion in den letzten Jahren deutlich gestiegen, die Produzentenpreise aber nicht.
So simpel die Problembeschreibung ist, so kompliziert ist die Lösungsfindung. Es wimmelt von Zielkonflikten: Der Druck aus Bevölkerung und Politik nach einer nachhaltigen Landwirtschaft nimmt zu. Mehr Direktzahlungen scheinen angesichts der klammen Bundesfinanzen dagegen unrealistisch – die Subventionen sind jetzt schon deutlich höher als im europäischen Ausland.
Im Dezember erst hat das Parlament zumindest eine Kürzung der Landwirtschaftssubventionen verhindert. Finanzministerin Karin Keller-Sutter hat vergangene Woche einen nächsten Versuch gestartet, um alle Bundesausgaben – und damit womöglich auch die Direktzahlungen – zu gleichen Teilen zu beschneiden.
Was die Produzentenpreise angeht, sind auch die Käufer nicht zu beneiden: Die Probleme mit einem zu tiefen Preis bestehen seit Jahren insbesondere in der Milchwirtschaft. Der Markt für Käse wird anders als jener für Fleisch oder Gemüse nicht durch Importbeschränkungen von der europäischen Konkurrenz abgeschirmt. Allzu grossen Spielraum dürften die Grossmolkereien wie Emmi oder Elsa (gehört der Migros) nicht haben. Je stärker der Franken wird, desto grösser wird ausserdem der Druck auf die Preise.
Parmelin hat es vorhergesehen
In der Hoffnung auf mehr Gehör hat der Bauernverband vergangene Woche eine Petition mit 65’000 Unterschriften an Wirtschaftsminister Guy Parmelin und die Spitzen der grossen Detailhändler übergeben.
Parmelin, früher hauptberuflich Weinbauer, war sich des Frusts schon zuvor bewusst. Wie die «NZZ am Sonntag» schreibt, hielt er vergangenen Herbst im Bundesrat seine Hand über die Bauern: Mit Blick auf den Umweltschutz und gesündere Bundesfinanzen hätte diesen die Verbilligung des Diesels für Traktoren gestrichen werden sollen. Parmelin argumentierte dagegen, das würde den strukturellen Druck auf die Landwirtschaft erhöhen, und setzte sich durch.
Parmelins Intervention erfolgte lange vor den grossen Kundgebungen im Ausland und den kleinen im Inland. Ob sie reicht, damit sich der Frust der Schweizer Landwirtinnen und Landwirte nicht weiter Bahn bricht, ist unklar.
Im Frühjahr finden die Verhandlungen über die Produzentenpreise mit den Grossverteilern und Zwischenhändlern statt. Viele Bauern drohen schon heute damit, dass sich die Form des Protests bei unbefriedigendem Ausgang ändern würde.
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