Rüpelhaftigkeit als VolkssportDie sagenhafte Arroganz all jener, die im ÖV den Lautsprecher verwenden
Man kann ihnen nicht ausweichen, sie sind überall, und sie sind viele: Die Grobiane, die einem mit Musik, Videos oder Telefonaten in voller Lautstärke den letzten Nerv ausreissen.

Selbst das sonnigste Gemüt überkommen in Bus, Zug und Tram ungeheure Aggressionen. Man möchte die Ohren zuhalten und schreien, man möchte sich zu Boden werfen und töibelen, ja, man möchte komplett die Contenance verlieren und rumbrüllen. Je nach Postur des Gegenübers zieht man gar einen körperlichen Angriff in Betracht, zumindest ein entschlossenes Sich-Bemächtigen von dessen Handy, um dieses auf den Boden zu knallen und darauf herumzutrampeln, bis es endlich, endlich aufhört zu plärren und Ruhe gibt. RUHE.
Denn sie reissen einem den allerletzten Nerv aus, die Mitreisenden im ÖV, die statt Kopfhörer den Lautsprecher verwenden. Es gibt solche, die mit voller Lautstärke Nachrichten hören. Andere schauen Serien, Videos, Tiktok. Kinder gamen. Erwachsene telefonieren per Zoom, ganze Zugfahrten lang und auch dann, wenn sie Lämpen haben. Derweil insbesondere Männer gerne Sitzungen abhalten und «Tschällensch» und «Tscheinsch-Mänätschmänt» sagen, womit sie nicht wichtig tönen, sondern sagenhaft blöd. Wer nichts mitbekommen hat von der segensreichen Erfindung namens Kopfhörer, sollte keine Meetings leiten dürfen und sowieso daheimbleiben.
Warum zum Teufel finden so viele nichts dabei, ganze Waggons mit ihrer Musik, ihren Videos und ihren Privatangelegenheiten zu belästigen? Wann wurde diese Rüpelhaftigkeit zum Volkssport? Wenn man woke mal bräuchte, ist es nirgends zu finden; im ÖV jedenfalls ist der Trumpismus längst durchmarschiert.
Ohne Kopfhörer hält man den ÖV nicht mehr aus
Die SBB sehen darin allerdings kein Problem. Auf Anfrage erklären sie, wen das störe, der könne sich ja ins Ruheabteil setzen. Jetzt sind die aber gerne mal voll, zudem halten sich nicht einmal dort alle an die Regeln. Und in den S-Bahnen gibt es diese Möglichkeit grad gar nicht. Überhaupt, fragt man sich, warum müssen jene, die still und leise Zug fahren wollen, mühselig einen bestimmten Wagen suchen, während jene mit den blechernen Lautsprechern einen ungehindert molestieren dürfen? Verkehrte Welt.
Die SBB erklären auch, sie könnten keine Zunahme an Reklamationen wegen Lautsprecher-Grobianen feststellen. Das verwundert einen jetzt nicht. Man ist nach einer weiteren solchen Zugfahrt derart erschöpft, dass man aufgibt und sich nicht mal mehr beschweren mag. Stattdessen googelt man mit letzter Kraft «ALLERBESTE LÄRMUNTERDRÜCKUNGSKOPFHÖRER DER WELT» und rüstet auf. Es gibt Leute, die sicherheitshalber stets drei Paar mit sich führen, damit sie unter keinen Umständen je ohne Akku dastehen, weil sie sonst für nichts mehr garantieren können.
In Frankreich geht man viel beherzter vor gegen diese Misere (was den SBB unbekannt ist, wie sie sagen). Bereits vor einem Jahr machte die staatliche SNCF ihre Kundschaft mit Inseraten darauf aufmerksam, dass sich die Mitreisenden nicht dafür interessierten, was sie zu Abend essen würden. Denn der Franzose hat selbst etwas gegen das Hoi-wo-bisch-ich-bin-im-Zug-Aufläuten, er findet das gänzlich unnötig. Deshalb gibt es ein Gesetz, das Lärm im ÖV verbietet. Auch das Telefonieren mit Kopfhörern.
200 Euro Busse für Telefonieren mit Lautsprecher
Im TGV zum Beispiel muss man zum Telefonieren seit Jahren raus auf den Gang, und wer das nicht tut, wird von den anderen Passagieren umgehend in den Senkel gestellt, der Franzose reagiert da sehr unwirsch. Bestraft werden kann das auch, und zwar mit 60 Euro. Kürzlich wurde ein Mann gebüsst, weil er im Wartebereich des Bahnhofs Nantes per Lautsprecher telefonierte und diesen partout nicht abstellen wollte, was ihn 200 Euro kostete (150 Busse plus 50 Zusatzstrafe wegen Verweigerungshaltung).
Das mag jetzt ein wenig übertrieben erscheinen, dabei – das muss man neidlos eingestehen – ist dieses französische Durchgreifen von erfrischender Konsequenz. Wir sollten das auch einführen. Für einmal würde man die Kopfhörer ausziehen und vergnügt dem allgemeinen Geschrei zuhören.
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