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Tödlicher Seilbahnunfall
«Frustrierend, dass das immer wieder passiert»

Die Seilbahn auf den Crap Sogn Gion in Gipfelnähe. Der tödliche Unfall ereignete sich weiter unten, in bewaldetem Gebiet.
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Reto Canale ist am Telefon hörbar betroffen: «Solche Unfälle passieren einfach zu viele», sagt der Seilbahnspezialist, «es ist frustrierend, dass das immer wieder passiert.» Der ETH-Ingenieur arbeitete in der Seilbahnindustrie, war Direktor der Sicherheitsaufsicht für kantonal bewilligte Seilbahnen und ist heute selbstständiger Berater.

Der jüngste Vorfall ereignete sich am Montagnachmittag in Laax. Ein 17-jähriger Seilbahn-Lehrling war mit einem Arbeitskollegen auf der Stütze 2 der Luftseilbahn auf den Crap Sogn Gion mit Unterhaltsarbeiten beschäftigt. Dabei wurde er vom Laufwerk der bergwärts fahrenden Kabine erfasst und von der Plattform gerissen. Nach einem Aufprall auf der Kabine stürzte er vierzig Meter ab. 

Seilbahnexperte Reto Canale war Direktor der Sicherheitsaufsicht.

Nach den ersten Massnahmen des Rettungsdienstes konnte die Sanität nur noch den Tod des Verunfallten feststellen. Gemeinsam mit der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) und der Staatsanwaltschaft ermittelt die Kantonspolizei Graubünden den Hergang dieses Arbeitsunfalls. Gegenstand der Untersuchungen wird unter anderem sein, ob der Lehrling bei den Wartungsarbeiten eine Absturzsicherung trug. 

Sieben Mitreissunfälle in den letzten Jahren

Laut der Sust kam es zwischen 2005 und 2021 zu mindestens sieben Unfällen, bei denen Seilbahnmitarbeiter durch ein vorbeifahrendes Laufwerk einer Seilbahnkabine mitgerissen wurden. Dies ist damit der jüngste, tödliche Unfall dieser Art. 

Die Weisse-Arena-Gruppe, zu der die Bahn in Laax gehört, teilt dazu mit: «Wir sind unsagbar traurig und tief betroffen über den Tod unseres Lehrlings im zweiten Lehrjahr.» Dazu wie genau es zum Unfall gekommen ist, will sich die Medienstelle der Bahn nicht äussern.

Mast 2 der Bergbahn auf den Crap Sogn Gion. Hier ereignete sich der tödliche Unfall.

«Es ist selten, aber nicht unüblich, dass Wartungsarbeiten bei laufendem Betrieb vorgenommen werden», sagt Seilbahnexperte Canale. Wenn zum Beispiel Schmierfett neu aufgetragen wird, muss die Bahn sogar in Betrieb sein. Nur so verteilt sich das Fett unter den Tragseilen.

«Die Verantwort­lichen müssen Sicherheits­be­stimmungen pingelig und pickelhart durchsetzen.»

Reto Canale, Seilbahnexperte

Bei allen Arbeiten in grosser Höhe und auf den Seilbahnstützen aber gilt: Alle Beteiligten sind zu jeder Zeit gegen Abstürze gesichert. «Das ist ein eiserner Grundsatz, von dem nicht abgewichen werden darf – aber leider doch immer wieder abgewichen wird», sagt Canale. Der Grundsatz gilt auch auf gut gesicherten, mit Geländern versehenen Plattformen wie derjenigen auf der Stütze 2 der Bahn in Laax.

Das ist in den Instruktionen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) und auch in den Reglementen der Bergbahnen so festgehalten. «Das müssen die Verantwortlichen dann aber auch pingelig und pickelhart durchsetzen», sagt Canale. 

Nulltoleranz nötig

Canale hat aber immer wieder erlebt, dass das Seilbahnpersonal vorübergehend auf die Sicherung verzichtete. Die Gründe: Das Sicherheitsgerät kommt bei der Arbeit in den Weg, oder es ist zeitraubend, die Sicherheitskarabiner für eine neue Arbeitssituation umzuhängen. «Um da Nachlässigkeit zu verhindern, braucht es Nulltoleranz bei den Sicherheitsbestimmungen», sagt Canale.

Die Situationen wie beim Unfallort in Laax sind Canale aus eigener Anschauung bekannt. «Ich kenne den genauen Hergang nicht. Theoretisch wäre es auch möglich, dass der junge Mann gesichert war. Aber ich halte das für unwahrscheinlich.» 

«Die Seilbahnbranche verfügt nur über wenige Vorgaben zur Sicherung einer Arbeitsstelle.»

Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust)

Zum letzten ähnlichen Unfall ist es erst vor etwas über einem Jahr gekommen: Ein 30-jähriger Seilbahnangestellter stürzte laut einer Mitteilung der Kantonspolizei Wallis im August 2021 von einem Sesselbahnmast oberhalb von Zermatt in den Tod. Er war ebenfalls mit Revisionsarbeiten beschäftigt.

Im Juni zuvor stürzte ein Seilbahntechniker in Pontresina von einer 50 Meter hohen Stütze der Diavolezzabahn, nachdem er von einer Kabine touchiert worden war. Er blieb laut einer Medienmitteilung der Bündner Polizei schwer verletzt im Schnee liegen. Bei der Untersuchung des Unfalls stellte sich heraus, dass der Mann nicht gesichert auf der mit Geländern ausgestatteten Plattform gearbeitet hatte.

Im Untersuchungsbericht zum Unfall in Pontresina hielt die Sust fest, die ganze Seilbahnbranche verfüge «nur über wenige Vorgaben zur Sicherung einer Arbeitsstelle, insbesondere unter laufendem Betrieb». Oft hänge es einzig von der Aufmerksamkeit des Mitarbeiters auf dem Mast ab, nicht durch eine vorbeifahrende Kabine gefährdet zu werden.

Normalbetrieb im Skigebiet

Definierte Abläufe und Sicherheitsvorgaben für Arbeiten bei laufendem Betrieb, wie sie etwa bei der Eisenbahn bestünden, seien in der Seilbahnbranche zu wenig bekannt, kritisiert die Sust. Dazu relativiert Reto Canale, die Sust fokussiere eben auf Seilbahnen, bei denen Zwischenfälle passiert seien. «Aber die meisten Betreiber setzen die nötigen Sicherheitsvorkehrungen umfassend um.»

Die Bahn von Laax auf den Crap Sogn Gion stand am Tag nach dem Unfall still, damit Sust und Kantonspolizei die notwendigen Untersuchungen durchführen konnten. «Der Betrieb im Skigebiet funktioniert mit Ausnahme der betroffenen Bahn normal», erklärt die Medienstelle der Weissen Arena.