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Kuno Lauener im Interview
«Ich bin unberechenbar geworden»

Bern 8.10.2023 - Kuno Lauener, Züri West . © Annette Boutellier
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Fragen summen vor dem Interview durch den Kopf. Wie es ihm wohl geht? Wie er wohl aussieht? Wie sehr nagt seine Multiple-Sklerose-Erkrankung an ihm? Und dann steht er da, der Kuno Lauener, lächelt etwas verlegen, den Kopf leicht geduckt, als nehme er eine Schutzhaltung ein vor den Fragen, mit denen er da gleich gelöchert würde. Alles wie gehabt. Und gut sieht er aus, der 62-Jährige. Ein bisschen hagerer als sonst vielleicht. Aber die Tagesform stimmt.

Was macht das Leben, Herr Lauener?

Es ist gerade ein bisschen unstet.

Ist Ihre Krankheit jeden Tag Thema? Oder gibt es Momente, in denen sie mit Abwesenheit glänzt?

Das ist von Tag zu Tag unterschiedlich. Ich muss immer wieder ein paar Medikamente tanken gehen. Danach geht es mir oft eine Zeit lang weniger gut. Was mich besonders wurmt, ist, dass ich extrem vergesslich geworden bin. Es gibt auch ein paar motorische Probleme. Ich zähle jetzt mal all die negativen Dinge auf, damit wir damit durch sind. Aber ja, es gibt auch die guten und unbeschwerten Tage, an denen ich so abgelenkt bin, dass die Krankheit gar keine Rolle spielt. Man könnte es so zusammenfassen: Ich bin ein unberechenbarer Motherfucker geworden.

«Dieses Album hat viel mit mir zu tun. Da ist eine gewisse Traurigkeit, die aber auch immer wieder gebrochen wird.»

Hat die Krankheit Ihre Sicht aufs Leben verändert?

Vermutlich schon. Sie hat mich auch von gewissen Dingen befreit. Ich höre mich öfters denken: «Das mache ich jetzt nicht mehr.» Aber ich möchte mich hüten, alles auf die Krankheit zu schieben. Es gab in meinem Leben auch eine Trennung, und ich bin ein paar Jährchen älter geworden.

Wird man in Anbetracht der Unberechenbarkeit dieser Krankheit zwangsläufig zum Fatalisten?

Irgendwie schon. Zuerst hat man natürlich Angst, wähnt sich mit einem Bein bereits im Grab, hört diese und jene Geschichte. Aber ich bin eigentlich grundsätzlich positiv eingestellt.

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Sie haben jetzt fünf Jahre an diesem Album gearbeitet. Ist es zunehmend schwieriger geworden, Songs zu schreiben? Oder sind Ihnen Themen und die Poesie gar leichter zugeflogen?

Einfacher eher nicht. Ich traue manchmal den Dingen, die ich schreibe, nicht mehr. Da denke ich, ich habe was Grossartiges, und am nächsten Morgen finde ich es furchtbar. Aber auch hier: Ich war schon zuvor nicht einer, der ein besonders unbeschwertes Verhältnis zum eigenen Output pflegte.

Wann ist für Sie ein Züri-West-Song gelungen?

Wenn die Geschichte, die ich erzähle, gut ist, finde ich meist auch den Song gut. Er muss eine gewisse Nonchalance haben, dieses Ungewisse, ob der Urheber es ernst meint oder nicht. Texte waren mir stets wichtiger als die Melodieführung.

Was hätten Sie vor 20 Jahren auf diese Frage geantwortet?

Vermutlich etwas Ähnliches. Allerdings waren wir da womöglich noch ein bisschen mehr darauf bedacht, dass jemand einen Refrain oder ein Chörli mitsingen kann. (lacht)

Das neue Album kommt nun gänzlich ohne Refrains aus.

Das ist mir gar nicht aufgefallen. Aber ja, eine typische Refrain-Band waren wir noch nie. Andere Bands haben einen poetischen und melodiösen Hook und schreiben die Geschichte und das Lied dann um diesen herum. So funktionierten wir nie.

Eine Band, die so wohl nie zusammen auf der Bühne stehen wird (v.l.): Manuel Häfliger, Florian Senn, Kevin Chesham, Kuno Lauener, Küse Fehlmann und Oli Kuster.

Denken Sie, die Band von damals hat noch viel mit Züri West von heute zu tun?

Küse Fehlmann und ich sind die Einzigen, die noch dabei sind – das ist sozusagen die Rest-Konstanz. Aber auch wir sind nicht mehr dieselben wie damals. Und auch das Team um uns herum hat sich verändert, was uns gezwungen hat, diesen Klangkörper noch einmal neu zu erfinden. Die jetzige Band wusste, dass sie vermutlich nie zusammen auf einer Bühne stehen wird. Das hatte andere Arbeitsprozesse zur Folge.

Die neuen Lieder müssen sich nicht mehr für die Hauptbühne der Schweizer Gross-Open-Airs empfehlen. War es im Prozess des Songschreibens eine Erleichterung?

Es hat ihnen eine Last genommen. Es gibt auf diesem Album viele Lieder in eher langsamem, getragenem Tempo, viele fragmentarische Sachen auch, spärlich Instrumentiertes. Es gab auch rockigere oder poppigere Songideen, aber die hätten irgendwie nicht in die Stimmung gepasst, in der wir uns gerade befinden.

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Trotzdem ist es ja kein niederschmetterndes Album geworden. Der Song «Schnägg» ist vielleicht der lustigste, den Züri West je veröffentlicht hat.

Ich war mir lange sehr unsicher, ob ich den bringen kann. Er basiert auf einer Geschichte von Gerhard Polt, die ich mal gelesen habe. Auch das Lied «Hü» ist ja eher munter. Es wurde inspiriert von der brasilianischen Geschichte «Dona Flor und ihre zwei Ehemänner». Ich fand es wohltuend, die Schwere etwas zu brechen.

Stets wurde versucht, Ihre Texte mit Ihrem Leben abzugleichen. Die Gefahr ist gross, dass man Ihr Album jetzt ganz besonders als persönliches Stimmungsbarometer bewertet.

Dessen bin ich mir bewusst. Dieses Album hat schon sehr viel mit mir zu tun. Da ist eine gewisse Traurigkeit, die aber auch immer wieder gebrochen wird.

Wenig Hoffnung gibt es im Bezug auf Konzerte. Ist damit wirklich Schluss?

Ich denke schon. Der Arzt hat es mir verboten. Das Fiese an der Krankheit ist, dass es dich trifft, wenn du Stress hast, wenn du Dinge nicht verarbeiten kannst. In solchen Situationen hat es bei mir schon Schübe gegeben. Man muss sich den Tatsachen stellen: Die multiple Sklerose macht etwas mit einem. Selten ist es amüsant, meistens ist es mühsam. Ich lasse es mit mir geschehen. Aber es ist nicht planbar. Schlechte Voraussetzungen also für eine Rückkehr in den Konzertbetrieb.

«Ich musste einen guten Tag erwischen, um im Studio einigermassen zu funktionieren.»

Dann könnte es das gewesen sein mit Züri West?

Wir möchten jetzt mal schauen, wie die neuen Lieder ankommen, ob die Beteiligten überhaupt noch Lust hätten, ein neues Album in Angriff zu nehmen. Es hat viel Energie gekostet. Wir haben uns gegenseitig auch ganz schön angepfeffert.

Warum das?

Wir haben immer gerne diverse Dinge ausprobiert. Hier noch eine Orgel, da noch eine Mundharmonika. Und wir waren nie besonders gut darin, definitive Entscheidungen zu treffen. Meine Erkrankung hat dazu geführt, dass wir die Zeit zum Pröbeln oft nicht hatten und Entscheidungen schnell gefällt werden mussten. Das hat zu einigen Spannungen geführt.

Das merkt man dem Album nicht an. Es wirkt entschlackt und in sich ruhend.

Am Schluss haben wir das Ganze radikal entrümpelt. Da wurden so manche Aufnahmespuren und Ideen getilgt. Wir wollten alles wegräumen, was von den Geschichten ablenken könnte.

Diese getilgten Ideen liessen sich ja prima auf ein nächstes Album bannen.

Auch hier: Planen ist schwierig. Allerdings hat sich in den Jahren so viel angesammelt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es auch andere Formen gäbe, um die Geschichte von Züri West weiterzuschreiben oder zusammenzufassen. Vielleicht eher ein Büchlein als ein Album. Keine Ahnung.

Die Urzelle von Züri West: Gitarrist Küse Fehlmann und Kuno Lauener.

Kann man, wenn man ein Leben lang Songs geschrieben hat, diesen Drang einfach ausknipsen?

Vermutlich nicht. Wir werden nun erstmals nach einem Album nicht auf Tournee gehen. Gut möglich, dass ich da in ein Loch fallen werde. Es ist aber auch möglich, dass meine Stimme weitere Aufnahmen irgendwann gar nicht mehr zulassen würde.

Sie wirkt vor allem auf der Vorab-Single «Loch dür Zyt» ein bisschen brüchig. Auf den anderen Liedern fällt dies kaum auf.

Ich hatte öfters Stimmprobleme. Ich musste einen guten Tag erwischen, um im Studio einigermassen zu funktionieren. Wir haben danach zu Promozwecken einen Podcast aufgenommen, da kommt es mir vor, als klänge ich wie ein 80-Jähriger. «Loch dür Zyt» war ein Grenzfall. Zuerst habe ich mich über meinen Gesang fürchterlich aufgeregt. Mittlerweile habe ich mit dem Lied Frieden geschlossen.

Es beruht auf einem Text, den Sie 1984 geschrieben haben. Er handelte damals von Aufbruch und Aufbegehren. Sie haben das mit ein paar poetischen Pinselstrichen ins Gegenteil gekehrt.

Ich mag es, wie er dadurch eine ganz andere Bedeutung bekommen hat. Damals war das besungene Herz noch von Schmerzen und Sehnsüchten gepeinigt. Jetzt ist es das Herz eines alten Mannes, das einfach stur weiterpocht. Und pocht und pocht. Als wolle es das Ende nicht zulassen.

Züri West: «Loch dür Zyt». Erscheint am Freitag, 8. Dezember.