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Umstrittene Forderung
Kundinnen sollen für Fitness-Lektionen zahlen, die sie nicht erhalten

Dutzende Frauen erhalten wegen einer umstrittenen Zahlungsvereinbarung beim Fitness-Studio Hotshape Betreibungsandrohungen.
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Das Fitnessangebot schien perfekt zu sein: Ein früherer Mister Universe der World Fitness Foundation hatte das Unternehmen «Hotshape» gegründet. Und das speziell auf Frauen zugeschnittene Programm «Hotshape Ladies» war, was Therese Weber (Name geändert) suchte. So unterzeichnete sie im Herbst 2019 einen Vertrag über 156 Trainingseinheiten mit persönlicher Betreuung.

Doch die Pandemie traf die Fitnesskette Hotshape mit Niederlassungen in Zürich, St. Gallen und dem Fürstentum Liechtenstein in voller Härte. Vor rund zwei Monaten teilte der Firmeninhaber Therese Weber per Mail mit, dass das Geschäft leider «von Amtes wegen» schliessen müsse. Alle offenen Trainingstermine seien abgesagt. Vom kurz darauf eröffneten Insolvenzverfahren erfuhr die Kundin allerdings nichts.

Therese Weber hat in der Vergangenheit leidvolle Erfahrungen gemacht – sie lebt heute von der Invalidenversicherung und muss mit wenig Geld auskommen. Weil das Training bei Hotshape ausfiel, beschloss sie gemeinsam mit ihrer Betreuerin, auch nicht mehr dafür zu bezahlen.

Therese Weber hatte unter anderem einen «Dienstleistungsvertrag» unterzeichnet. Das Fitnessstudio Hotshape trat die Forderung umgehend an das Factoring- und Inkassounternehmen Zahnärztekasse AG in Wädenswil ZH ab. Dieser musste Therese Weber gemäss einer Teilzahlungsvereinbarung 36 Monatsraten zu je knapp 130 Franken überweisen.

Scharfe Reaktion

Im Oktober teilte Therese Weber der Zahnärztekasse AG mit, dass sie schon mehr Lektionen bezahlt hätte, als sie beziehen konnte. Sie erklärte sich bereit, auf zu viel bezahlte Beiträge zu verzichten, und kündigte den Vertrag.

Die Zahnärztekasse AG reagierte rasch und scharf. Sie verwies auf eine «abstrakte Schuldanerkennung». Das bedeute, dass kein Zusammenhang mehr zum Vertrag bestehe, den Therese Weber mit dem Fitnessstudio abgeschlossen habe. Mit anderen Worten: Die Kundin schuldet das Geld, egal, ob Hotshape die vertraglich vereinbarten Leistungen erfüllt oder nicht.

Darauf folgte mit drohendem Unterton der Hinweis, dass die Schuld «einer gerichtlichen Beurteilung jederzeit standhalten» würde.

Wurden Kundinnen instruiert?

Ein Geschäftsleitungsmitglied der Zahnärztekasse AG, das nicht namentlich genannt werden will, argumentiert ebenfalls mit der «abstrakten Schuldanerkennung». Auf den Hinweis, dass der juristische Fachbegriff von den wenigsten Kundinnen verstanden werden dürfte, lautet die Antwort: «Es wäre falsch, Konsumentinnen zu bevormunden.» Zudem seien sie bei der Vertragsunterzeichnung instruiert worden.

An den angeblichen Instruktionen gibt es jedoch Zweifel. Therese Weber kann sich nicht daran erinnern, dass ihr jemand die juristischen Konsequenzen erklärt hätte. Das «St. Galler Tagblatt» zitierte weitere Geschädigte – unter anderem eine Frau, die «nach einem zehnminütigen Probetraining (…) regelrecht überrumpelt» worden sei, den Vertrag noch vor Ort zu unterschreiben.

Es gibt eine grössere Zahl von Betroffenen. Allein Anwalt Patrick Stach mit Büros in Zürich und St. Gallen bestätigt, dass sich bei ihm gegen 40 Frauen gemeldet hätten. Der grössere Teil verschiedener Forderungen im Zusammenhang mit Hotshape liegt offenbar bei der Factoring- und Inkassofirma Omnicas Management AG. Die Omnicas ist eng mit der Zahnärztekasse AG verflochten und hat ihren Sitz an der gleichen Adresse.

Das Geschäftsleitungsmitglied der Zahnärztekasse AG markiert im Gespräch Entschlossenheit: Aufgrund der Schuldanerkennung liessen sich die Forderungen in einem Betreibungsverfahren und notfalls auch vor Gericht durchsetzen. «Etliche Schuldnerinnen akzeptieren und bezahlen die Ausstände, weil sie eingesehen haben, dass wir im Recht sind.» Sogar Rechtsschutzversicherungen hätten in diesem Fall nachgegeben.

«Was diese Firmen auftischen, ist schlicht Humbug.»

Frédéric Krauskopf, Professor für Privatrecht an der Universität Bern

Frédéric Krauskopf, Professor für Privatrecht an der Universität Bern, kennt sich mit solchen Rechtsfragen sehr gut aus, da er dazu eine Dissertation geschrieben hat. Nach Durchsicht der Unterlagen, die Therese Weber der Redaktion vorgelegt hat, zieht er ein klares Fazit: «Was diese Firmen auftischen, ist schlicht Humbug.» Die Behauptungen der Zahnärztekasse und der Omnicas seien «entweder naiv oder sogar mutwillig falsch».

Das erste Problem ist, dass in der Teilzahlungsvereinbarung, die Therese Weber vorgelegt hat, eine abstrakte Schuldanerkennung gar nicht enthalten ist. Erst in einem Brief vom vergangenen Oktober kommt dieser Begriff vor.

In Praxis oft falsch interpretiert

Und zweitens würde selbst eine abstrakte Schuldanerkennung nicht ausreichen, «um eine vom Vertrag losgelöste Schuldpflicht entstehen zu lassen», wie der Vertragsexperte erläutert. Denn bei diesem Begriff handle es sich «um eine juristische Spitzfindigkeit, die in der Praxis häufig falsch interpretiert wird». Noch im April 2021 habe das Bundesgericht bestätigt, dass eine abstrakte Schuldanerkennung für sich noch keinen Einfluss habe. «Insbesondere verzichtet der Schuldner damit nicht auf seine vertraglichen Rechte», sagt Krauskopf.

Damit Therese Weber das Geld auch ohne Gegenleistung schuldet, müsste ihr Verzicht im Vertrag ausdrücklich formuliert sein und sich «auf eine bestimmte Einrede» beziehen. «Das Problem ist nur, dass wohl niemand solche Verträge nicht unterzeichnet – besonders, wenn es um längerfristige Verpflichtungen geht», stellt Frédéric Krauskopf fest.

Für die im Fall Hotshape betroffenen Frauen bedeutet das: Die Rechnungen für nicht erhaltene Leistungen nicht bezahlen und die Gläubigerfirmen Zahnärztekasse sowie Omnicas darüber informieren. Die beiden Firmen können allenfalls eine Betreibung einleiten, doch es bestehen kaum Chancen, die Forderungen auch vor Gericht durchsetzen zu können.