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Meinung

Kolumne von Barbara Bleisch
Kundenzufriedenheit top, Umgang miteinander Flop

Wie freundlich ist die Bedienung an der Kasse? Man darf seine Meinung abgeben, natürlich anonym.
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Top oder Flop, ein Stern, zwei oder gar drei? Ob man ein neues Handy kauft, sich im Möbelgeschäft beraten lässt, in einem Hotel nächtigt: Überall wird nach dem persönlichen Eindruck gefragt. Auch beim Grossverteiler Coop darf die Kundschaft neuerdings Freundlichkeit und Höflichkeit des Personals taxieren. Mittels Umfragen in der Supercard-App oder auf Einkaufsbelegen kann sie den Grad ihrer Zufriedenheit kundtun.

Dass die Gewerkschaften solche Kundenbewertungen kritisch sehen, erstaunt wenig. Selbst wenn in den Umfragen von Coop nicht einzelne Angestellte bewertet werden, lässt die Uhrzeit des Einkaufs entsprechende Rückschlüsse zu. Der Druck auf die Mitarbeitenden wachse, sie fühle sich beobachtet.

Abgesehen von solchen arbeitsrechtlichen Bedenken geht die um sich greifende Ranking-Kultur mit grundlegenden Verschiebungen einher, die wir kritisch sehen sollten.

Das Einzige, was zu Freundlichkeit noch motiviert, ist offenbar der Wettbewerb.

Erstens drohen wir mit entsprechenden Sternchenvergaben, die Freundlichkeit als Tugend auszuhöhlen. Zugewandt und hilfsbereit ist man nicht länger um der Kundin willen, sondern um möglichst gut im Ranking abzuschneiden. Freundlichkeit wird damit zur devoten Katzbuckelei: Hauptsache, die Performance stimmt.

Sickert die Rating-Mentalität erst einmal ganz in uns ein, verlernen wir zweitens, Freundlichkeit überall und selbstverständlich an den Tag zu legen – als soziales Schmiermittel, das uns geschmeidiger im Umgang macht. Das Einzige, was zu Freundlichkeit noch motiviert, ist offenbar der Wettbewerb. Soziologe Steffen Mau spricht deshalb vom «metrischen Wir»: einer Gesellschaft von Individuen, die gnadenlos konkurrieren und Sozialbeziehungen zunehmend quantifizieren.

Kundenbewertungen könnten drittens die Rolle der Vorgesetzten verändern: Am Mitarbeitergespräch reicht es vielleicht in naher Zukunft, wenn die Chefin mit erhobener Braue die Rankings quittiert: «Sehen Sie selbst: nur zwei von fünf Sternen!»

Beim Taxidienst Uber gibt es nicht einmal einen Chef. Die Kundschaft entscheidet direkt über die Zukunft des Fahrers, indem sie ihr Fahrterlebnis auf einer Skala von 1 bis 5 Sternen bewertet – selbstredend anonym. Die Arbeitsverhältnisse sind dabei so prekär, dass es sich kaum ein Fahrer leisten kann, einen Kunden auf die Strasse zu stellen, der ihn beschimpft oder drangsaliert. Wer Schmach nicht stoisch erträgt, muss mit einem Punkteabfall rechnen. Damit sind wir bei einem Paradebeispiel dessen, was Immanuel Kant in seiner «Metaphysik der Sitten» als Verletzung der Pflicht gegen sich selbst kennzeichnet: eine Form von Selbstentwürdigung, um im Kampf um die Sterne nicht zu verlieren.

Entsprechende Punktevergaben bleiben viertens gänzlich unsensibel für die Situation, in der ein Mitarbeiter steckt. Vielleicht ist gerade sein Kind schwer krank, womöglich reicht das Geld kaum aus, vielleicht hat seine Frau ihn verlassen? Hat er nicht alles Recht der Welt, uns mürrisch zu empfangen? Wie einfach haben es dagegen Angestellte im Homeoffice, deren Unlust keinen kümmert!

Als Kundin bin ich zufrieden, wenn Mitarbeitende respektvoll behandelt werden und motiviert bei der Sache sind.

Während wir die Situation der Angestellten negieren, fliesst die eigene Befindlichkeit umso stärker ins Ranking ein. Experimente belegen zuhauf, dass Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit massiv von der Situation abhängen, in der eine Person sich befindet. Die Sternchenvergabe spiegelt also fünftens die Laune der Kundschaft – und keine objektiven Standards.

Um Objektivität dürfte es allerdings gar nicht gehen. Das Ganze diene der Steigerung der Kundenzufriedenheit, lässt auch Coop verlauten. Als Kundin bin ich zufrieden, wenn Mitarbeitende respektvoll behandelt werden und entsprechend motiviert bei der Sache sind. Mir die Möglichkeit zu geben, anonym Sternchen zu vergeben, ist für mich nicht top, sondern definitiv Flop.