Krieg in der OstukrainePokrowsk rückt immer mehr in den russischen Zangengriff
Russland kann im Donbass kaum gestoppt werden. Kurachowe soll gefallen sein, Pokrowsk wird nach und nach eingekesselt. Das zeigt: Die Armee hat ihre Taktik erfolgreich geändert.
- Die russische Armee nähert sich bedrohlich der Stadt Pokrowsk in der Ukraine.
- Wichtige Infrastrukturen wie Brücken sind in Pokrowsk zerstört.
- Russland will vor Donald Trumps Amtsantritt militärische Stärke zeigen.
- Kurachowe ist offenbar gefallen.
Der Fall von Pokrowsk rückt immer näher. Weniger dramatisch lässt sich dies derzeit nicht festhalten, nahezu in Echtzeit ist es möglich, den russischen Angreifern dabei zuzusehen, wie sie sich Kilometer um Kilometer der ostukrainischen Stadt nähern und sie in einen Zangengriff nehmen. Auf der Kriegskarte Deep State, die täglich aktualisiert wird, färbt sich eine immer grössere Fläche rot. Diese zeigt die russischen Eroberungen derzeit insbesondere unterhalb und südwestlich von Pokrowsk.
Von ukrainischen Reportern, die in diesen Tagen versuchen, sich in der Stadt selbst ein Bild der Lage zu machen, ist zu hören, dass in Pokrowsk Brücken zerstört seien, russische Drohnen überall in der Luft schwirrten, ständige Explosionen die Stadt erzittern liessen. Nur wer sich wirklich auskennt, hält sich noch in der nahezu verlassenen Stadt auf, dort verloren zu gehen, kann zur tödlichen Falle werden.
Die Situation in Pokrowsk zeigt: Die russische Armee hat ihre Taktik erfolgreich geändert. Zuvor war sie westlich von Pokrowsk wegen starker ukrainischer Verteidigungslinien stecken geblieben. Ende Jahr begann das Einkreisen. Im Dezember eroberten sie südlich den Ort Schewtschenko, inzwischen stehen sie bei Pischtschane und arbeiten sich von dort nach Norden hervor. (Lesen Sie hier ein Interview zu Pokrowsk mit dem Militärexperten András Rácz.)
Heikel ist der drohende Fall von Pokrowsk neben dem Verlust des wichtigen Bahnhofs, der lange dem Armee-Nachschub diente, auch, weil sich Russland damit einer weiteren Oblast, der ukrainischen Region Dnipropetrowsk nähert. Vier Oblasten (plus die Halbinsel Krim) hat Russland bereits völkerrechtswidrig annektiert. Dazu gehört das Gebiet Donezk, das Moskau zum eigenen Staatsgebiet erklärt hat, aber noch nicht vollständig kontrolliert – mit einer Eroberung Pokrowsks käme es auch diesem Ziel näher. Zudem will Moskau gemäss Kriegsfachleuten vor der Inauguration von Donald Trump als 47. US-Präsident am kommenden Montag militärische Stärke demonstrieren – mit Blick auf etwaige Waffenstillstandsverhandlungen.
Zugleich liegt derzeit der Fokus auf Kurachowe, einer Stadt weiter südlich, die die russische Armee schon diese Woche erobert haben will. Am Samstag markierte nun Deep State Kurachowe in der Karte rot – die ukrainische Armee hingegen betonte eilig, noch Stellungen der Stadt zu halten. In der Vergangenheit hatte Deep State, ein ukrainisch betriebenes Karten-Projekt, oftmals vor der offiziellen Erklärung der ukrainischen Armee russische Eroberungen festgestellt. Die russische Armee ihrerseits behauptete, in freies Manövergelände vorgedrungen zu sein. Das erlaube ein hohes Tempo bei der Eroberung weiterer Gebiete.
Das russische Prinzip: Alles flach bomben
Was Kurachowe angeht, ist derzeit sicher, dass nahezu der gesamte Ort einem Trümmerfeld gleicht. Das übliche Vorgehen der russischen Armee zeigt sich auch hier: Bomben und Raketen mit extremer Zerstörungskraft machen Gebäude dem Erdboden gleich, es bleiben höchstens Gerippe stehen, die in die ansonsten tote Gegend ragen, so war es in Bachmut, Awdijiwka und vielen weiteren Städten. Auch nahe Torezk sieht es derzeit so aus. Wo alles flach gebombt ist, so das Prinzip, gibt es für die ukrainische Armee keine Deckung mehr, ihr Rückzug ist die Folge. Ein Problem, das Wiktor Trehubow, Sprecher der ukrainischen Truppengruppierung Chortyzja, am Samstag für Kurachowe einräumte.
In Kurachowe lebten einst 18’000 Menschen, inzwischen sind es gemäss regionaler Militärverwaltung noch um die 300. Besonders seit Oktober 2024 ist der Ort umkämpft. Der Fall von Wuhledar Anfang und der anschliessende Verlust von Selydowe Ende Oktober bedeuteten, dass das dazwischen liegende Kurachowe zum nächsten Hauptziel der Russen werden würde.
Die Stadt ist wie viele Orte im Donbass industriell geprägt. Ein Kraftwerk der Stadt kann allerdings längst keine Wärme mehr liefern, es ist zerstört und verwandelte sich infolge der Kämpfe in eine Festung, in der direkte Kämpfe zwischen ukrainischen und russischen Soldaten stattfanden. Von der Eroberung verspricht sich die russische Armee nun nicht nur die Einnahme einer einst grossen Stadt – auch der Zugang zu Pokrowsk werde dadurch leichter, sagen ukrainische und westliche Armeefachleute. Es können mehr Truppen von Süden aus organisiert und in Gang gesetzt werden.
Erstmals soll nun ein Reporter russischer Propagandamedien aus Kurachowe berichtet haben. Die Nachrichtenagentur Ria zitiert über den Reporter einen Bewohner, der die Russen als «Befreier» erwartet haben will. Derartige Propaganda verbreitet Moskau wiederkehrend nach behaupteten oder tatsächlichen Eroberungen. Das dient auch dem Zweck, den Krieg in der Ukraine innerhalb Russlands zu rechtfertigen.
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