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Kampf gegen Kinderarbeit
Konzernkritiker werfen Nestlé und Ferrero widersprüchliches Verhalten vor

Kinderarbeit als häufige Menschenrechtsverletzung: Minderjährige in einem Ziegelwerk in Afghanistan.
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Schweizer Firmen sollen haften, wenn sie in Kinderarbeit oder andere Menschenrechtsverletzungen involviert sind: Das war der Kerngedanke der Konzernverantwortungsinitiative (KVI), über die das Schweizer Stimmvolk vor einem Jahr zu befinden hatte – und die von den Wirtschaftsverbänden und Grosskonzernen wie dem Nahrungsmittelmulti Nestlé energisch bekämpft wurde. Zwar scheiterte die Initiative schliesslich bei der Abstimmung im September 2020 am Ständemehr. Die 50,7 Prozent Ja-Stimmen zeugten indes von der Popularität des Begehrens.

Als «Trostpreis» bekamen die Unterlegenen immerhin den Gegenvorschlag, den sich Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) erdacht hatte. Er sieht bei besonders heiklen Themen (Kinderarbeit, «Konfliktmineralien») punktuelle Sorgfaltspflichten für Unternehmen vor, daneben eine Vorschrift zur regelmässigen Berichterstattung. Die Konzerne aber für fragwürdige Aktivitäten ihrer Tochterfirmen in Haftung nehmen zu können: Diese Forderung der Initiantinnen und Initianten schien vom Tisch zu sein, ebenso die erhofften umfassenden Sorgfaltspflichten, die für sämtliche Menschenrechte und den Umweltschutz gelten sollten.

Umso brisanter mutet eine Reihe neuer Positionspapiere an, mit denen mehrere Grosskonzerne dieser Tage an die Öffentlichkeit getreten sind. Zahlreiche europäische Firmen sprachen sich in den letzten Wochen für eine EU-weite Sorgfaltsprüfungspflicht aus, die über die vorgesehenen Regelungen in der Schweiz deutlich hinausgeht. Aus Schweizer Sicht ist insbesondere ein gemeinsames Communiqué der Firma Nestlé und weiterer Unternehmen, die Kakao verarbeiten, von Mitte Oktober bemerkenswert. Nebst umfassenden Sorgfaltspflichten wird darin auch eine zivilrechtliche Haftung für fehlbare Konzerne gefordert.

Tatsächlich sind in der Europäischen Union schon seit einiger Zeit Bestrebungen für entsprechend schärfere Gesetze im Gang; in einzelnen Mitgliedsstaaten sind solche gar bereits in Kraft. Mit ihren Positionspapieren stellen sich Nestlé und die anderen Konzerne nun hinter die politischen Pläne aus Brüssel. Nebst Nestlé haben noch weitere Firmen mit Schweizer Sitzen und Ablegern das Papier der Kakaoindustrie unterzeichnet, insbesondere Ferrero, Mars und Mondelez International. Ohnehin wären von den geforderten Regelungen nicht nur EU-Firmen betroffen, sondern alle, die in die Union liefern – also auch der grösste Teil der Schweizer Exporteure.

Initiative «falsch konstruiert»

Warum aber kämpft man in der EU für Verschärfungen, während man sich in der Schweiz dagegen wehrte? Die KVI sei «leider falsch konstruiert» gewesen, sagt ein Nestlé-Sprecher. «Sie ging mit dem breiten Haftungsumfang, der Beweislastumkehr und dem Eingriff Schweizer Gerichte in Drittländer weiter.» Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung seien aber völlig inakzeptabel. «Deshalb setzen wir uns auch für eine starke europäische Gesetzgebung zur Sorgfaltspflicht ein.» Im Übrigen verfügten führende Unternehmen wie Nestlé bereits über Sorgfaltsprüfungsprozesse, die sie nutzten oder auf denen sie aufbauen könnten.

Rahel Ruch, Koordinatorin der KVI, hält den Konzernen dagegen widersprüchliches Verhalten vor. Sie verweist auf die Resolution des Europa-Parlaments, das die Stossrichtung der angedachten Gesetzesverschärfung vorgibt. Bei den umstrittensten Punkten – der Haftung und der Beweislastumkehr – entspreche die Resolution fast wörtlich der KVI. «Die Reaktion von Nestlé zeigt aus meiner Sicht, dass die Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative nicht auf einer sachlichen Analyse der zuständigen Fachleute beruhte, sondern ein rein politisch-ideologischer Entscheid war», sagt Ruch.

Wie reagiert der Bundesrat?

Abzuwarten bleibt, wie der Bundesrat auf die Entwicklungen in Europa reagiert. Zuletzt schien das Departement von Bundesrätin Keller-Sutter von den Diskussionen in der EU relativ unbeeindruckt zu sein: Der Entwurf zur Umsetzung des KVI-Gegenvorschlags sah so viele Erleichterungen und Ausnahmen zugunsten der Wirtschaft vor, dass die Initiantinnen und Initianten von einer «Farce» sprachen. Die Vernehmlassung ist mittlerweile abgeschlossen; die Entscheide des Bundesrats sollen «wenn möglich noch in diesem Jahr» folgen, wie das Bundesamt für Justiz mitteilt.

Rahel Ruch hofft jedenfalls, dass sich der Bundesrat angesichts der Dynamik in der EU noch eines Besseren besinnt. Die Regierung solle ihr Versprechen aus dem Abstimmungskampf halten und für international abgestimmte Regeln sorgen. «Der Gegenvorschlag ist bereits vor Inkrafttreten völlig überholt.»