Gesetz mit HintertürenKeller-Sutter schockiert die Konzernkritiker
Die Justizministerin will den Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative umsetzen und dabei zahlreiche Ausnahmen ermöglichen. Die Initianten sprechen von einer «Farce».
Es war der Überraschungserfolg schlechthin: 50,7 Prozent des Stimmvolks sagten im letzten November Ja zur Konzernverantwortungsinitiative, trotz vereinter Gegenwehr der bürgerlichen Schweiz. Zwar scheiterte die Initiative daran, dass sie das Ständemehr verpasste.
Die Initianten konnten aber eine Art symbolischen Sieg verbuchen – und sie bekamen, immerhin, den Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament. Dieser nimmt die Konzerne bei den Menschenrechten nicht in Haftung wie die Initiative, sollte aber gleichwohl «Mensch und Umwelt noch besser schützen». So versprach es Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) im Abstimmungskampf.
«Gesetz vollends entwertet»
Nun jedoch wird bekannt, wie Keller-Sutter den Gegenvorschlag effektiv umsetzen will. Und über ihre Vorschläge, die derzeit in öffentlicher Vernehmlassung sind, zeigen sich die Initianten konsterniert. «Das ohnehin lasche Gesetz wird damit vollends entwertet», konstatiert Rahel Ruch, die Geschäftsleiterin der Initiative.
Es geht dabei vor allem um das Herzstück des Gegenvorschlags: die sogenannten Sorgfaltspflichten. Betroffen sind Unternehmen mit Produkten, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie auf Kinderarbeit beruhen – oder Firmen, die mit «Konfliktmineralien» aus häufig problematischer Herkunft handeln (Zinn, Tantal, Wolfram, Gold). Diese Betriebe werden zu einer Reihe spezieller Vorkehrungen verpflichtet, wie beispielsweise Kontrollen vor Ort. Keller-Sutters Gegenvorschlag sieht nun aber verschiedene Ausnahmen und Hintertüren vor, unter anderem für die folgenden Fälle:
Alle KMU. Sämtliche KMU mit weniger als 250 Mitarbeitenden und einer gewissen Obergrenze bei Umsatz und Bilanz sind von der Sorgfaltspflicht zur Kinderarbeit pauschal befreit.
«Geringe Risiken». Firmen mit «geringen Risiken» brauchen zur Kinderarbeit ebenfalls keine Vorkehrungen zu treffen. Gemeint sind Firmen, die nicht direkt mit Hochrisikoländern geschäften. Wenn also ein Unternehmen Schuhe importiert, die in Deutschland gefertigt wurden, gilt das als «geringes Risiko» – unabhängig davon, woher die Bauteile des Schuhs stammen.
Selbstdeklaration. Alle Unternehmen haben die Option, sich per Selbstdeklaration zu einem «international anerkannten gleichwertigen Regelwerk» gegen die Kinderarbeit zu bekennen. Auch in diesem Fall sollen sie von den Sorgfaltspflichten nach Schweizer Recht befreit sein.
Kleinhändler: Im Bereich der Konfliktmineralien sind ebenfalls Ausnahmen vorgesehen. So greifen die Pflichten erst ab einer bestimmten Einfuhrmenge, bei Gold beispielsweise ab 100 Kilo.
Den Initianten gehen die Ausnahmen insgesamt viel zu weit. «Wenn diese Verordnung so umgesetzt wird, kann sich jede Firma, die es will, von der Sorgfaltspflicht befreien», sagt Rahel Ruch. In der vorgeschlagenen Form seien die Regeln eine «Farce». Von einer Befreiung per Selbstdeklaration zum Beispiel sei unbedingt abzusehen.
Besonders stossend findet Ruch, dass man die Initiative einst mit dem Argument bekämpft habe, es brauche eine international abgestimmte Lösung. «Mit dieser Verordnung wird die Schweiz jetzt hinter die meisten europäischen Länder zurückfallen», so Ruch. «Nach Frankreich haben nun auch Deutschland und Norwegen Regulierungen beschlossen, die viel strenger sind. Auch in der EU plant man weitergehende Verschärfungen.»
Gegenseite ist zufrieden
Während die Initianten empört sind, zeigt man sich auf der Gegenseite zufrieden. Swiss Holdings, der Dachverband der Industrie- und Dienstleistungskonzerne, spricht von einer «zukunftsbeständigen Lösung». Anders als die Initianten ist Swiss Holdings nicht der Ansicht, dass Versprechen gebrochen würden: Die Verordnung entspreche «den Zielvorgaben der Politik», sagt Denise Laufer, Mitglied der Geschäftsleitung. Erreicht sieht Laufer auch das Ziel, die Spielregeln möglichst dem «internationalen Umfeld» anzugleichen.
Zwar hat auch Swiss Holdings einige Details zu bemängeln. Die Kritik zielt aber in eine andere Richtung als jene der Initianten, sie sei vor allem «technischer Natur», sagt Laufer. «Die internationalen Regelwerke, die sich ausschliesslich an Staaten richten, sollen für Firmen nicht als verbindlich erklärt werden.» Es sei zudem genauer zu definieren, wie die Unternehmen über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten Bericht zu erstatten hätten.
Das Bundesamt für Justiz (BJ) wiederum widerspricht der Behauptung der Initianten, die Schweiz falle hinter andere Länder zurück. «Im Bereich der Kinderarbeit geht die Schweiz einen Schritt weiter als die EU. Anderweitige Regelungen in einzelnen Ländern sind nicht direkt vergleichbar», sagt BJ-Sprecherin Ingrid Ryser. Auch sei es nicht zutreffend, dass sich ein Unternehmen mit einer «Selbstdeklaration» von den Sorgfaltspflichten befreien könne. Die betreffenden Unternehmen müssten «beweisen», dass sie einen gleichwertigen Standard einhielten.
Die Ausführungsbestimmungen müssten das Gesetz umsetzen und dürften nicht darüber hinausgehen, betont Ryser. Was die KMU betrifft, so weist die BJ-Sprecherin darauf hin, dass die Initianten bei ihrem Volksbegehren selber von Ausnahmen für Klein- und Mittelbetriebe gesprochen hätten.
Ob sich Keller-Sutter von den Protesten beeindrucken lässt, wird man erst in einigen Monaten erfahren. Bis zum 14. Juli läuft die Vernehmlassung, danach werden die Stellungnahmen ausgewertet. Bis dann die Verordnung überarbeitet und vom Bundesrat genehmigt ist, wird einige Zeit vergehen. Erst danach dürfte sich klären, wie die Initianten weiter vorgehen werden: ob vielleicht irgendwann über eine Neuauflage der Konzerninitiative abgestimmt wird.
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