Kommentar zum Angriff des IranDie Mullahs haben schon gewonnen
Nein, viel materiellen Schaden hat der Iran nicht angerichtet mit seinem Angriff auf Israel. Und doch: Das Regime hat eine neue Realität geschaffen.
In der Woche nach dem iranischen Angriff auf Israel geht es im Westen im Prinzip darum, dass Israel nicht zurückschlagen soll. Ja, sicher, die EU und die USA bringen neue Sanktionen gegen das iranische Regime auf den Weg. Sanktionen, die richtig sind – und die weitgehend symbolisch wirken werden. Selbst die überfällige Aufnahme der Revolutionsgarden auf die Terrorliste wäre symbolisch, und nicht mal darauf konnten die Europäer sich bisher einigen.
Eine neue Iran-Politik? Als Russland die Ukraine überfiel, war drei Tage später der deutsche Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt; iranische Maschinen landen dieser Tage in Europa, als wäre nichts geschehen.
Die Führung in Teheran hat gelernt, mit Sanktionen zu leben. Mit solchen, die sich gegen einzelne ihrer Anführer richten, und mit den wirtschaftlichen. Unter ihnen zu leiden haben die Bürgerinnen und Bürger, und deren Mitspracherecht ist nur noch theoretischer Natur. Mit seinem Sicherheitsapparat hat das Regime selbst monatelange Proteste überstanden – die Unzufriedenheit im Land sehen die Mullahs kaum noch als Gefahr für sich. Ihre Macht fusst auf Gewalt, was denen im Apparat, die für Gewalt zuständig sind, noch mehr Macht gibt: den Mitgliedern der Revolutionsgarden. Also jenen in Teheran, die vor besagtem Samstag intern auf einen harten Luftschlag gegen Israel drängten.
Der Angriff also wird für den Iran ohne grössere Folgen bleiben. Das Regime hat es geschafft, ein Tabu zu brechen, und dies letztlich auch mit der Hilfe all jener westlichen Diplomaten, die zu Recht einen Krieg zwischen Israel und dem Iran und damit einen Flächenbrand fürchten. Der iranische Luftschlag war der erste direkte Angriff der Islamischen Republik auf Israel überhaupt. Dass er stattfinden würde, nahm man in den Tagen zuvor wie ein Schicksal hin.
Und jetzt? Steht die Nahostdebatte im Zeichen der iranischen Drohung, dass die nächste Attacke um ein Vielfaches grösser ausfallen werde, sollte sich Israel nicht zurückhalten. Eine Drohung, die man seit Samstagnacht ernst nimmt.
Genau dies ist Macht
So definiert man Macht. Der Iran hat sie nicht dadurch bewiesen, dass seine Raketen in Israel getötet oder zerstört hätten. Sie haben kaum Schaden angerichtet. Das Regime hat aber gezeigt, dass es zum Tabubruch, dem Angriff auf den jüdischen Staat, bereit ist. Und dass sich Israel dagegen nur mithilfe der Vereinigten Staaten verteidigen kann, nicht allein. Am liebsten sähe man sich in Teheran ohnehin auf Augenhöhe nicht mit Israel, sondern mit den USA. Und diese drängen Premier Benjamin Netanyahu zum Stillhalten, die Europäer ebenso.
Die iranische Propaganda will glauben machen, dass Israel der irrationale Akteur in dem Konflikt sei. Während sich die Iraner seit Sonntag sanft und pragmatisch geben. Man wolle keine Eskalation, heisst es aus Teheran. Seid brav, dann passiert euch weiter nichts, diese iranische Drohung schwebt jetzt über Israel. Fortan für immer. Und nicht nur Regierungen weltweit hoffen auf eine massvolle israelische Antwort, die Vernunft tut es auch – es ist die Hoffnung, dass es in Nahost nicht noch viel schlimmer kommt.
Die Hoffnung auf Vernunft, sie scheint jetzt ein diktatorisches Regime auf seiner Seite zu haben, das eben mal Hunderte Drohnen und Raketen auf Israel abgefeuert hat. Das ist es, was die Mullahs mit ihrem Angriff gewonnen haben. Es ist die Welt, in der die Menschheit am Sonntag aufgewacht ist.
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