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Irreführende und illegale Inhalte auf X
Konflikt mit der EU: Elon Musk riskiert Millionenstrafe

WASHINGTON, DC - SEPTEMBER 13: Elon Musk, CEO of Tesla and X, speaks to reporters as he leaves the “AI Insight Forum” at the Russell Senate Office Building on Capitol Hill on September 13, 2023 in Washington, DC. Lawmakers are seeking input from business leaders in the artificial intelligence sector, and some of their most ardent opponents, for writing legislation governing the rapidly evolving technology.   Nathan Howard/Getty Images/AFP (Photo by Nathan Howard / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)
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Thierry Bretons Beamte hatten schnell genug gesehen nach der Terrorattacke der Hamas gegen Israel. Kaum waren die ersten Menschen auf israelischem Boden ermordet, kursierten auf der Plattform X schon manipulierte Fotos und Videos anderer Kriege. Oft wurden sie in falschem Zusammenhang gepostet, darunter waren sogar Sequenzen aus Videospielen und Aufnahmen von Silvesterfeuerwerk. Nutzer reichten gefälschte Karten herum und posteten vielfach historisch falsche Zusammenhänge. Etwa zur Stimmungsmache gegen Israel und dessen Bürger oder gegen Palästinenser. X, die weltweit grösste Quelle für Echtzeitnachrichten, wirkt in diesen Tagen wie ein Verteilzentrum für irreführende Propaganda.

Kommissionsvizepräsident Breton erinnerte X-Eigentümer Elon Musk an dessen Pflichten und entschied sich für eine Sprache, die der reichste Mann der Welt versteht: Er ging ihn öffentlich an, statt dessen Anwälte in Dublin zu adressieren. Die Sache eile, schrieb er in einem einseitigen Brief an Musk, den er am Dienstagabend auf seinem X-Account veröffentlichte. Antwortfrist: 24 Stunden.

Firmen drohen hohe Bussgelder, wenn sie Desinformation und Hassposts verbreiten.

Es gebe Anzeichen dafür, dass auf X im Zusammenhang mit der Attacke auf Israel illegale Inhalte und Desinformation verbreitet würden, schreibt Breton. Man habe Hinweise, dass «trotz Warnungen der zuständigen Behörden potenziell illegale Inhalte auf Ihrem Dienst zirkulieren». Das Gesetz für Digitale Dienste, an das X seit knapp zwei Monaten EU-weit gebunden ist, enthalte «sehr klare Verpflichtungen» hinsichtlich der Moderation von Inhalten. Unter anderem müsse X schnell, sorgfältig und effektiv auf Hinweise reagieren, illegale Inhalte löschen und «wirksam Risiken für die öffentliche Sicherheit und den gesellschaftlichen Diskurs bekämpfen, die von Desinformation ausgehen».

Der öffentliche Schlagabtausch ist der erste Test für das als Digital Services Act (DSA) bekannte Gesetz. Es verpflichtet die Betreiber von Onlinediensten wie sozialen Netzwerken, Suchmaschinen oder App-Stores zur strengen Moderation von Hassinhalten und Desinformation. Die Unternehmen müssen illegale Inhalte schneller löschen als bisher und der Kommission im Detail über etwaige Risiken berichten. Hassposts und menschenverachtende Inhalte gehören dazu genauso wie etwa gefälschte Ware in Onlineshops.

Höchststrafe: 264 Millionen Dollar

Zugleich müssen Nutzer fragliche Inhalte schnell und effektiv melden können. Für 17 als «sehr grosse Onlineplattformen» identifizierte Dienste wie X, Tiktok oder Facebook mit mehr als 45 Millionen Nutzern in der Europäischen Union gelten die neuen Regeln seit Ende August; für andere vom kommenden Jahr an. Die Höchststrafe bei Verstössen beträgt bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Im Fall von X wären das etwa 264 Millionen Dollar.

X-Eigentümer Elon Musk hatte die Plattform vor bald einem Jahr übernommen und nach seinem libertären Verständnis von Redefreiheit umgebaut. Unter anderem entliess er Hunderte Angestellte, die mit der Moderation von Inhalten befasst waren. Seine erste öffentliche Reaktion auf Breton lässt vermuten, dass er dessen Ansage nicht so ganz ernst nimmt. Breton solle doch bitte die Verstösse, auf die er anspiele, bei X posten, damit die Öffentlichkeit sie sehen könne. «Merci beaucoup», schrieb Musk dem Franzosen. Vielen Dank. Die beiden kennen sich schon länger.

«Wenn ein Gesetz in Kraft tritt, verpflichtet sich Twitter, es einzuhalten.»

Elon Musk über die neue EU-Regel in einem Interview auf France 2

Musk sei sich der Berichte von Nutzern und Behörden über gefälschte Inhalte und die Verherrlichung von Gewalt sehr wohl bewusst, entgegnete Breton darauf nur. «Es liegt an Ihnen, zu zeigen, dass Sie Ihren Worten Taten folgen lassen», schrieb er. Tatsächlich hatte der Techmilliardär noch im Juni angekündigt, die neuen EU-Regeln zu respektieren. «Wenn ein Gesetz in Kraft tritt, verpflichtet sich Twitter, es einzuhalten», hatte Musk damals in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender France 2 gesagt. Wenig später war Breton ins Silicon Valley gereist, um die betroffenen US-Unternehmen einem «Stresstest» zu unterziehen. Sie sollten wissen, dass er der «Vollstrecker» sei.

Nach dem Hamas-Angriff am Samstagmorgen hatte X plötzlich seine Vorschriften angepasst und Ausnahmen für Inhalte erweitert, die trotz eindeutiger Verstösse gegen andere Regeln online bleiben sollen. Es sei in solchen Situationen «zwar schwierig, aber im Interesse der Öffentlichkeit, zu verstehen, was in Echtzeit vor sich geht», schreibt das sogenannte Safety Team von X. Man habe bereits Zehntausende Beiträge gelöscht, überwache «auch weiterhin proaktiv antisemitische Äusserungen» und habe mehrere Hundert Konten entfernt. Darunter seien auch neue mit Hamas-Bezug.

An der Konfrontation mit X wird man nun ablesen können, wie effektiv das neue EU-Gesetz ist. Und ob es ausreicht, Musk und X zu ermahnen und – so wie in Regulierungs- und Wettbewerbsfällen in der EU üblich – womöglich ein langwieriges Verfahren anzustrengen, an dessen Ende die Behörde vielleicht, aber vielleicht auch nicht ein Bussgeld verhängt. Und am Beispiel des Hamas-Angriffs wird sichtbar, was auf dem Spiel steht, etwa mit Blick auf die Europawahlen Anfang Juni 2024: Parlamentarierinnen und Parlamentarier warnen bereits vor Desinformationskampagnen.