Never Mind the Markets: Konjunktur im SchwitzkastenKommt jetzt die nächste Rezession?
Deutschland gehört zu den Ländern, deren Konjunktur am meisten auf der Kippe steht. Die Bremseffekte könnten sich auch auf die Schweiz auswirken.
Der konjunkturelle Ausblick hat sich erneut markant eingetrübt. «Die bisherige mechanische Wirtschaftserholung war in vielerlei Hinsicht einfach, nun kommt der schwierige Teil», warnt das Wirtschaftsforschungsinstitut Oxford Economics. Es bezieht sich dabei auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) des Euroraums, das sich im dritten Quartal um solide 2,2 Prozent zum Vorquartal beschleunigt hat. Der Wachstumsschub liess sich vor allem darauf zurückzuführen, dass die Menschen deutlich mehr Geld für Konsumgüter, Restaurantbesuche etc. ausgaben, nachdem alle Staaten ihre Corona-bedingten Einschränkungen gelockert hatten.
Und nun kommt also der schwierige Part. Das deutsche Ifo-Institut hat diese Woche seine neue Konjunkturprognose vorgestellt. Für Deutschland erwarten die Forscher, dass das BIP im laufenden Quartal 0,5 Prozent gegenüber dem dritten Quartal schrumpft. In der anschliessenden Periode von Januar bis März werde es stagnieren. Es fehlt nur wenig, um von einer technischen Rezession zu sprechen. Dazu sind zwei Quartale in Folge mit rückläufigem BIP erforderlich.
Auch die Expertengruppe Konjunkturprognosen des Bundes in der Schweiz ist skeptisch. Das Wirtschaftswachstum wird sich hierzulande im Winterhalbjahr 2021/22 deutlich abschwächen, schreibt es in seiner aktuellen Konjunkturprognose. Wegen dieser «weniger günstigen kurzfristigen Aussichten» hat das Gremium seine Wachstumsvorhersage für 2022 von 3,4 Prozent (Stand September) auf 3 Prozent verringert. Die ETH-Konjunkturforschungsstelle Kof rechnet mit 2,9 Prozent und prognostiziert, dass das Schweizer BIP im laufenden Quartal kaum noch wächst und im ersten Vierteljahr 2022 stagniert.
Die Konjunktur wird derzeit von zwei Seiten in den Schwitzkasten genommen.
Blockade auf der Angebotsseite
Da sind zum einen die Lieferengpässe und fehlenden Materialien. Sie behindern die Produktion. Noch immer zeichnet sich hier keine Entspannung ab. Gemäss Ifo-Institut verharrt der Anteil der Unternehmen, deren Produktion aus diesem Grund behindert ist, seit drei Monaten weitgehend unverändert auf historischen Höchstständen. Umfragen der Kof bestätigen das und unterstreichen, dass nicht nur Vorprodukte bei der Fertigung fehlen, sondern auch ein Mangel an Fachpersonal das Produktionspotenzial behindert. Das betrifft nicht nur die Industrie, sondern auch angrenzenden Sektoren wie die Bauwirtschaft.
In der Vergangenheit traten Lieferschwierigkeiten stets dann auf, wenn die Nachfrage sehr hoch war und die Kapazitäten an ihre Grenze stiessen. Diesmal treffen sie hingegen viele Unternehmen, deren Kapazitäten nur wenig ausgelastet sind. Das Ifo-Institut betont diese Besonderheit: Die Lieferengpässe seien derzeit die Ursache des Produktionsrückgangs und nicht die Folgeerscheinung einer Überauslastung. Diese aussergewöhnliche Situation einer rückläufigen Wertschöpfung bei gleichzeitig hoher Nachfrage nach Industrieprodukten und unterausgelasteten Kapazitäten werde als Flaschenhals-Rezession bezeichnet. Und Deutschland steckt mittendrin.
Nachdem dieser Ausnahmezustand auf der Angebotsseite seit Monaten anhält, treten inzwischen die ersten Zweitrundeneffekte auf. Die Investitionen wachsen langsamer als ursprünglich erwartet. In Deutschland haben die Unternehmen im dritten Quartal 4 Prozent weniger in Maschinen, Software und andere Ausrüstungen investiert. Die weltweit moderaten Auslastungsraten dürften die Bereitschaft, Investitionen zurückzuhalten noch unterstützen.
Auch die Beschäftigung beginnt den Effekt zu spüren. Die Indikatoren signalisieren eine Stagnation, nach der Verbesserung in den vergangenen Monaten. In der Schweiz ist das noch nicht festzustellen.
Dämpfer für die Konsumnachfrage
Dass sich die Wirtschaft dennoch kräftig von dem Pandemieschock erholt hat, ist vor allem den privaten Konsumausgaben zu verdanken. Es besteht Nachholbedarf. Die Konsumentinnen und Konsumenten leisten sich zurückgehaltene Anschaffungen, besuchen Restaurants und reisen wieder. Hohe Konsumentenpreise und die neue Covid-Ansteckungswelle unterspülen nun dieses Fundament der Nachfrage.
Die hohen Energiepreise werden, je länger sie anhalten, die Budgets der Privathaushalte immer mehr belasten. Es geht Kaufkraft verloren. Erhebungen aus verschiedenen Ländern zeigen zudem, dass die Ersparnisse, die während der Lockdowns zugenommen hatten, häufig bereits ausgegeben wurden. Dieser Puffer bei Einkommensengpässen, auf den Konjunkturexperten setzten, ist kleiner geworden.
Die vierte Coronawelle wird das Nachfragewachstum zusätzlich dämpfen. Zwar dürften die staatlichen Massnahmen in den kommenden Monaten weniger drakonisch ausfallen werden als vor einem Jahr. Abgesagte Weihnachtsfeiern im Gastgewerbe und erste Meldungen aus Touristendestinationen über Reiserücktritte deuten aber darauf hin, dass die Wirtschaftserholung nun auch auf der Nachfrageseite Gegenwind erhält.
Fachleute sind sich einig: Die Erholung ist nur aufgeschoben.
Momentan gehört Deutschland zu den Ländern, deren Konjunktur am meisten auf der Kippe steht. Da es sich um die dominierende Volkswirtschaft in Europa handelt, besteht die Gefahr, dass sich die Bremseffekte auch auf die Partnerstaaten auswirken. Die Schweiz gehört dazu.
Die Fachleute sind sich aber einig, dass die wirtschaftliche Erholung nur aufgeschoben ist, aber nicht aufgehoben. Sie soll im Frühjahr 2022 erneut an Fahrt aufnehmen. Wir werden sehen.
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