Kolumne von Markus FreitagBin ich noch links oder schon rechts?
Unser Kolumnist erklärt, wie biografische Merkmale die eigene politische Positionierung beeinflussen. Und er warnt vor ideologischen Scheuklappen.
Wer in jungen Jahren nicht links ist, hat kein Herz, und wer im Alter immer noch ein Linker ist, hat keinen Verstand. Was halten Sie von diesem Bonmot, über dessen Urheberschaft auch heute immer noch gerätselt wird? Und wie ist das überhaupt bei Ihnen: Haben Sie Ihren Platz im Politspektrum bereits gefunden? Sind Sie noch links oder schon rechts?
Die historischen Wurzeln dieser ideologischen Verortung liegen in der Französischen Revolution und in der Frage, ob die Nationalversammlung dem König ein absolutes Vetorecht in der Verfassung zugestehen sollte. Während die Gegner dieses Ansinnens auf der linken Seite des Präsidenten Platz nahmen, sassen die Befürworter des alten Regimes rechts von ihm. Den Linken hing von da an etwas Revolutionäres an, während eine rechte Gesinnung mit der Bewahrung von Tradition einherging.
Wer heutzutage links ist, für den sind Gleichheit, Gerechtigkeit und Sozialismus wichtige Grundpfeiler. Unterstützt wird eine eingreifende Politik, die Benachteiligungen im weitesten Sinne bekämpft. Wer dem rechten Lager zugeneigt ist, hält Individualismus, persönliche Freiheit und Kapitalismus für erstrebenswert und befürwortet eine Laisser-faire-Politik, die Ungleichheiten akzeptiert.
Durchgekaut wird nur noch das, was die eigene Meinungsblase goutiert.
Und? Wo würden Sie sich denn nun auf einer Skala einordnen, wenn 0 ganz links und 10 ganz rechts bedeutet? Diese weltanschauliche Selbstverortung gilt als die Mutter aller politischen Einstellungsfragen. Ihrer Einfachheit halber wird sie ebenso oft verteufelt wie hofiert. Halten sie die einen für völlig überholt und holzschnittartig, klammern sich die anderen immer noch sehr gerne in ihren politischen Deutungen daran.
In der Schweiz verorten sich rund 40 Prozent links der Mitte und 35 Prozent rechts davon. Das Interesse an Politik spielt dabei hierzulande keine Rolle. Wohl aber, wie alt jemand ist, wo jemand lebt, ob sie oder er finanziell auf Rosen gebettet ist, einen hohen Bildungsgrad aufweist, Mann oder Frau ist. Letztere stehen beispielsweise eher links als Erstere. Dies gilt auch für Menschen mit einer hohen Bildung sowie für Städterinnen und Städter. Je wohlhabender und je älter aber jemand ist, desto wahrscheinlicher wird rechts der Mitte Platz genommen.
Ideologien vernebeln den Blick
Durchschnittlich linker als die Schweizerinnen und Schweizer ticken die Menschen in Dänemark, Grossbritannien, Österreich oder auch Deutschland. Weiter rechts ordnen sich beispielsweise die Bevölkerungen der Niederlande, Schwedens, Finnlands oder Italiens in internationalen Umfragen ein.
Wer sich politisch auf eine Seite schlägt, dem winken durchaus Vorteile. Während die Mitte immer wieder lavierend zwischen den Polen oszilliert, dient die Einverleibung linker wie rechter Ideologien als heuristischer Sextant im Ozean politischer Herausforderungen und Entscheidungsfindungen. Aber Vorsicht: Je näher man sich den extremen Polen der Selbstverortung nähert, umso schwarz-weisser werden die Weltanschauungen, umso mehr verhärten sich die Fronten.
Kurzum: Je fester sich die ideologische Brille auf der Nase eingräbt, umso mehr vernebelt sie die Sicht auf andere Perspektiven. Durchgekaut wird nur noch das, was die eigene Meinungsblase goutiert. Eigene Forschungen zeigen denn auch, dass die Unduldsamkeit gegenüber anderen Gruppen und Meinungen immer grösser wird, je stärker man auf die ideologischen Ränder der linken wie der rechten Seite zusteuert.
Damit wird klar: Toleranz geht nur, wenn die Sehhilfe locker sitzt!
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