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Kolumne von Markus Freitag
Bin ich fremd in meinem Land?

Sieht so Heimat aus? 1.-August-Feier auf dem Rütli.
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Haben Sie auch manchmal das Gefühl, dass Sie die Dinge, die um Sie herum passieren, nicht mehr richtig verstehen? Dass Sie bestimmte Vorgänge, Meinungen und Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen können? Dass Sie mit bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr Schritt halten? Kommen Sie sich deshalb manchmal vor, als wären Sie fremd in Ihrem Land?

Wenn Ihnen derartige Ansichten und Lebensgefühle nicht unbekannt sind, ist die Chance gross, dass Sie ein «Somewhere» sind. So bezeichnet der britische Milieukenner David Goodhart Menschen, die in Zeiten wachsender Globalisierungs- und Individualisierungsrisiken Sicherheit und Geborgenheit suchen und sich an das Wohlbekannte oder den Status quo klammern. In jeder Veränderung wittern sie hingegen die Gefahr, dass der eigene Lebensentwurf samt der Halt gebenden Gruppen- oder Ortsidentität unterspült wird.

Diesen lokal verwurzelten «Dagebliebenen» stehen die «Anywheres» gegenüber, geografisch ungebundene Individualisten, die in jedem Wandel eine persönliche Herausforderung sehen und sich nur wenig um Althergebrachtes scheren. Sie gehören meist zur gebildeten Elite eines Landes und erschaffen sich ihr Selbstbewusstsein und ihre Identität über berufliche Leistungen und akademische Erfolge, aber weniger über zugeschriebene Loyalitäten.

In der Schweiz fühlt sich rund ein Viertel der Menschen oft fremd im eigenen Land.

Verstehen sich «Anywheres» als Triebfedern politischer, ökonomischer oder gesellschaftlicher Veränderung, sehen sich «Somewheres» als Opfer derselben. Sind für Erstere geografische, gemeinschaftliche oder geschlechtliche Grenzziehungen meist inexistent, sind sie für Letztere beinahe existenziell. Vermischen sich die drohenden Verlustängste von Tradition, Gewohnheiten und Hierarchien mit dem Eindruck des staatlich orchestrierten Welpenschutzes für dynamische Wandelturbos, entwickeln «Somewheres» schnell einmal das Gefühl, von Politik und Gesellschaft abgehängt zu sein. Diese mentale Gemengelage lässt sie dann auch leicht zur Beute populistischer Demagogen werden, was die Erzählungen der amerikanischen Soziologin Arlie Russell Hochschild eindrucksvoll bestätigen.

In Frankreich stimmen nach eigenen Erhebungen beinahe 50 Prozent der Menschen der Aussage zu, dass sich so vieles verändert hat, dass sie sich in ihrem eigenen Land oft wie ein Fremder oder eine Fremde fühlen. In Deutschland, Grossbritannien und Spanien sind es an die 40 Prozent, während in der Schweiz rund ein Viertel dieser Ansicht ist. Interessanterweise finden sich hierzulande dabei keine nennenswerten Unterschiede zwischen Stadt, Land und Agglomeration. Es zeigt sich aber, dass mit steigendem Alter Veränderungen der Lebenswelten kritischer gesehen werden. 

Lieber unter sich bleiben

Unabhängig vom Geschlecht bekunden die 40- bis 60-Jährigen in diesem Land am ehesten eine gewisse Wandelresistenz. Diese akzentuiert sich deutlich für diejenigen ohne Hochschulbildung. Wer sich in der Schweiz wie ein Fremder oder eine Fremde fühlt, verweigert aus Protest tendenziell die Wahlteilnahme, äussert sich kritisch über die Zuwanderung und zeigt nur wenig Vertrauen in die Mitmenschen. Derlei Empfindungen schlagen sich zudem in der Geringschätzung politischer Institutionen wie auch der Politikerinnen und Politiker nieder. Sympathie wird vor allem der SVP entgegengebracht, während insbesondere die SP keinen Gefallen findet.

Hiesige «Somewheres» würden am liebsten auch unter sich bleiben. In ihren Augen dürfte der rote Pass nämlich nur denjenigen zustehen, die hier geboren sind oder Schweizer Vorfahren haben. Ist das nicht befremdlich?