Kolumne «Fast verliebt»Wie der Krieg unsere Freundschaften belastet
Sie schlagen wieder um sich, die Meinungs-Hooligans und Social-Media-Blockiererinnen: Wie schützen wir unsere Beziehungen in dieser politisch und emotional aufgeladenen Zeit?
«Jetzt ist wieder so ein Moment, in dem Freundschaften zerbrechen», sagt eine Kollegin am Telefon mit Blick auf den Nahostkonflikt – und ich muss an einen Facebook-Freund denken, der gerade damit angibt, wen er wieder alles blockiert hat wegen politischer Ansichten, die ihm nicht passen.
«Einige können es nicht einmal ertragen, wenn man neben dem blanken Entsetzen über die Gräueltaten der Hamas auch seine Trauer über Tausende tote Kinder in Gaza äussert», wundert sich meine Kollegin über die verhärteten Meinungen und schnellen Eskalationen in Gesprächen, selbst unter Freundinnen und Freunden. Als wäre Empathie ein begrenztes Gut.
Wie die meisten Menschen im Westen haben meine Kollegin und ich keinen jüdischen oder muslimischen Hintergrund. Wir sind nicht direkt betroffen. Die wenigsten Menschen in unserem Alltag sind es. Trotzdem kracht es.
«Es ist doch völlig klar, wie man den Konflikt löst», sagte neulich die Pressesprecherin einer Kultureinrichtung bei einem beruflichen Mittagessen, an dem ich teilnahm. Dann sagte sie etwas so haarsträubend Unterkomplexes, dass ich es hier nicht wiedergeben will.
Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Fussballstadion zwischen Hooligans geraten.
Wenige Minuten später beendete ein Mann, dem der Gesprächsverlauf auch nicht gefiel, gleich das ganze Mittagessen, in dem er sprichwörtlich auf den Tisch haute: flache Hand, wumms, Gläserklirren. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Fussballstadion zwischen die Hooligans geraten, dabei waren das alles gebildete Leute.
Wenn schon uns, den nicht direkt Betroffenen, die friedliche Kommunikation nicht gelingen will – wie soll das unseren jüdischen und muslimischen Mitmenschen gelingen, die jetzt verstärkten Rassismus erfahren oder die um geliebte Menschen vor Ort bangen?
Ich wünschte, mehr Leute würden sich Sätze wie «Ich bin keine Expertin für den Nahostkonflikt, aber ich finde …» sparen und sich wirklich die Zeit für Informationen nehmen. Um dann im Austausch mit anderen vorsichtige Aussagen zu treffen, ohne Absolutheitsanspruch. Es kommt jetzt nicht nur darauf an, was wir sagen, sondern auch darauf, wie wir es tun. Warum auf den Tisch hauen? Unter zivilisierten Menschen kann man klar in der Sache bleiben, aber freundlich im Ton.
Wollen wir unser Denken Bubble-rein halten oder können wir Widersprüche aushalten?
Corona, Klimakrise, «Black Lives Matter» und Ukraine-Krieg: Eigentlich haben wir seit einigen Jahren Übung darin, was es heisst, wenn das Politische emotional und auch privat wird. Wie gut wir und unsere Beziehungen jetzt durch diese neue Phase gesellschaftlicher Konflikte kommen, hängt auch davon ab, für was wir uns selbst täglich entscheiden:
Wollen wir streiten – oder Verständigung und Austausch suchen? Wollen wir unser Umfeld möglichst meinungsgleich und unser Denken Bubble-rein halten, oder können wir Widersprüche und Unsicherheiten auch mal aushalten für einen Wert, der vielleicht grösser ist, nämlich: dass wir miteinander verbunden bleiben?
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