Kolumne «Fast verliebt»Wie eine angeblich frauenfreundliche Dating-App sich selbst erledigt
Statt die ätzende Online-Partnersuche attraktiver zu machen, verurteilt das Unternehmen Bumble in einer Werbekampagne Frauen für die Entscheidung zur sexuellen Enthaltsamkeit.
Bumble, Tinder und Co. haben es dieser Tage nicht leicht. Es ist wie mit den Fahrrädern: Während Corona glaubte jeder, ein neues zu brauchen, Boom!, aber jetzt hat jeder eins, und der Verkauf bricht ein. Und so ähnlich haben auch die Dating-Apps längst alle Menschen auf der Welt glücklich zueinandergeführt und die grosse Suche beendet. Der Erfolg wurde zum Fluch.
Kleiner Scherz. Der Fluch ist ja eher das Online-Dating selbst: Für viele meiner Freunde ist es die Vorhölle. Man fühlt sich irgendwie tot, aber da ist noch ein Funke verblendeter Hoffnung, während die Seele gefangen ist zwischen Bildern lächelnder Singles und ins Leere laufenden Chats. Aber was ist die Alternative? Eine meiner Freundinnen hat sich ein Jahr Pause vom Online-Dating gegönnt. Im «echten Leben», sagt sie, sei aber kein Kennenlernen mehr möglich – weil alle an den Apps hängen wie Zombies.
«Du sollst nicht eine Nonne werden»
Also will, oder: muss, meine Freundin zurück ins Internet. Nur weiss sie gar nicht, «auf welche App?». Früher hatte sie ein Herz für das angeblich frauenfreundliche Bumble, «aber die erledigen sich ja gerade selbst», sagt sie. Tatsächlich hat Bumble sein Alleinstellungsmerkmal – die Frauen müssen den ersten Schritt machen – abgeschafft: Jetzt können auch Männer die Initiative ergreifen. Zudem hat sich das Unternehmen aktuell mit einer Anti-Zölibats-Werbekampagne ins eigene Knie geschossen.
«Du weisst ganz genau, dass ein Enthaltsamkeitsschwur nicht die Antwort ist», druckte Bumble im englischsprachigen Raum auf Plakate, neben die Gesichter junger Frauen, und: «Du sollst nicht Dating aufgeben und eine Nonne werden.» Damit reagierte das Unternehmen auf eine Entwicklung, die unter dem Hashtag #celibacy auch auf Tiktok trendet: Enttäuscht vom Online-Dating ziehen sich viele verletzte Frauen (Aufreisser-Kultur, Ghosting etc.) zurück und leben stattdessen lieber enthaltsam.
Eine Beschäftigungstherapie, die süchtig macht
Viele wissen einfach nicht mehr, wie sie noch auf gesunde Weise Männer kennen lernen sollen. Anstatt Antworten darauf zu suchen, warum so viele Menschen von den Apps frustriert sind, sucht Bumble die Schuld also bei den Frauen. Die sollen sich einfach nicht so haben, zurück ins Dating-Game mit denen. Nachdem weibliche Promiskuität jahrhundertelang geächtet wurde, ist das Gegenteil jetzt offenbar auch nicht recht. Inzwischen hat sich das Unternehmen entschuldigt.
Das Versprechen der Dating-Apps lautet: Menschen zusammenzubringen. Aber zeigen sie nicht einfach nur, dass der Kapitalismus die Liebe gefressen hat? Die Onlinesuche für Singles wird in vielen Fällen nur eine Art Beschäftigungstherapie, die süchtig macht. Den Unternehmen geht es sowieso am besten, wenn die Menschen ewig unglücklich weitersuchen (Hallo, Bumble-Abo-Laufdauer «lebenslang»: Ja, das ist tatsächlich eine Bezahloption).
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