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Knatsch in der grössten SP-Sektion
SP-Migranten empfehlen Partei­kolleginnen zur Nichtwahl

Ein Wahlplakat der Berner SP mit Staenderatskandidatin Flavia Wasserfallen, Nationalratskandidatin Nadine Masshardt, Nationalratskandidat Matthias Aebischer und Nationalratskandidatin Lena Allenspach, von links, haengt bei einer Strassenkreuzung beim Bernexpo Gelaende, am Freitag, 15. September, 2023 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Zehn Tage vor den eidgenössischen Wahlen herrscht dicke Luft in der SP Bern, der mitgliederstärksten SP-Kantonalpartei des Landes. Grund ist eine Wahlempfehlung, die die «SP-Migrant:innen Kanton Bern», eine Untersektion der Partei, an mehrere Hundert Wählerinnen und Wähler verschickt haben.

«Wir wollen mehr Personen mit Migrationshintergrund im Parlament», heisst es in dem vierseitigen Schreiben, das dieser Redaktion vorliegt. Darum rufen die SP-Migranten dazu auf, solche Kandidierende auf den Wahlzetteln doppelt aufzuführen, das heisst zu kumulieren.

Schon der Aufruf zum Kumulieren wird in der Berner SP nicht gerne gesehen, wie Co-Kantonalpräsidentin Anna Tanner bestätigt. Denn wer eine Kandidatin doppelt aufführt, muss einen anderen Kandidaten streichen. In der SP Bern mussten alle Kandidierenden einen Kodex unterschreiben, in dem sie sich zu Fair Play verpflichten. Andere Kandidaten verstanden diesen Kodex so, dass in Inseraten schon der Aufruf «2× auf jede Liste» nicht geht.

Dabei verwendet die SP-Untersektion nicht Fantasienamen, sondern Namen von realen Berner SP-Frauen.

Doch die SP-Migranten gehen noch weiter. Sie zeigen in einem Musterbeispiel auch auf, wie man Kandidierende streicht. Dabei verwenden die SP-Migrantinnen nicht Fantasienamen wie Hans Muster, sondern machen ihre Streichvorschläge auf der realen Nationalratsliste der Berner SP-Frauen. Darauf sind vier Kandidatinnen durchgestrichen: Andrea Rüfenacht, Maurane Riesen, Karin Fisli und Manuela Kocher.

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Dafür, so heisst es im Brief, solle man die 22-jährige Leyla Güzel und den 19-jährigen Jakub Walczak, beides Vorstandsmitglieder bei den SP-Migranten, wählen – oder acht weitere namentlich genannte Kandidierende. Die prominenteste Politikerin, die von diesem Wahlaufruf profitiert, ist die amtierende Nationalrätin Tamara Funiciello, schweizerisch-italienische Doppelbürgerin und Präsidentin der SP-Frauen Schweiz.

«Wir sollten uns vielmehr darauf konzentrieren, gemeinsam möglichst viele Sitze zu holen.»

Tamara Funiciello

Bei den gestrichenen Kandidatinnen handelt es sich dagegen um vier Berner Grossrätinnen zwischen 32 und 56 Jahren, die sich teilweise jahrelang in Parteiämtern engagiert haben oder noch immer engagieren.

Das Schreiben der SP-Migranten sei «nicht erfreulich», sagt Co-Kantonalpräsidentin Anna Tanner. «Ein solcher Aufruf ist nicht solidarisch, wir müssen als Partei in den Wahlen gemeinsam um Stimmen kämpfen und nicht die einen gegen die anderen ausspielen.» Die Parteileitung habe bei der Untersektion interveniert. Diese habe ihren Fehler «eingesehen» und in einem weiteren Schreiben an den gleichen Empfängerkreis korrigiert.

Der Vorgang sei «sehr unschön und unsolidarisch», sagt auch Maurane Riesen, eine der gestrichenen Kandidatinnen. Inzwischen hätten die SP-Migranten ihren Fehler aber eingesehen. «Sicher hatte daran niemand Freude», sagt Manuela Kocher, die auf der Musterliste ebenfalls gestrichen wurde. Sie erklärt das Schreiben «mit der mangelnden Erfahrung» der teilweise sehr jungen Vorstandsmitglieder bei den SP-Migranten.

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Tamara Funiciello sagt, sie habe erst durch die Anfrage dieser Redaktion vom konkreten Wortlaut des Schreibens erfahren. Empfehlung sei «unschön», sagt sie. «Wir sollten uns vielmehr darauf konzentrieren, gemeinsam möglichst viele Sitze zu holen.»

Die Streichempfehlung erinnert an einen Fall, den diese Redaktion jüngst publik machte. Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte-Frauen Schweiz, empfahl Bekannten per Whatsapp, alle vor ihr platzierten Kandidierenden auf der Aargauer Mitte-Nationalratsliste zu streichen.

«Missverständnis» und Entschuldigung

Der Vorstand der SP-Migrantinnen und -Migranten Kanton Bern bezeichnet das Schreiben in einer Stellungnahme mittlerweile als «Missverständnis». Man habe Menschen mit Migrationshintergrund, deren Wahlbeteiligung oft tief sei, bloss zum Wählen animieren und ihnen «das komplizierte Wahlsystem erklären» wollen. «Auf keinen Fall wollten wir auf andere Kandidierende zielen und eine konkrete Person zum Streichen empfehlen.» Man habe sich inzwischen bei den vier Frauen entschuldigt – und ein korrigiertes Schreiben verschickt, bei dem die Streichvorschläge «anonymisiert» seien. Er schätze «die Arbeit aller SP-Kandidierenden sehr» und wünsche ihnen «viel Erfolg», schreibt der Vorstand.

Die Pointe der Geschichte: Mindestens eine der vier gestrichenen Kandidatinnen hat selbst Migrationshintergrund. Maurane Riesens Grosseltern sind einst aus Italien eingewandert, und sie selber hat neben der schweizerischen auch die italienische Staatsangehörigkeit.