Erwärmung der ErdeEin altes Klimarätsel ist gelöst
Forschende zeigen, dass Messdaten der Meere im 20. Jahrhundert zu tief waren. Der Einfluss des Menschen wird nun noch besser in Klimamodellen abgebildet.
Sie gehört zu den bekanntesten Datenreihen der Welt. Die Kurve der mittleren globalen Temperatur der Erdoberfläche. Sie macht immer wieder Schlagzeilen, dokumentiert den weltweiten Klimawandel und ist ein Kompass dafür, wo wir mit unseren politischen Anstrengungen im Kampf gegen die Erderwärmung stehen.
Die Datenreihen sind dank den Fortschritten in den Messmethoden nach dem Zweiten Weltkrieg verlässlicher geworden und mit ihnen die Klimamodelle, die heute den Temperaturverlauf seit Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts sehr gut rekonstruieren. Es gab jedoch bis heute eine Zeitperiode, die Fragen aufwarf. So verstanden die Klimaforscher zum Beispiel die erste grosse Erwärmungsperiode zwischen 1900 und 1940 nicht. «Die Klimamodelle schienen die globale Temperaturzunahme von 1901 bis 1940 zu unterschätzen», sagt Erich Fischer.
Nun haben Klimaforscher um den Hauptautor Sebastian Sippel von der Universität Leipzig dieses Rätsel gelöst. Sie zeigen in einem kürzlich erschienenen Beitrag im Fachmagazin «Nature» auf, dass diese deutliche Abweichung zwischen Messung und Modell kein Fehler der Klimamodelle ist, sondern auf ein ungenügendes Verständnis der Messungen der Ozeantemperaturen zurückgeht.
Die Forscher haben festgestellt, dass die Messungen der Meerestemperaturen im frühen 20. Jahrhundert (1900 bis 1930) zu tief liegen. Meeres- und Landtemperaturen sind seit 1850 immer nahezu identisch – ausser Anfang des 20. Jahrhunderts, da sind die Schätzungen der durchschnittlichen Meerestemperaturen 0,26 Grad tiefer als die globale Erwärmung auf dem Land.
Das stehe im Widerspruch zu den Rekonstruktionen, die auf den globalen Landtemperaturen, dem physikalischen Verständnis und allen Klimamodellen beruhten, sagt Reto Knutti, Mitautor der Studie. Auch paläoklimatische Daten zum Beispiel aus Korallen, Sedimenten und Baumringen zeigen keine so grosse Diskrepanz zwischen Meeres- und Landdaten in dieser Zeitperiode.
Dazu muss man wissen: Die globalen Temperaturschätzungen entstehen, indem man die Daten der Ozeane und der Landoberfläche kombiniert. Diese Aufzeichnungen unterliegen grundsätzlich immer gewissen Verzerrungen und Unsicherheiten. Die Ursachen: der Fortschritt der Messtechnik, Veränderungen der Messstandorte, unzureichende Abdeckung von Messorten. Dazu kommen Veränderungen der Landoberfläche wie zum Beispiel durch die Urbanisierung – und natürliche Schwankungen.
Ozeane waren wärmer als angenommen
Die Forscher gingen akribisch vor, um diese neue Erkenntnis zu belegen. «Es war wie ein Indizienprozess», erklärt ETH-Klimaforscher Erich Fischer. Die Klimaforscher verwendeten Methoden der künstlichen Intelligenz, trugen die Daten verschiedener Messsysteme zusammen, werteten Klimamodelle aus und berücksichtigten das mittlerweile gute Verständnis der Physik. «Alle diese Quellen zeigen konsistent, dass die Ozeane in diesen Jahrzehnten wärmer waren als bisher angenommen», sagt Fischer.
Für Reto Knutti sind die revidierten Daten eine Bestätigung der Klimamodelle. Und sie würden nun noch zuverlässiger den Einfluss des Menschen seit der vorindustriellen Zeit aufzeigen. «Die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit bleibt gleich. Auch bleibt es dabei, dass die Erwärmung nach dem Zweiten Weltkrieg besonders ausgeprägt war und menschgemacht ist», ergänzt Klimaforscher Erich Fischer.
Ungenaue Messmethoden
Doch was führte letztlich zu dieser grossen Differenz zwischen Ozean- und Landdaten? Die Wissenschaftler haben eine Erklärung: Die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts ist bekannt für eine ausserordentlich grosse Datenunsicherheit bezüglich der Ozeantemperaturen. Das beginnt mit der Änderung der Messtechnik auf den Schiffen, auf denen zuerst mit Kübeln aus Holz und später aus Segeltuch das Meerwasser geschöpft wurde. Bevor die Messungen mit Thermometern gemacht wurden, kühlte das geschöpfte Wasser durch Verdunstung ab. Später wurden Temperaturen des Meerwassers im Schiffsrumpf gemessen: Diese sind immer eher zu warm.
Dann kamen die veränderten Schiffsrouten hinzu. Zwischen 1880 und 1910 stammten die Messdaten vor allem von amerikanischen Schiffen. Diese Aufzeichnungen sind systematisch kälter als zum Beispiel jene von niederländischen Flotten.
Deshalb ging man wohl fälschlicherweise davon aus, dass die Ozeantemperaturen sich in dieser Periode deutlich abkühlten. «Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs haben sich die Datenquellen komplett verschoben», sagt Erich Fischer. Die Daten der US-Schiffe fielen weg – dadurch wurden während des Ersten Weltkriegs die Datenreihen «künstlich» wärmer.
Alle diese Effekte wurden zwar schon früher berücksichtigt, aber nicht ausreichend. Die neue Studie zeigt auf, dass es sich lohnt, historische Klimadaten mit unabhängigen Methoden zu vergleichen und mit moderner Datenverarbeitung zu prüfen. «Es ist rückblickend überraschend, dass niemand hinterfragt hat, weshalb die Erwärmung der Ozeane von 1901 bis 1940 grösser war als die der Landoberfläche», sagt Erich Fischer.
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