Analyse zum AutoverkehrIn 35 Jahren kaum Fortschritte gemacht
Der Bund meldet: Die Neuwagen in der Schweiz übertreffen erstmals das Klimaziel. Doch blenden lassen darf man sich nicht. Die klimapolitische Realität beim Verkehr ist trist.
Endlich! Erstmals haben es die Autoimporteure geschafft, das von der Politik verordnete Klimaziel zu übertreffen – eine Folge der wachsenden Beliebtheit von Elektroautos. Der Bund hat letzte Woche von einer «erfreulichen Premiere» gesprochen. Und das ist es auch.
Allerdings ist diese Premiere nur ein klitzekleiner Ausschnitt einer viel grösseren und leider tristen Realität. Zum einen sind die Neuwagen auf der Strasse klimaschädlicher als von den Herstellern angegeben, wie Praxistests zeigen. Zum anderen fährt die Schweizer Bevölkerung viel Auto, auch in der Freizeit, vorzugsweise im SUV, noch immer grossmehrheitlich mit Verbrennungsmotor. Der Effekt ist umso stärker, weil die Zuwanderung konstant hoch ist.
Die Erneuerung des Wagenparks braucht Zeit
Die Jubelmeldungen der Autobranche über die boomende Elektromobilität wirken daher übertrieben. Von den letztes Jahr verkauften 260’000 Neuwagen in der Schweiz waren etwa 50’000 rein elektrisch betriebene Modelle. Ihre Gesamtzahl erhöhte sich damit auf 170’000. Aber: In der Schweiz gibt es 4,8 Millionen Personenwagen; nimmt man Motorräder und Lastwagen dazu, sind es 6,4 Millionen. Selbst bei 100’000 neuen Elektroautos pro Jahr vergingen weit über 40 Jahre bis zur vollständigen Erneuerung des Wagenparks – Klimaziel 2050 ade.
Hinzu kommt, dass der Absatz von Elektroautos nach jahrelangem Wachstum derzeit schwächelt. Das mag eine vorübergehende Eintrübung sein. Auch hat die EU angekündigt, ab 2035 nur noch Neuwagen zuzulassen, die beim Fahren CO₂-emissionsfrei sind. Ob sie ihren Plan tatsächlich umsetzt, muss sich aber erst noch weisen. Krebst sie wieder zurück, was angesichts des Rechtsrucks in Europa möglich ist, dürfte es unmöglich werden, den Verkehr bis 2050 fossilfrei zu machen.
Und schliesslich: Reine Elektroautos stossen im Betrieb zwar kein CO₂ aus. Doch ihre Herstellung, namentlich der Batterie, ist sehr energieintensiv, und längst nicht alle fahren ausschliesslich mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen.
Die Uhr tickt: Nur noch 25 Jahre
Klimaschützer argumentieren deshalb, eine Elektrifizierung des Verkehrs allein genüge nicht, es brauche neben dem Umstieg auf den öffentlichen Verkehr und mehr Langsamverkehr auch eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs. Nur: Der Autoverkehr dominiert ungebrochen, obschon der Staat in den letzten Jahrzehnten Milliarden in Bahn, Bus und Tram investiert hat.
Dabei will die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden. Ein schönes Ziel, einfach dahergesagt, gerade von Politikern. Doch die Uhr tickt: nur noch 25 Jahre!
Die Abhängigkeit von fossilen Energien bleibt jedoch bis auf weiteres hoch. Zwar ist es im Verkehr gelungen, den CO₂-Ausstoss zu senken, allerdings nur um 8 Prozent seit 1990. Der Gebäudesektor hat in derselben Zeitspanne eine Reduktion von 44 Prozent geschafft, die Industrie 27 Prozent, die Schweiz insgesamt 24 Prozent. Die Diskrepanz ist eindrücklich – und wiegt schwer: Der Verkehr ist für ein Drittel der Treibhausgasemissionen in der Schweiz verantwortlich.
Und so werden auch in diesem Jahr wieder Zehntausende neuer Verbrenner auf die Strasse gelangen – und damit neues CO₂ in die Atmosphäre. Selbst wenn die kaufkräftige Schweizer Kundschaft diese Autos in einigen Jahren durch ein Elektromodell ersetzen wird: Aus der Welt geschafft sind sie damit nicht. Viele fahren einfach weiter als Occasion – in der Schweiz oder im Ausland.
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