Gastkommentar zur KlimapolitikKlimagerechtigkeit geht uns alle an
Die Schweiz ist privilegiert, wenn es um die Auswirkungen des Klimawandels geht. Sie sollte sich solidarisch zeigen.
Klimagerechtigkeit? Diesen Begriff kennt Nasima Begum nicht. Die 30-Jährige lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Distrikt Khulna in Bangladesh. Hier trifft der Klimawandel die Ärmsten besonders hart. Wirbelstürme und der Anstieg des Meeresspiegels haben zu Überschwemmungen geführt und den Boden versalzen.
Die Menschen in der Region können nur noch einmal pro Jahr ernten statt wie früher zweimal. Mit Landwirtschaft kommt man nicht mehr über die Runden, die Leute müssen ihre Dörfer verlassen – auf der Suche nach Arbeit, oft an Orten, wo es keine Schulen gibt. So geraten sie in eine Spirale der Armut.
So mussten auch Nasima Begum und ihr Mann einen neuen Weg zum Überleben suchen. Seither arbeiten sie in einer Ziegelbrennerei. Sie hoffen, genug zu verdienen, um ein Haus zu bauen und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Das ist ein Fall von unzähligen, die die Klima-Ungerechtigkeit auf den Punkt bringen: Nasima Begum und ihre Vorfahren haben mit ihrem bescheidenen Lebensstil einen minimen CO₂-Fussabdruck und damit nichts zu den Ursachen der Klimaerwärmung beigetragen.
Die Folgen des Klimawandels betreffen Millionen von armen Menschen im globalen Süden.
Dennoch sind sie davon überproportional und existenziell betroffen: einerseits aufgrund der geografischen Lage – Bangladesh leidet zunehmend unter Überschwemmungen, dem steigenden Meeresspiegel und gleichzeitig unter Dürren –, anderseits weil sie nicht über die Ressourcen und das Know-how verfügen, um sich den Auswirkungen der Klimakrise anzupassen.
Dies betrifft Millionen von armen Menschen im globalen Süden. Umgekehrt haben die Schweiz und andere Industrienationen weniger stark mit deren Folgen zu kämpfen und können sich besser daran anpassen. Und das, obwohl sie seit Jahrzehnten mit ihrem Treibhausgasausstoss hauptsächlich verantwortlich sind für den Klimawandel. Das ist ungerecht.
Klimagerechtigkeit hat drei Dimensionen. Erstens eine zeitliche: Die heutige Generation sollte die Verantwortung für zukünftige Generationen übernehmen und ihre eigenen Emissionen reduzieren. Die zweite ist geografisch: Die Hauptverursacher des Klimawandels, die Industrienationen, sollten Verantwortung übernehmen und ihre Emissionen reduzieren sowie den Entwicklungsländern ermöglichen, die Armut zu beseitigen und sich dem Klimawandel anzupassen. Die dritte Dimension betrifft die unterschiedlichen Kohlenstoff-Fussabdrücke der Menschen innerhalb eines Landes, während alle die Kosten der Klimakrise zu tragen haben. Das CO₂-Gesetz, über das die Schweiz am 13. Juni abstimmt, versucht, alle drei Dimensionen anzusprechen.
Für NGOs wie Helvetas, die an der Basis arbeiten, ist klar: Nachhaltige Entwicklung ist nur möglich, wenn Klima- und Entwicklungsziele miteinander verknüpft werden. Deshalb beziehen wir Methoden in unsere Arbeit mit ein, die dem sich verändernden Klima Rechnung tragen.
Wir helfen den Menschen in den Anden, in den südasiatischen Küstenregionen und in Afrika, dürreresistentes Saatgut und neue Anbaumethoden einzusetzen, Mangroven in Küstengebieten zu schützen, Zugang zu sauberem Trinkwasser zu finden. Zudem unterstützen wir die Menschen dabei, sichere Brücken zu bauen, damit Märkte, Schulen und Spitäler auch bei Überschwemmungen erreicht werden können.
Es ist an der Zeit, dass auch wir die Verantwortung für unser Handeln übernehmen.
Ich werde oft auf die sogenannte Überbevölkerung und den Klimawandel angesprochen. Die Lösung sowohl für die Klima- als auch für die Bevölkerungskrise ist ein grundlegendes Niveau der Entwicklung, das nachhaltig ist. Auch hier ist Bangladesh ein gutes Beispiel: Das Land hat einen Rückgang der Fruchtbarkeitsrate von 6,9 Kindern pro Frau im Jahr 1971 auf 2,03 Kinder im Jahr 2015 erlebt.
Eine Veränderung, die in einem Land mit niedrigem Einkommen beispiellos ist und durch Frauen wie Nasima Begum erreicht wurde, die die Kontrolle über ihren Körper und ihr Leben übernommen haben. Ohne sich dessen bewusst zu sein, spielt sie eine Rolle als Teil der Lösung. Es ist an der Zeit, dass auch wir die Verantwortung für unser Handeln übernehmen.
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