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Interview mit Arktisforscher zur Klimakrise
«Der Weltuntergang ist nicht nahe»

epa02953184 epa02953124 A handout picture provided by the Alfred Wegener Institute of Polar and Marine Research on 06 October 2011 shows an aerial view of the research ship 'Polarstern' (North Star) sailing on the Arctic Ocean at the North Pole, 23 August 2011. In the central Arctic the proportion of old, thick sea ice has declined significantly. Instead, the ice cover now largely consists of thin, one-year-old floes. This is one of the results that scientists of the Alfred Wegener Institute for Polar and Marine Research in the Helmholtz Association brought back from the 26th Arctic expedition of the research vessel Polarstern. EPA/MARIO HOPPMANN - ALFRED WEGENER INSTITUTE HANDOUT CORRECTING BYLINE AND ADDING DATE - MANDATORY CREDIT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES
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Als Leiter der Mosaic-Expedition, der bislang grössten Arktis-Mission, hat sich Markus Rex vor einigen Jahren mit vielen weiteren Forschern auf dem Schiff Polarstern im Polarmeer einfrieren lassen, um die Folgen des Klimawandels zu dokumentieren. Die Klimakrise und die Frage, wie man ihr begegnen sollte, beschäftigt ihn weit über sein Fachgebiet als Atmosphärenphysiker hinaus.

Herr Rex, gerade tritt die Klimakrise in der öffentlichen Aufmerksamkeit wegen anderer wichtiger Themen etwas in den Hintergrund. Ist das gut oder schlecht, so eine Debattenpause?

Markus Rex: Ich denke, es täte dem Thema gut, wenn es irgendwann konstant verhandelt würde. Denn es ist ja kein Sprint, sondern ein Marathon. Wir werden Klimaschutz über Jahrzehnte durchhalten müssen, um unsere Treibhausgas-Emissionen auf null zu bringen. Andererseits kann ich als jemand, der sich als Wissenschaftler seit 30 Jahren mit dem Thema beschäftigt, auch sagen: So viel Aufmerksamkeit wie in den vergangenen fünf Jahren war noch nie da. Wir haben da einen gewaltigen Sprung gemacht, auch wegen der Fridays-for-Future-Bewegung.

Heute ist es um Fridays for Future leiser geworden, andere Protestbewegungen wie Extinction Rebellion oder die Letzte Generation ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich.

Deren Vorgehen sehe ich sehr kritisch. Mir fehlt die Fantasie, mir vorzustellen, dass jemand, der gerade nicht zu seinem Arzttermin kam wegen einer Strassenblockade, dann nach Hause geht und denkt: Ich muss mal mehr fürs Klima tun. Die Gesellschaft erpressen zu wollen, ist undemokratisch und funktioniert auch nicht. Die Motivation kann ich gut nachvollziehen, aber so schadet der Aktivismus. Dazu gibt es einen kleinen Teil der Bevölkerung, der zu eher irrationalen Ängsten neigt. Mit Panik kann man sich um dieses langfristige Problem aber schlecht kümmern.

Gerade eskalieren weltweit die Temperaturen, die Ozeane sind viel zu warm, in der Antarktis gibt es weniger Meereis als je zuvor. Wie soll man da gelassen bleiben?

Da haben Sie einen Punkt. Für mich sind diese ganz aktuellen Entwicklungen noch nicht weit genug analysiert, um fundierten Eingang in die Debatte zu finden. Wir haben keine Ahnung, was da gerade etwa mit den atemberaubenden Temperaturen im Nordatlantik passiert oder bei der antarktischen Meereisausdehnung, die sieben Standardabweichungen unter dem jahreszeitlichen Normalbereich liegt, was praktisch aus dem Nichts gekommen ist. Man kann noch nicht sagen, ob das eher vorübergehende Anomalien sind oder der Einstieg in beschleunigte Trends. Ich tendiere zu Ersterem. Aber: Wir wissen es nicht.

Atmospheric physicist and leader of the MOSAiC expedition Markus Rex delivers a press conference presenting the initial results of the MOSAiC expedition, the largest scientific undertaking in the polar region to date, in Berlin on June 15, 2021. The researchers' observations have been backed up by US satellite images showing that in 2020, sea ice in the Arctic reached its second-lowest summer minimum on record, after 2012. The Polarstern mission, dubbed MOSAIC, spent 389 days collecting data on the atmosphere, ocean, sea ice and ecosystems to help assess the impact of climate change on the region and the world. (Photo by John MACDOUGALL / POOL / AFP)

Aber sind Ängste angesichts solcher Unsicherheiten wirklich irrational?

Die Vorstellung, dass die Menschheit aufhört zu existieren, wenn wir jetzt nicht sofort alles runterfahren, die ist irrational. Der Weltuntergang ist nicht nahe, wenn man von Atomkriegsszenarien mal absieht. Die Klimaszenarien als solche beinhalten kein Aussterben der Menschheit. Was nicht heisst, dass wir nicht sehr gut beraten wären, Klimaschutz massiv, global und viel schneller voranzutreiben als bisher, sodass wir zukünftigen Generationen weniger Probleme mit auf den Weg geben. Ein starker gesellschaftlicher Rückhalt ist in einer Demokratie für die Klimawende allerdings das A und O. Wir müssen uns nicht panisch, sondern ganz rational die Frage stellen: Wie kriegen wir Mehrheiten für ambitionierten Klimaschutz?

Und zwar wie?

Zunächst einmal: Die Idee, dass Wachstum zwangsläufig Emissionen bedeutet, ist veraltet. Der Satz: Klimaschutz ist nur möglich, wenn die Wirtschaft schrumpft, der ist einfach falsch, und es steckt eine eindimensionale Vorstellung von Wachstum dahinter. Die Daten zeigen ganz klar die Entkoppelung von Emissionen und Wachstum. Deutschland ist ein gutes Beispiel, die Emissionen sind seit 1990 um 39 Prozent zurückgegangen, das preisbereinigte Wachstum der Wirtschaftsleistung lag gleichzeitig bei 47 Prozent.

« Je mehr Wohlstand wir generieren, umso mehr können wir in Klimaschutz investieren.»

Warum ist Ihnen weiteres Wirtschaftswachstum so wichtig?

Weil unsere Gesellschaften in den kommenden Jahrzehnten enorm grosse Investitionen brauchen, um Treibhausgas-Neutralität zu erreichen. Je mehr Wohlstand wir generieren, umso mehr können wir in Klimaschutz investieren und die Kosten dieser Wende stemmen. Ausserdem kann ein Land wie Deutschland viel mehr fürs Klima erreichen, wenn es einen Weg aufzeigt, welcher auch für andere Gesellschaften attraktiv ist, als über die alleinige Reduktion der eigenen Emissionen.

Das müssen Sie genauer erklären.

Wir haben hier oft die Idee, dass wir die Welt retten, wenn wir nur unsere Emissionen möglichst schnell runterziehen. Dem ist nicht so. Deutschland macht weniger als 2 Prozent der globalen Emissionen aus. Für die sind wir verantwortlich, und die müssen wir auf null bringen, keine Frage. Aber unser Hebel für das globale Klima sind nicht unsere eigenen Emissionen. Wir brauchen einen Weg, der Treibhausgas-Neutralität mit hoher Lebensqualität verbindet und den dann viele andere Gesellschaften so attraktiv finden, dass sie sich ebenfalls auf diesen Weg machen. Wenn wir zwar unsere Emissionen reduzieren, aber sich gleichzeitig auch unser Wohlstand drastisch verringert, könnte das auf die globalen Emissionen sogar einen negativen Effekt haben. Denn für die meisten Menschen auf diesem Planeten ist eines der wichtigsten Lebensziele, dass es ihren Kindern einmal besser geht als ihnen selbst, auch ökonomisch – sehr zu Recht, wenn man sich die Lebensbedingungen in vielen Regionen der Welt anschaut.

Gingen die Verzichtsdebatten der vergangenen Jahre also in die falsche Richtung?

Natürlich nicht. Die Reduktion der eigenen Emissionen ist ein guter Weg, um sehr schnell etwas zum Klimaschutz beizutragen – jeder kann sofort loslegen. Wir sollten nur nicht der Illusion erliegen, dass es damit getan ist und dies ein wesentlicher Beitrag zur Lösung des globalen Klimaproblems sein kann. Die Verzichtsdebatte führt auch zu einer problematischen Abwälzung von Verantwortung auf den Einzelnen, der aber in Wirklichkeit gar nicht so viel erreichen kann. Wir müssen die grossen Rahmenbedingungen verändern, insbesondere auch in der Wirtschaft, wo ein Grossteil unserer Emissionen entsteht.

«Die Leute werden aufwachen und im Radio hören: Wir haben jetzt 1,5 Grad erreicht. Und dann werden sie aus dem Fenster schauen, und alles wird genau so aussehen wie zuvor.»

Könnten Unternehmen nicht einfach von sich aus aufhören, die Lebensgrundlagen zu zerstören?

Ich bin ein pragmatischer Naturwissenschaftler und glaube, dass Wasser nach unten fliesst und Kapital zur Rendite, und im Grundsatz werden wir beides nicht ändern können. Auch nicht mit moralischen Appellen an die Menschen, die über so was entscheiden. Die sind auch ihren Anteilseignern verpflichtet, die dürfen das gar nicht. Wir sollten mit den inhärenten Kräften arbeiten, die in unserem Wirtschaftssystem wirken, nicht gegen sie.

Was stellen Sie sich da vor?

Klimaschutz muss sich rechnen und lohnen. Dafür braucht es drei Dinge: Erstens einen wirksamen und langfristig festgelegten CO₂-Preis über alle Sektoren hinweg. Zweitens müssen die Einnahmen daraus pro Kopf der Bevölkerung zurückerstattet werden. Nur dadurch ist so ein System nicht unsozial, denn Menschen mit geringem Einkommen haben geringere CO₂-Emissionen und zahlen weniger in den Topf ein, als sie zurückerhalten, sie profitieren. Drittens müssen wir dieses System in einem Kreis von Ländern einführen und an den Grenzen Ausgleichsmechanismen schaffen, damit es nicht zu einer Verlagerung CO₂-intensiver Produktion ins Ausland kommt.

Warum klappt das bisher nicht?

Meine Vermutung ist, dass viele Menschen, die sich schon lange mit Nachdruck für Klimaschutz einsetzen, marktwirtschaftlichen Prinzipien gegenüber eher misstrauisch sind. Den anderen wiederum, denen diese Prinzipien nahestehen, ist vielleicht noch nicht so ganz bewusst, wie stark die Netto-Null den Weg vorgeben muss in den kommenden Jahrzehnten. Der überlappende Bereich, also die Menschen, die sich leidenschaftlich für Marktwirtschaft und für Klimaschutz einsetzen, der ist noch recht klein.

Die Klimaschutzbewegung betont sehr stark das 1,5-Grad-Celsius-Ziel, das immer unrealistischer wird. Sollte man es aufgeben?

Wir werden demnächst die 1,5 Grad überschreiten, dagegen ist kein Kraut mehr gewachsen. Die Leute werden aufwachen und im Radio hören: Wir haben jetzt 1,5 Grad erreicht. Und dann werden sie aus dem Fenster schauen, und alles wird genau so aussehen wie zuvor. Was passiert dann mit der Motivation all jener, die für das 1,5-Grad-Ziel gekämpft haben? Aber der Kampf wird auch am Tag danach genauso wichtig sein wie zuvor.

Was wäre ein besseres Ziel?

Ich glaube, die Menschen sind gar nicht so dumm, die brauchen keine künstliche Zahl. Sie müssen nur verstehen: Wir müssen so schnell wie möglich treibhausgasneutral werden. Nur netto null Emissionen stoppen die Erwärmung.