Folgen des KlimawandelsHöhenwinde werden noch schneller
Stürmische Höhenwinde bestimmen derzeit unser Wetter. Eine ungebremste Erderwärmung wird den Jetstream noch schneller machen, zeigt eine neue Studie.
Orkanböen auf dem Jungfraujoch, Sturm auf dem Säntis, regnerisches Wetter im Mittelland. Die ganze Kraft des Jetstreams, der in Richtung Alpen fliesst, bekamen wir in den letzten Tagen zu spüren. Ein ungewöhnlich starker Jetstream strömt derzeit an Island vorbei über die Nordsee in den Alpenraum und steuert das Sturmtief Zoltan. Auch in Deutschland herrscht Sturmwarnung.
Diese Höhenwinde spielen eine grosse Rolle im chaotischen Wettersystem der Erde. Sie fliessen mit hoher Geschwindigkeit von West nach Ost in einer Höhe von acht bis zwölf Kilometern um den Globus und geben ihre Energie bis in die untersten Luftschichten der Atmosphäre weiter: Sie steuern so das Wettergeschehen mit ihren Hochs und Tiefs auf der Erdoberfläche.
Während wir die derzeit regnerischen Adventstage verfluchen, profitiert der Flugverkehr – zumindest, was die Fernflüge etwa von Nordamerika nach Europa anbelangt. So zeigt zum Beispiel ein Blick auf die Flugzeiten der Lufthansa bei der Destination New York nach Frankfurt: Die durchschnittliche Flugdauer von sieben Stunden wird deutlich unterboten.
Am 21. Dezember dauerte der kürzeste Flug nur 6 Stunden und 19 Minuten, ein Tag zuvor waren es 6 Stunden und 17 Minuten. An diesen Tagen wies der Jetstream gebietsweise eine Geschwindigkeit von bis zu 300 Kilometern pro Stunde auf. Der Höhenwind erreicht im Winter die höchsten Geschwindigkeiten. Die Piloten profitierten vom enormen Rückenwind auf einer Flughöhe von mehr als 10’000 Metern. Durchschnittlich sparen sie dabei fünf bis sechs Tonnen Kerosin pro eingesparte Reisestunde. Das Ganze sieht jedoch anders aus, wenn sie von Europa nach Übersee fliegen – also gegen den Wind.
Die Fliegerei hat auch das Forschungsteam um Tiffany Shaw von der Universität Chicago inspiriert. Die Berichte über die Geschwindigkeitsrekorde bei Transatlantikflügen im Jahr 2019 hätten sie angeregt, schreibt die Atmosphärenforscherin in einem Beitrag beim Thinktank «Carbon Brief» zu ihren im Fachmagazin «Nature Climate Change» veröffentlichten Resultaten. Sie untersuchte, wie sich der Klimawandel auf die schnellsten Jetstreams auswirken, die in einer Höhe von zehn bis zwölf Kilometer rund um den Globus strömen. Die Fachleute sprechen von Jetstreaks.
Immer schneller
Ihre Analyse zeigt: Mit jedem Grad weiterer Erderwärmung nimmt die Geschwindigkeit um zwei Prozent zu. Das bedeutet, dass die Höhenwinde der obersten Geschwindigkeitsklasse etwa 2,5-mal schneller wären als die Jetstreams im Durchschnitt.
Die Klimaforschenden verwendeten für ihre Untersuchung die derzeit besten Klimamodelle. Sie verglichen die Modellprojektionen für die täglichen Messdaten am Ende des 20. Jahrhunderts (1980 bis 2000) mit den Modelldaten für die Jahre 2080 bis 2100. Noch lässt sich kein Muster erkennen, das bereits heute auf eine Geschwindigkeitszunahme hinweist, wie Tiffany Shaw erklärt. Dafür sind die natürlichen Schwankungen noch zu gross.
Sie erwartet aber trotz den Unsicherheiten bis Mitte des Jahrhunderts ein deutliches Signal, dass die schnellsten Jetstreams an Geschwindigkeit zugelegt haben. Vorausgesetzt: Der Mensch schafft es nicht, bis 2050 die Erderwärmung zu bremsen.
Natur gleicht aus
Dass sich die Höhenwinde mit dem Klimawandel beschleunigen, ist bereits in einer früheren Untersuchung vermutet worden – allerdings ohne zu wissen, wie stark sie ist. Neu an den Resultaten von Tiffany Shaw ist zudem, dass sie eine physikalische Erklärung für dieses Phänomen liefert.
Die Höhenwinde entstehen, weil es einen Dichteunterschied gibt zwischen der warmen und leichten Luft am Äquator und der kalten und schweren Luft an den Polen. Die Natur gleicht diesen Unterschied durch die Verschiebung von Luftmassen aus. Diese Dichtedifferenz nimmt nach der These von Tiffany Shaw mit dem Klimawandel weiter zu.
Der Grund: Die tropische Luft enthält im heutigen Klima beträchtlich mehr Feuchtigkeit als die polaren Luftmassen. Die Luft über der Arktis erwärmt sich zwar derzeit fünfmal schneller als der globale Durchschnitt und nimmt damit mehr Feuchtigkeit auf. Doch die heisse Tropenluft wird mit der Erderwärmung so viel mehr Feuchtigkeit aufnehmen, dass der Dichteunterschied zwischen den Luftmassen weiter anwächst – und damit auch die Ausgleichsbewegung, sprich die Geschwindigkeit des Jetstreams.
Dass das Folgen für das weltweite Wettersystem hätte, ist plausibel. Die Frage bleibt jedoch, in welchem Ausmass: Werden dadurch Tornados und Orkane noch stärker und häufiger? Gibt es mehr extreme Niederschläge? Das nächste Projekt, das die US-Atmosphärenforscherin Tiffany Shaw angehen will, ist deshalb, die Veränderungen des Jetstreams auf Unwetter besser zu verstehen.
Interesse an dieser Arbeit werden auch die Fluggesellschaften haben, die täglich die Flugstrassen ihrer Fernflüge nach der Route des Jetstreams ausrichten. Und für die Reisenden: Sollten die schnellsten Jetstreams tatsächlich noch zulegen, dann nehmen in grosser Höhe auch die Turbulenzen zu.
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