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Meinung

Pro und Kontra
Wars das schon mit der künstlichen Intelligenz?

Vereintes Genie in einer Maschine? Die Digitalredaktoren streiten über das Potenzial der künstlichen Intelligenz.
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BotTalk

Ja, die KI ist schon an ihre Grenzen gestossen.

Matthias Schüssler

Mitte Dezember haben sich die Klagen über Chat-GPT gehäuft. Der Chatbot verhalte sich seltsam. Er sei «faul» und verweigere sich selbst einfachen Aufgaben. Oder er gebe sogar freche Antworten: Nutzerinnen und Nutzer sollten ihre Dinge doch gefälligst selbst recherchieren. Das Schweizer «IT-Magazine» hat diese Attitüde mit den schönen Worten umschrieben, Chat-GPT komme ins «Trötzlialter». Wir sollten uns wohl jetzt schon auf die Pubertät gefasst machen.

Nein, natürlich nicht. Chat-GPT ist kein Mensch, sondern eine Maschine. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die künstliche Intelligenz den gleichen Gesetzmässigkeiten unterworfen ist wie wir biologischen Lebensformen: Wir beide haben kein unendliches Entwicklungspotenzial. Früher oder später stossen wir an unsere endgültigen Grenzen.

Es lässt sich einwenden, dass sich die KI endlos weiter aufrüsten lässt: Mehr Speicher und Prozessoren und noch mehr Trainingsdaten sollten den Fortschritt doch beliebig weiter antreiben – ebenso die Programmierung, die immer ausgeklügelter wird. Ich habe keinen Zweifel daran, dass in ein paar Jahren verblüffende Anwendungen möglich sein werden: Ich denke an komplexe und lange Videosequenzen, die der Computer bloss anhand einer simplen Textbeschreibung erzeugt.

Das ist, um beim Vergleich zu bleiben, das Gleiche, wie wenn wir eine berufliche Fortbildung absolvieren oder am Wochenende das Töpfern für uns entdecken. Wir legen uns eine neue Fertigkeit zu, aber unser Potenzial bleibt das gleiche: Physiknobelpreisträger werden wir deswegen nicht.

WASHINGTON, DC - MAY 16: Samuel Altman, CEO of OpenAI, testifies before the Senate Judiciary Subcommittee on Privacy, Technology, and the Law May 16, 2023 in Washington, DC. The committee held an oversight hearing to examine A.I., focusing on rules for artificial intelligence. (Photo by Win McNamee/Getty Images)

2023 habe ich diverse KI-Anwendungen für alle möglichen Experimente eingesetzt. Sie haben mich oft in Staunen versetzt und manchmal sogar eingeschüchtert. Doch mir ist auch klar geworden, dass es auch bei der KI eine harte Grenze gibt, über die sie sich nicht hinausbewegen wird. Im November hatte ich einen akuten Anfall einer Schreibblockade und wollte mir von der KI darüber hinweghelfen lassen. Konkret sollte sie mir eine Idee für einen Text liefern, den ich dann ohne grössere Anstrengung hätte aus dem Ärmel schütteln wollen.

Ich habe Bing, Chat-GPT und Google Bard gefragt. Ich habe im Detail beschrieben, mit welchen Themen ich mich normalerweise beschäftige. Doch die Vorschläge waren durchs Band weg unbrauchbar. Am originellsten war noch Googles KI, die mir nahelegte, doch schnell etwas bei einem Tech-Blog abzuschreiben.

Unfähig, etwas Neues zu erschaffen

Die KI sind hervorragend darin, aus einem riesigen Wust an Informationen die herauszufiltern, die zu einer bestimmten Fragestellung passen. Aber sie sind unfähig darin, sich selbst eine gute Fragestellung auszudenken oder etwas Neues zu erschaffen. Darum hängt der Fortschritt auch heute schon davon ab, dass wir Menschen genügend Rohmaterial bereitstellen, von dem die KI lernen und profitieren können. Der limitierende Faktor für das KI-Wachstum ist die menschliche Kreativität – und das wird so bleiben.

Es wurde dieses Jahr ab und zu vom Erscheinen einer Superintelligenz gemunkelt: Das wäre eine Maschine, die uns Menschen in allen Belangen überlegen wäre. Open-AI-Chef Sam Altman hat derlei Spekulationen befördert, weil er im Mai darüber geschrieben hatte, wie eine solche Superintelligenz zu beaufsichtigen wäre. Bedeutet das, dass Open AI die nächste Eskalationsstufe der künstlichen Intelligenz im Geheimen auf einem einsamen Server irgendwo im Keller betreibt?

Ausgeschlossen ist das nicht, aber ich wette dagegen. Es gibt nach dem heutigen Stand des Wissens keine Anzeichen dafür, dass sich die menschliche Kreativität, unser Erfindergeist, die Fähigkeit zu Geistesblitzen oder echte Empathie digital kopieren liesse. Und ich glaube auch nicht, dass sich der Kern unseres Humanismus mit statistischen Methoden – und nichts anderes ist es, was die KI ausmacht – imitieren lässt.

Darum bleibt unsere Aufgabe, die KI durch ihre Trötzliphasen und Pubertätskrisen zu begleiten, sie sinnvoll einzusetzen und ja nicht zu überschätzen.

Nein, wir haben noch gar nichts gesehen.

Rafael Zeier

Ein Ruck geht durch die Gesellschaft. Es herrscht Aufbruchstimmung. Jetzt wird alles anders. Das ist die Zukunft. So dachten wir um die Jahrtausendwende, als erste Smartphones, Tablet-Computer, WAP und ganz allgemein das Internet aufkamen.

Doch stattdessen passierte jahrelang wenig. Die einzelnen Technologien und Erfindungen blieben Nischenphänomene, und alles war viel zu kompliziert, teuer und alltagsfern: Etwa die ersten Smartphones waren Geräte mit winzigen Bildschirmen, vielen Knöpfen und unendlich komplexen Betriebssystemen.

Die von Bill Gates gefeierten Tablet-Computer mit Windows XP und Touchscreens wurden auch kein Erfolg. Ja, selbst das erste iPhone Jahre später war noch kein Hit, da mobiles Internet kaum bezahlbar war und ganz viele Webdienste und Möglichkeiten schlicht noch nicht erfunden waren. Erst als alle Puzzleteile vorhanden waren, hat sich unser Leben tatsächlich grundlegend verändert. Über ein Jahrzehnt später, als viele Technologie-Fans gedacht und gehofft haben.

JC01 - 20021107 - NEW YORK, NY, UNITED STATES : Bill Gates, chairman and chief software architect of Microsoft, displays a Tablet PC at the product launch event in New York City, Thursday 07 November 2002. Tablet PCs combine the full power of the Windows XP Tablet PC Edition operating system with the capability to use a digital pen in addition to a keyboard or mouse. The result is a computer that can be used more often, and in more places, than traditional notebook PCs. EPA PHOTO MICROSOFT/ JEFF CHRISTENSEN /jc/eh

Bei der künstlichen Intelligenz sind wir wieder so weit wie damals um die Jahrtausendwende. Erste Ideen, Produkte und Dienste sind in den letzten Monaten und Jahren aufgetaucht. Sie funktionieren nun tatsächlich annähernd so, wie man sich das früher schon vorgestellt hat. Immer öfter ist unklar, ob ein Werk nun von einem Menschen oder einem Computer stammt.

Gerade Dienste wie Chat-GPT versetzen Menschen in Staunen und Medienverlage und Buchautoren in Panik. Bilder malende Tools wie Dall-E machen das gleiche mit der Kunstbranche. Für jeden kreativen Beruf scheint es inzwischen mindestens eine Handvoll KI zu geben. Egal ob Texte, Bilder, Songs oder Videos: Es gibt fast nichts, was eine künstliche Intelligenz nicht auch kann.

Der Paradigmenwechsel ist noch nicht da

Das muss doch wahrlich der grosse Moment sein. Der Paradigmenwechsel. Nein! Wenn man selber mit drinsteckt, läuft man immer Gefahr, Entwicklungen zu überschätzen.

Etwas nüchterner betrachtet, sind all die neuen Tools unbestritten spannend. Aber sie kommen mit ganz vielen Kompromissen. Dass sie flunkern, Fehler machen und schamlos kopieren, ist nur ein Problem.

Nein, das, was wir derzeit sehen, ist erst das Vorgeplänkel auf ein neues Zeitalter der Menschheit. Noch sind die Tools allesamt nicht gut genug und viel zu einseitig. In zehn Jahren werden wir zurückschauen und ähnlich schmunzeln, wie wir das heute tun, wenn wir das Bild von Bill Gates mit dem Tablet-PC sehen.

Die Ideen waren richtig, aber weder die Zeit noch die Technologie waren schon so weit. Genauso ist es aktuell auch mit künstlicher Intelligenz. Chat-GPT ist allerhöchstens das Blackberry der künstlichen Intelligenz. Vielleicht auch nur der Nokia Communicator oder der Sidekick. Allesamt Geräte mit vielen Fans, die dann aber längerfristig aus vielerlei Gründen doch nicht gut genug waren.

Es fehlt die passende Hardware

Das soll nicht heissen, dass Open AI, die Firma hinter Chat-GPT, verschwinden wird. Es gibt immer wieder Pioniere einer Branche, die überleben. Aber viel häufiger bleiben gerade die Firmen und Erfinder auf der Strecke, die einer Technologie zum Durchbruch verholfen haben. Die Liste solcher unbesungenen Heldinnen und Helden ist bei jedem Technologiesprung lang.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass wir noch ganz am Anfang des KI-Zeitalters stehen (so es überhaupt schon begonnen hat), sieht man auch daran, dass es für die neue Technologie noch keine eigene Hardware gibt. Man nutzt sie auf Smartphones, Laptops und, wenns hochkommt, auf Lautsprechern mit Mikrofonen.

Die KI-Brosche von Humane oder die KI-Sonnenbrille von Meta sind erste Vorboten auf das, was noch kommen wird und aktuell noch fehlt. Neue Technologien haben anfangs immer die Form von alten Technologien. Erste Autos sahen auch aus wie Pferdekutschen. Computer wie Schreibmaschinen. Mobiltelefone wie Telefone.

Auch künstliche Intelligenz braucht ein Hardware-Zuhause, wenn sie in unserem Alltag ankommen soll. Solange so was fehlt, sind wir auch nicht weiter als damals um die Jahrtausendwende. Diese flunkernden, pfuschenden und kopierenden Bots sind nicht das Endergebnis. Sie sind nur ein nötiges Übel auf dem Weg zu einem wirklich grossen Sprung.