Zürcher VerkehrsversuchKantonspolizei stoppt temporären Spurabbau auf der Bellerivestrasse
Das Verkehrsexperiment am Tor zur Zürcher Goldküste habe Auswirkungen auf den Verkehr auch ausserhalb der Stadt, sagt die Kantonspolizei. Sie verweigert die Bewilligung.
Zuerst biss sich der damalige Zürcher AL-Stadtrat Richard Wolff die Zähne aus, nun droht auch die grüne Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart zu scheitern: Seit Donnerstag ist klar, dass der umstrittene Versuch eines Spurabbaus auf der Bellerivestrasse vorerst nicht stattfinden kann. Die Stadt Zürich wollte herausfinden, wie sich der Verkehrsfluss verändert, wenn sie die wichtigste rechtsufrige Einfallsachse temporär von vier auf zwei Fahrspuren reduziert.
Nun verweigert jedoch die Kantonspolizei Zürich diesem versuchsweisen Spurabbau die Bewilligung. Sie kritisiert, dass die Stadt den Versuch ohne Einbezug des Kantons und ohne die Möglichkeit für Einsprachen habe durchführen wollen. Dieses Vorgehen verstosse gegen Bundesrecht und kantonales Recht.
Für den Versuch wären Ummarkierungen und erhebliche bauliche Anpassungen nötig gewesen, unter anderem die Aufhebung und Änderung von Mittelinseln, Trottoirabsenkungen und die Errichtung einer Rampe. Solche Massnahmen könnten nicht bewilligt werden, ohne dass den betroffenen Personen rechtliches Gehör gewährt werde, schreibt die Kapo.
Die Bellerivestrasse sei eine wichtige Durchgangsstrasse von überkommunaler Bedeutung und eine Hauptverkehrsachse, heisst es in der Begründung weiter. Ein geplanter Spurabbau hätte weitreichende Folgen, weit über die Stadt Zürich hinaus. Der Versuch sei deshalb aus rechtlicher und fachlicher Sicht nicht bewilligungsfähig.
«Einmalige Gelegenheit vertan»
Der Zürcher Stadtrat ist von der kurzfristigen Absage, nur zweieinhalb Monate vor dem angepeilten Testbeginn, überrumpelt worden. «Ich bedaure diesen Entscheid. Mit dem Verbot wird eine einmalige Gelegenheit vertan», lässt sich Stadträtin Rykart in einer Medienmitteilung des Sicherheitsdepartements zitieren. Simulationen hätten gezeigt, dass eine solche Reduktion der Fahrspuren keine Nachteile auf die angrenzenden Quartiere und Gemeinden habe.
Der Test hätte von Mitte August 2023 bis Ende April 2024 dauern sollen. Konkret wären die beiden Fahrspuren in jede Richtung zwischen dem Opernhaus und der Badi Tiefenbrunnen halbiert worden. In beide Richtungen sollte neu ein Velostreifen führen, die Tempolimite bliebe mit 50 Kilometern pro Stunde unverändert. Hintergrund des Experiments ist die längst überfällige Sanierung der Strasse.
«Aus fachlicher Sicht ist der Entscheid für uns schwer nachvollziehbar», sagt deshalb der Sprecher des Sicherheitsdepartements, Mathias Ninck. «Wie kann man nicht wissen wollen, was künftig auf dieser Strasse noch möglich ist? Es ist klar, dass die marode Strasse saniert werden muss. Wir müssen vor der Planung herausfinden, wie die Strasse einmal aussehen soll.» Die heutigen vier Spuren entsprächen nicht mehr den geltenden Normen, sie seien zu schmal. Und für vier normgerechte Spuren fehle der Platz.
Für Verwunderung sorgt offenbar auch der Zeitpunkt der Absage. Rykarts Pläne waren der Kantonspolizei seit August 2022 bekannt. Die Kapo sei «in einem transparenten Planungsverfahren immer einbezogen und über den Versuch mehrmals detailliert informiert» worden, heisst es in der städtischen Mitteilung.
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Florian Frei von der Kantonspolizei entgegnet, man habe das Vorhaben fortlaufend geprüft und den definitiven Entscheid gefällt, als alle nötigen Unterlagen vorhanden gewesen seien. In der polizeilichen Verfügung werden auch verspätet eingereichte Dokumente geltend gemacht: Die Kapo habe die zuständige Dienstabteilung Verkehr (DAV) der Stadt Zürich im Januar 2023 um weitere Informationen ersucht, etwa zu den Kriterien, wann der Versuch abgebrochen werde. Das sei aber unbeantwortet geblieben. Erst nach erneutem Nachfragen im April seien die Fragen «teilweise» beantwortet worden.
SVP und Gewerbe freuen sich
Der Entscheid der Kapo fällt nach grossem Widerstand aus bürgerlichen Kreisen und den Seegemeinden. Sie befürchten Stau und ein Verkehrschaos, wenn die viel befahrene Verkehrsachse geschrumpft wird. Ein Komitee überreichte dem Regierungsrat im Frühjahr eine Petition mit knapp 11’000 Unterschriften an den Zürcher Regierungsrat. Gefordert wurde, dass der Versuch des Zürcher Stadtrats unterbunden wird.
Vollumfänglich bestätigt durch den Entscheid fühlt sich Domenik Ledergerber, Präsident der SVP des Kantons Zürich und Co-Präsident des Komitees, das hinter der Petition steht. Er sagt: «Wir sind natürlich sehr erfreut, insbesondere auch, was die Begründung angeht.» Die Petitionäre hatten moniert, der versuchsweise Spurabbau verstosse gegen übergeordnetes Recht und betreffe neben der Stadt auch weite Teile des Bezirks Meilen.
Ganz ähnlich äussert sich auch Marianne Zambotti, Präsidentin des Gewerbeverbands Bezirk Meilen. «Es ist ein guter Entscheid. Schon die kleine Baustelle kurz nach dem Bellevue stadtauswärts hat gezeigt, wie schnell und weit zurück der Verkehr sich staut, nämlich bis in die Enge.» Was ein Spurabbau in die andere Richtung bewirken würde, wolle sie sich gar nicht ausmalen.
Bäume statt Fahrspuren opfern?
Beiden ist klar, dass an der Bellerivestrasse etwas geschehen muss. Auf die Frage, welche Lösung sie sich vorstellen könne, sagt Ledergerber, es sei wichtig, noch einmal eine Auslegeordnung zu machen: «Braucht es das Trottoir stadteinwärts? Wäre ein separater Veloweg möglich? Könnten die Bäume geopfert und an einem anderen Ort ersetzt werden?» Es sei wichtig, in alle Richtungen nach einer baulichen Lösung zu suchen. «Aber ein Spurabbau ist nicht zielführend.»
Erleichtert zeigt sich auch der Zürcher Hauseigentümerverband. Er kritisiert den Stadtrat in einer Mitteilung scharf: «Dass es einer Intervention der zuständigen kantonalen Behörde bedarf, um den Zürcher Stadtrat in seiner realitätsfernen, ja dogmatischen Verkehrspolitik zur Räson zu bringen, stellt der städtischen Exekutive indes kein gutes Zeugnis aus.»
Kein Verständnis hat der Zürcher Verkehrs-Clubs (VCS): Es habe «etwas von Realitätsverweigerung, wenn die Kantonspolizei einen streng kontrollierten Versuch für die zweispurige Verkehrsführung an der Bellerivestrasse verbietet», schreibt er auf Twitter. Denn bei der bald anstehenden Sanierung würden während Jahren ohnehin nur zwei Spuren zur Verfügung stehen.
Ganz vom Tisch ist der Spurabbau-Test noch nicht. Wie das Sicherheitsdepartement mitteilt, wird die Stadt Zürich voraussichtlich Rekurs einlegen, um den Versuch zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen. Zuständige Instanz ist die Rekursabteilung der kantonalen Sicherheitsdirektion unter der Leitung von Mario Fehr. Er war am Donnerstagnachmittag für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
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