Kritik an Tilsiter-WerbungKann Käse klimaneutral sein?
Tilsiter wirbt für «CO₂-neutral produzierte» Produkte. Fachleute sprechen von Greenwashing, denn: Die Treibhausgas-Emissionen in der Milchherstellung ignoriere der Hersteller einfach.
«Tilsiter wird klimaneutral», hiess es im Mai in einer Medienmitteilung. Bei dem vielen Methangas, das von den Kühen bei der Milchproduktion freigesetzt wird, stellt sich die Frage: Kann Käse überhaupt klimaneutral sein?
Die Sortenorganisation Tilsiter bejaht die Frage. Gleichzeitig startete sie in der Schweiz eine Werbeoffensive mit Plakaten, Online-Werbebannern und Social-Media-Anzeigen mit dem Spruch: «Geniessen mit gutem Gewissen». Als Sujet: Ein goldgelber Käselaib, der wie ein Heiligenschein über den Tilsiter-Fans schwebt. Darunter das grüne Signet «klimaneutral».
Statt Lust auf eine Scheibe Tilsiter, der bei vielen Schweizerinnen und Schweizern Kindheitserinnerungen weckt, löste diese Werbung jedoch viel Stirnrunzeln aus. Käse gilt nämlich als besonders klimaschädlich, weil Milchkühe vergleichsweise viele Treibhausgase produzieren. In der Kampagne nutzt Tilsiter jedoch einen Kniff: Die Verantwortlichen schreiben «CO₂-neutral produziert» und meinen mit «produziert» den Produktionsprozess in der Käserei, und nicht, wie der Rohstoff Milch überhaupt erst entsteht. Heisst: Die Emissionen der Milchherstellung wurden nicht berücksichtigt.
Nicht alle Käsereien sind zertifiziert
Fachleute sind irritiert. «Dieser Claim ist irreführend. Er verspricht den Leuten ein gutes Gewissen beim Käseessen, und dies, ohne dass sich etwas Grundlegendes ändert in der Milchwirtschaft», sagt Lene Petersen. Sie leitet beim WWF den Bereich Climate & Business. Um die Emissionen wirklich runterzubringen, brauche es tiefgreifende Veränderungen. «So sollte etwa weniger Käse produziert werden, und es sollten Alternativen wie veganer Käse vermehrt angeboten werden.»
Auch Matthias Stucki, Experte für Ökobilanzierung an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil, hinterfragt die Käse-Werbung: Ausgerechnet die Treibhausgasemissionen der Milchproduktion habe Tilsiter einfach ignoriert. «Das wäre dann doch Greenwashing, oder nicht?», schreibt er in einem Post auf dem Karrierenetzwerk Linkedin.
Der Wissenschaftler sagt im Gespräch mit dieser Redaktion, die Klimabilanz von Käse werde zu mehr als 90 Prozent durch die Produktion der für Käse nötigen Milch bestimmt. Seine Aussagen decken sich mit einer Studie von Agroscope. Laut dieser stammen bei der Käse-Klimabilanz 95 Prozent der Umweltemissionen aus der Milchproduktion. Die nachgelagerten Prozesse inklusive der Käserei steuern nur 5 Prozent bei.
Tilsiter wendet in der Kampagne aber noch einen zweiten Kniff an: Nicht alle 21 Käsereien der Sortenorganisation haben das Label «CO₂-neutral», sondern nur eine einzige: die Käserei Holzhof im thurgauischen Amlikon-Bisegg.
«Solche Halbwahrheiten können die Konsumenten täuschen – das ist nicht in unserem Sinne.»
Dieser Betrieb – er ist die älteste Tilsiter-Käserei der Schweiz und gilt als Öko-Vorzeigeprojekt – wurde im Jahr 2020 von der Berner Firma Swiss Climate mit dem unabhängig geprüften Label «CO₂-neutral» ausgezeichnet. Dies, weil er bestrebt ist, seine betrieblichen Emissionen auf ein Minimum zu reduzieren. Der Betrieb ist energieautark, und er verfügt über eine eigene Biogasanlage. Dieses Öko-Zertifikat wird derart verwendet, dass man es beim schnellen Betrachten auf Tilsiter generell bezieht.
Die Werbekampagne missfällt auch Swiss Climate, die Umweltzertifizierungen durchführt. Wie die Käserei Holzhof hat sie auch etwa die Basler Kantonalbank, Ifolor, Lidl Schweiz, Valser Mineralquellen oder die Milchproduzentenorganisation Aaremilch als «CO₂-neutrale Betriebe» zertifiziert.
«Aus unserer Sicht hätte auf den Werbesujets zumindest mit einem Stern gekennzeichnet sein müssen, dass die Emissionen der Milchherstellung nicht berücksichtigt wurden», sagt Salomé Gähwiler, Leiterin des Geschäftsbereichs CO2-Management bei Swiss Climate. «Solche Halbwahrheiten können die Konsumentinnen und Konsumenten täuschen – das ist nicht in unserem Sinne», sagt sie.
Tilsiter verweist auf Zusatzinfos im Internet
Für Sibylle Marti, Präsidentin der Sortenorganisation Tilsiter, sind die Sujets transparent genug: «Man erfährt auf unserer Website, dass die Formulierung ‹klimaneutral produziert› die Käserei betrifft und die Milchproduktion dabei nicht eingeschlossen werden kann.» Die Konsumentinnen und Konsumenten, die sich damit befassten, könnten dies auf der Website nachlesen und auch verstehen, sagt die einstige Fernsehjournalistin Marti.
Die Käserei Holzhof könne für die anderen 20 Tilsiter-Käsereien ein Vorbild sein. Ihre Sortenorganisation sei stolz auf den Holzhof, deshalb stelle sie ihn in der Marketingkampagne ins Zentrum. «Damit wollen wir den Anfang machen und auch andere Käsereien dazu animieren, ihre Kreisläufe zu optimieren.»
«Tilsiter muss den Beweis erbringen können, dass stimmt, was als Tatsache auf den Werbesujets zu sehen und zu lesen ist.»
Doch was gilt nun: Ist es irreführend, wenn wichtige Informationen nicht auf dem Sujet, sondern nur auf der Website – sozusagen im Kleingedruckten – zu finden sind? Hierbei ist das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb massgebend.
«Tilsiter muss den Beweis erbringen können, dass stimmt, was als Tatsache auf den Werbesujets zu sehen und zu lesen ist», sagt Marc Schwenninger. Er ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Stiftung für die Lauterkeit in der kommerziellen Kommunikation.
Die Experten der Lauterkeitskommission, die sich regelmässig mit beanstandeter Werbung befassen, würden sich bei ihrer Beurteilung jeweils fragen, wie durchschnittliche Adressaten die Informationen auf einem Plakat oder Onlinebanner verstehen.
Im Fall Tilsiter heisst das: Für Herr und Frau Schweizer müsste es beim Anblick des Werbesujets klar sein, dass nicht der Tilsiter-Käse klimaneutral ist, sondern einzig die Käserei.
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