Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Neue Politelite in Chile
Junge linke Frauen lösen alte konservative Männer ab

Mit 30 halb so alt wie ihre Vorgänger: Irací Hassler, die neue Bürgermeisterin der Kommune Santiago. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

In dem Video, das sie am Morgen nach ihrem Sieg ins Netz stellte, klingt Irací Hassler noch etwas heiser. Vielleicht ist das die Folge eines langen Wahlkampfs, vielleicht aber auch die einer überschwänglichen Freudenfeier in der Nacht zuvor. Grund genug hätte Hassler: «Es gibt keinen Zweifel mehr: Wir haben gewonnen!»

Irací Hassler wird neue Bürgermeisterin der Kommune Santiago. Von einem «politischen Erdbeben» ist die Rede, denn offiziell ist Santiago zwar nur ein Teil der gleichnamigen chilenischen Hauptstadt, dort leben kaum mehr als 400’000 Menschen. Gleichzeitig stehen hier der Regierungssitz, die Börse, wichtige Universitäten, Bibliotheken und Museen. Santiago ist das politische und kulturelle Zentrum des Landes, und es wurde fast immer regiert von konservativen Männern im gesetzten Alter.

Doch damit ist nun Schluss. Irací Hassler ist gerade mal 30 Jahre alt und dazu auch noch Kommunistin. Der Wahlerfolg hat sie nicht nur zur Bürgermeisterin gemacht, sondern auch zum Symbol für einen Politik- und Generationenwechsel, der nicht nur Santiago, sondern das ganze Land verändern könnte.

Zu viele Frauen für die Geschlechterparität

Rund 14 Millionen Chilenen waren am Wochenende dazu aufgerufen, über die 155 Mitglieder jener Versammlung abzustimmen, die eine neue Verfassung für das Land ausarbeiten soll. Allein hier fand schon Aussergewöhnliches statt: Es gewannen viele unabhängige Kandidaten, während vor allem die der konservativen Parteien fast durchweg schlecht abschnitten. Am Ende waren sogar so viele Frauen in den Konvent gewählt worden, dass einige nun Platz machen müssen für Männer, um die festgelegte Geschlechterparität zu erreichen.

Zeigt sich schockiert: Präsident Sebastian Piñera mit seiner konservativen Gefolgschaft. 

Gleichzeitig wählten die Chilenen auch neue Präfekturen, Regionalparlamente und Gouverneure. In gleich mehreren Städten und Gemeinden gewannen hier linke Parteien mit jungen, oft weiblichen Kandidaturen. Für die Regierung des konservativen Präsidenten und milliardenschweren Unternehmers Sebastian Piñera ist all das ein Schock. Die chilenische Börse sackte ab, zu gross die Angst vor einem Ende der wirtschaftsfreundlichen Politik, zu gross aber auch die Verwunderung über das Wahlergebnis.

Dabei zeigt das Beispiel von Irací Hassler, dass ihr Sieg zwar aussergewöhnlich ist, aber alles andere als überraschend. Mit 30 Jahren ist Hassler zwar halb so alt wie die Mehrheit ihrer Vorgänger, neu in der Politik ist sie aber nicht. Hasslers Mutter stammt aus Brasilien. Sie hat der Tochter nicht nur einen Vornamen der Tupí-Guaraní gegeben, sondern auch eine politisch linke Grundbildung. Ihr Vater, sagt Hassler, sei dagegen eher konservativ. Weil er Schweizer Wurzeln hat, besuchte sie eine Schweizer Schule in Santiago.

Zehntausende gingen 2011 für freie Bildung, aber auch eine gerechtere Gesellschaft auf die Strasse.

Nach dem Abschluss begann Hassler ein Wirtschaftsstudium, gleichzeitig schloss sie sich der Kommunistischen Jugend an. Es war die Zeit der grossen Schüler- und Studentenunruhen. Zehntausende gingen 2011 für freie Bildung, aber auch eine gerechtere Gesellschaft auf die Strasse. Zwar hat Chile seit der Rückkehr zur Demokratie Ende der 80er-Jahre ein erstaunliches Wirtschaftswachstum verzeichnet, gleichzeitig ist der Wohlstand aber beim breiten Teil der Bevölkerung nie richtig angekommen, viele Bereiche des öffentlichen Lebens sind privatisiert, die Renten prekär, junge Menschen bekommen kaum feste Jobs.

2019 bekam die Protestbewegung in Chile dann erneuten Schwung. Wegen Preiserhöhungen in der U-Bahn von Santiago kam es bald im ganzen Land zu riesigen Demonstrationen, über Monate hinweg und trotz teils brutaler Polizeigewalt. Erst das Coronavirus brachte die Protestwelle zum Erliegen. Bis jetzt. Mit der Wahl vom Wochenende wurde nun eine der Hauptforderungen der Demonstranten umgesetzt: eine Versammlung, die an einer neuen Verfassung arbeitet, um die alte abzulösen, die noch aus der Diktatur stammt.