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Meinung

Kachelmanns Wetter
«Gefühlte Tem­pe­ra­tur­en» – eine wilde Formel ohne Wissen­schaft­lich­keit

A man shelters under an umbrella while walking along a road as the snow covers the landscape in Zurich, Switzerland on Thursday April 18, 2024. (KEYSTONE/Michael Buholzer)
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Fühlen Sie auch eine Temperatur? Das Fühlen ist in der letzten Zeit immer wichtiger geworden als das Messen und Wissen. Und das Fühlen bringt auch die schöneren und grösseren Zahlen, deswegen lesen wir immer häufiger von der «gefühlten Temperatur». Das ist eine wilde Formel ohne besonderen wissenschaftlichen Hintergrund (ob die Sonne scheint oder nicht, ob der Wind weht oder nicht und ob Sie drei Pullover oder keine Unterhosen tragen, geht nicht in die Formel ein) und deshalb ohne praktischen Nutzen. Ausser, dass es schon korrekt ist, dass es unangenehmer ist, wenn es zusätzlich zur Hitze auch noch schwül (formerly known as «tüppig») ist.

Sie ahnen schon aus Ihrem persönlichen Leben, dass die Temperaturwahrnehmung eine sehr individuelle Sache ist. Man hört manchmal, dass es geschlechterspezifische Unterschiede geben könnte, was als kalt oder warm empfunden wird.

Die Macht über den Thermostaten ist ähnlich bedeutsam für die Familienhierarchie wie diejenige über die Fernbedienung. Deswegen sind die angegebenen Zahlen der «gefühlten Temperatur» natürlich völlig sinnlos, zumal auch bei 35 Grad niemand schwitzen wird, wenn gleichzeitig Windstärke 7 herrscht – was aber nicht in die Formel eingeht.

Der Taupunkt machts aus

Die «gefühlte Temperatur» gibt es in den USA seit 1979, dort ist sie lange geblieben, bis Medien in Europa entdeckten, dass sich Geschichten mit 60 Grad einfach spannender lesen als solche mit 35 Grad.

Dass ausgerechnet dieser in dessen Heimat sogenannte Heat Index Karriere macht, ist sehr schade, da zwei andere Feuchtigkeitsmasse viel wichtiger sind: zum einen der Taupunkt; das ist die Temperatur, auf die man eine Luftmasse abkühlen muss, um 100 Prozent relative Luftfeuchtigkeit zu erreichen. Da kalte Luft weniger Feuchtigkeit aufnehmen kann als warme, muss die Luft bei weiterem Abkühlen den überschüssigen Wasserdampf durch Kondensation loswerden, es bildet sich Tau (bei Frost: Reif) – deswegen der Taupunkt.

Auch beim Trinken wichtig

Der Taupunkt ist ein gutes Mass für Schwüle in der Luft; liegt er bei 16 Grad oder höher, wird es unangenehm. Sie haben jeden Tag mit dem Taupunkt zu tun, wenn Sie gekühlte Getränke zu sich nehmen. Laien denken ja, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn es aussen am Glas die Tröpfli gibt und man so erwarten kann, dass der Weisswein nicht aus dem Gestell hinter der Bar kommt, wo es schon für den Rotwein zu warm ist.

Das muss aber nicht so sein. Ist die Luft sehr feucht, liegt also der Taupunkt bei 20 Grad, wird schon Weisswein mit 19 Grad (wäks!) aussen am Glas Kondensationstropfen produzieren. Trinken Sie in der Wüste Weisswein bei Taupunkten unter null Grad, wird ein 1 Grad frischer Fendant immer noch keine Tropfen aussen am Glas produzieren. Diese sagen Ihnen also über die Temperatur des Getränks fast nichts, aber vieles darüber, wie feucht die Beizen- oder Terrassenluft ist.

Für Landwirtschaft, Kunstschnee und das Überleben in der Zukunft ist die Feuchtkugeltemperatur noch wichtiger als der Taupunkt. Davon erzähle ich Ihnen dann morgen – nach Ihren Weissweinversuchen.